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Utopien ohne Verliebtheit

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„Wo bleibt der Geist der Strafrechtsreform?“ fragte Justizministera. D.Christian Broda (FURCHE 5/ 1986). Sein langjähriger parlamentarischer Gegenspieler antwortet.

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„Wo bleibt der Geist der Strafrechtsreform?“ fragte Justizministera. D.Christian Broda (FURCHE 5/ 1986). Sein langjähriger parlamentarischer Gegenspieler antwortet.

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Christian Broda, der erst kürzlich anläßlich seines 70. Geburtstages vor allem von seiner Partei als großer Reformer gewürdigt wurde, hatte schon früh die politische Bedeutung der Rechtspolitik in einer sich wandelnden Gesellschaft erkannt.

Die ÖVP, die zum wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufbau der Zweiten Republik so viel beigetragen hatte, begriff — vor allem in ihrer damaligen Führungsschicht - nur zögernd, daß nach dem im großen und ganzen abgeschlossenen Wiederaufbau nun Fragen der Gesellschaftspolitik immer mehr in den Vordergrund drängten. Erst unter Bundespar-teiobmann Karl Schleinzer und mit dem Salzburger Programm wurde es in dieser Hinsicht besser.

Was die eigentlichen Rechtsreformen der siebziger Jahre anlangt, so war die kodifikatorische Erneuerung des Strafgesetzes grundsätzlich unbestritten. Nicht im Ob, sondern im Wie der Durchführung ergaben sich bei wichtigen Einzelfragen die ideologischen Differenzen (Abtreibung, Scheidungsrecht).

Man kann sich seinen Gegner nich.t aussuchen, aber man lernt ihn in zwanzig Parlamentsjahren gut kennen. Broda war gewiß einer der fleißigsten, in der Durchsetzung seiner Ziele zähesten Minister.

Broda hatte aber eine recht einseitige Ambition für materielle Gesetzesreformen. Der spektakuläre Reformeifer, die Attitüde ständiger Rechtserneuerung war ihm sichtlich wichtiger als der innere Betrieb der Justiz.

Sich um eine funktionierende Gerichtsbarkeit zu kümmern, war seine Sache nicht. Richterstreik, Notstandsberichte der Standesvertretungen, Forderungen der Staatsanwälte nach einem eigenen Organisationsrecht waren die Folgen dieses langjährigen Desinteresses, das ihm die Opposition immer wieder vorhielt.

Broda wäre ein besserer Justizminister gewesen, hätte er sich um die gerichtsorganisatorischen Belange in gleicher Weise angenommen wie um die Rechtsreformen.

Gerade die Zustände im inneren Strafvollzug hätte Broda im stillen, ohne den Gesetzgeber zu bemühen, tatsächlich verbessern können. Stilles Wirken wäre allerdings nicht so spektakulär und medienwirksam gewesen. Die laute Proklamation utopischer Zielsetzungen dagegen war aber gerade auf diesem Gebiet oft kontraproduktiv, da sie die breite Öffentlichkeit und die Boulevardpresse zum Widerspruch reizte.

Die Geschichte der Strafrechtsreform zeigt, daß sie stets ein Anliegen weniger aufklärerischer Geister war und kaum breite Resonanz in der Bevölkerung fand. Das Volk hat noch nie nach einer Strafrechtsreform gerufen.

Auch die parlamentarische Demokratie muß aber bei solchen Bestrebungen dem berechtigten Schutzbedürfnis der Bevölkerung vor dem Verbrechen genüge tun. Dieses Bedürfnis nicht aus den Augen zu verlieren und doch fortzuschreiten auf dem langen Weg einer Vermenschlichung des Rechtes, dazu bedarf es eben des Augenmaßes. Broda hatte es nicht immer.

Man kann Christian Broda dabei nicht den guten Glauben absprechen, daß er seine Ideen aus humanistischer Gesinnung vertritt. Allerdings unterliegt er in seinem Ubereifer dem Irrtum aller marxistischen Weltverbesserer. Sie wollen den Menschen nicht so sehen, wie er ist, sondern wie er sein sollte. „Helfen statt einsperren“ ist in der totalen Konsequenz dieses für Broda typischen Schlagwortes ein solcher Irrtum.

Bei allem Verständnis für jede Bemühung, kriminogene Ursachen des Verbrechens zu bekämpfen, soziale Zustände zu verbessern, ja auch den Gestrauchelten zu helfen — es wird in der menschlichen Gemeinschaft wohl immer auch das Verbrechen geben. Man kann es — leider — nicht mit den ' Mitteln des Strafrechtes abschaffen.

Es war nie das eigentliche Ziel der Strafrechtsreform, die Gefangenenzahlen zu senken. Dieser Effekt konnte sich nur dort ergeben, wo die kurze Freiheitsstrafe durch das Geldstrafensystem zurückgedrängt werden sollte. Dies ist auch gelungen.

Daß im verbliebenen Anwendungsbereich der Freiheitsstrafe, insbesondere bei längeren Freiheitsstrafen, seit einiger Zeit eine Steigerung festzustellen ist, trifft zu. Ob dies aber auf einer Veränderung der Kriminalitätsstruktur oder der Strafzumessung beruht, ist noch offen.

Im ersten Fall kann daraus wohl keine Reformnotwendigkeit abgeleitet werden, im zweiten Fall geht die Kritik an die Richter, also ihre richterliche Unabhängigkeit.

Die Geldstrafe aber in den „eigentlichen“ Kriminalitätsbereich weiter voranzutreiben und dies noch mit der Forderung nach Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe zu verbinden (was die ÖVP schon 1973 ablehnte), ist wohl abwegig.

Experimente mögen im Jugendstrafrecht angehen, für die Erwachsenenkriminalität werden wir eine ernsthafte Alternative zur Freiheitsstrafe noch für lange Zeit nicht finden. Wahrscheinlich sogar nie.

Ich möchte nicht behaupten, daß unser neues Strafgesetzbuch für Jahrzehnte unabänderlich sei.

Ich frage mich aber, und Broda sollte sich fragen, ob seine Vorschläge angesichts des herabgewirtschafteten Wertbewußtseins unserer Sozietät, der verbreiteten Unempfindlichkeit gegenüber Moral und Rechtschaffenheit auch in tragenden Schichten der Gesellschaft, kurz der Skandalgesellschaft von heute nicht ganz und gar zeitwidrig sind. Oder - in Abwandlung Wittgensteins: Worüber man jedenfalls derzeit nicht reden kann, darüber sollte man wenigstens heute schweigen.

Der Autor war von 1962 bis 1983 Abgeordneter zum Nationalrat und langjähriger Justizsprecher der OVP.

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