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Lebenslang, doch kein Leben lang

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Christian Broda forderte in der Monatszeitschrift,.Zukunft” (April 1985) die Abschaffung der lebenslänglichen Haftstrafe: ein solcher Freiheitsentzug sei „zutiefst inhuman”. ”

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Christian Broda forderte in der Monatszeitschrift,.Zukunft” (April 1985) die Abschaffung der lebenslänglichen Haftstrafe: ein solcher Freiheitsentzug sei „zutiefst inhuman”. ”

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Der ehemalige Justizminister Christian Broda hat die Diskussion um die lebenslange Freiheitsstrafe entfacht. Sein Nachfolger Harald Ofner hat abgewunken. Sind bei dieser Frage christliche Anliegen mitbetroffen?

Die lebenslange Freiheitsstrafe ist nach Broda „eine zutiefst inhumane Strafe”. Unbestritten: Nach Abschaffung der Todesstrafe ist der Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe, also der Entzug der Bewegungs- und Entschlie-ßungsfreiheitinerheblichemAus-maß und auf Lebensdauer unter den verbleibenden Strafübeln der menschlichen Natur wohl am meisten widersprechend.

Wir wissen heute besser als je zuvor, daß die Freiheitsstrafe überhaupt mehr Übel als Heilmittel ist. Insbesondere lange Freiheitsstrafen verändern den menschlichen Charakter nicht zu seinem Vorteil. Die Entwöhnung von Selbstverantwortung durch Selbstentscheidung läßt menschliche Fähigkeiten mit der Zeit erheblich verkümmern.

Eine rein gleichgeschlechtliche Zwangsgemeinschaft mit herabgekommenen Charakteren schafft kein Klima, das zur Blüte menschlicher Entfaltung führt. Also Einigkeit mit Broda!

Menschliches Strafen bedarf einer Rechtfertigung. In der Tradition der katholischen Kirche war die Rechtfertigung staatlicher Strafen an sich nie in Zweifel gezogen worden, vielmehr wurde die Strafe ihrem Wesen nach als Sühne für schuldhaft gesetztes

Unrecht verstanden, eine Sühne, die auch vor Gott Gültigkeit hat.

Für den Strafrechtler kann die Strafe durchaus auch ausschließlich durch ihre Zwecke gerechtfertigt werden. Diese Zwecke sind die Stabilisierung von gesellschaftlichen Wertvorstellungen: Der angepaßte Mensch richtet sich nach rechtlichen Normen aus, und dem nichtangepaßten wird durch die Androhung und den Vollzug von Strafe und (Re)Sozialisierungsmaßnahmen ein wertgemäßes Verhalten nahe-gelegt.Schlimmstenfalls muß der Übeltäter aus der menschlichen Gesellschaft entfernt werden.

Strafe ist ein Übel, darum kommt man nicht herum. Strafe als Heilmittel zur Änderung von Menschen greift nicht bei allen Menschen und nur unter bestimmten besonders günstigen Voraussetzungen. Vor allem der mit der Strafe verbundene Zwang nimmt ihr vielfach die Möglichkeit, seelische Umkehr herbeizuführen.

Strafe ist ein Übel

Ist dieses Übel Strafe durch seine Zwecke zu rechtfertigen, so muß das Maß der Strafe im Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen. Das ist in der Abstraktion ein allgemein anerkanntes Postulat. In der Konkretisierung wird diese Forderung äußerst schwierig, weil eindeutig belegbare Aussagen über die Wirkung von Strafen zur Aufrechterhaltung staatlicher Ordnung fehlen und sich wissenschaftlich auch nicht erbringen lassen.

Da gerät der Humanist Broda in ein Spannungsverhältnis zur Angst der Bevölkerung vor Kriminalität, weil er Strafe nur im Rahmen des eindeutig Notwendigen zuläßt, die öffentliche Meinung hingegen fordert optimale Sicherheit mit relativ geringer Risikotoleranz.

Und da sind wir nun am Kernpunkt der Frage der Rechtfertigung lebenslanger Freiheitsstrafe angelangt: Ist lebenslange Freiheitsstrafe notwendig?

Hiezu ein Blick auf österreichische Verhältnisse: Lebenslange Freiheitsstrafe wird von den Geschworenengerichten (also von acht Laien- und drei Berufsrichtern) in der Praxis ausschließlich für erwiesenen Mord ausgesprochen. Dieses Verbrechen ist mit Freiheitsstrafe von zehn bis 20 Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht.

1981 wurden von 29 wegen Mordes Verurteilten sieben und 1982 von 38 Verurteilten 14 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Nach 15 Jahren wird vom Gericht (vielfach unter Zuziehung von Sachverständigen) erstmals entschieden, ob eine bedingte Entlassung möglich ist, ob also die Gefährlichkeit des Mörders noch weiter fortbesteht, oder ob er in die Freiheit entlassen werden kann.

15 Jahre ist also selbst in den Fällen schwerster Verfehlung am menschlichen Leben nach geltender Rechtslage zur Aufrechterhaltung des allgemeinen Wertbewußtseins angemessen, sodann entscheiden Zweckmäßigkeitserwägungen über die weitere An-haltung.

Die längste, zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe im Strafgesetzbuch beträgt 20 Jahre. Diese Grenze würde bei Wegfall der lebenslangen Freiheitsstrafe aufrecht bleiben. Uber 20 Jahre sitzen von den zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten am Stichtag 1. Jänner 1985 in Österreich zwölf Personen (elf Männer und eine Frau).

Diese zwölf Personen sind so gefährlich^daß die Gerichte das Risiko, sie in die freie Gesellschaft zu entlassen, nicht eingehen. Ich kann hier keine Namen nennen, aber es sind unter diesen allgemein bekannte, abwegig veranlagte Männer und auch einer, der schon bedingt entlassen worden war und in Freiheit wieder rückfällig geworden ist. Es gibt also — leider — in jeder Gesellschaft, auch in unserer, so gefährliche Menschen, daß man sie absondern muß.

Das weiß auch Broda und er schlägt vor, diese Menschen in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher, wie sie nunmehr in Göllersdorf in Betrieb genommen worden ist, anzuhalten. Damit sind aber die tatsächlichen Verhältnisse von Brodas Forderung nicht weit entfernt.

Nach Broda sollte die zeitlich höchste Strafe nach Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe (offenbar vorerst einmal) 20 Jahre betragen, darüber hinaus sollen gefährliche Rechtsbrecher in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher oder vielleicht auch in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter verwahrt werden.

Heute werden die zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteüten nach 15, längstens nach 20 Jahren

„Über 20 Jahre saßen am Stichtag 1. Jänner 1985 zwölf Personen” bis auf einen kleinen Rest gefährlicher Rechtsbrecher entlassen. Nur: Dieser Rest wird weiter im Strafvollzug und nicht in einer sichernden Maßnahme verwahrt.

Da ich die Prinzipien Strafe für Schuld, Maßnahme für Gefährlichkeit in diesem Bereich für reine Theorie halte, ist die Entscheidung, ob man weiterhin gefährliche Mörder nach 20jähriger Strafe in der Strafvollzugsanstalt Stein oder in Göllersdorf verwahrt, für mich mehr eine organisatorische.

Eine fachärztliche Betreuung, wie sie Broda vorschwebt, ist hier wie dort möglich und in diesen genannten Fällen mit den heute zulässigen Mitteln ohnedies aussichtslos. Vielmehr klagen Anstaltsleiter im Maßnahmenvollzug, daß Personen, die nicht zur Besserung, sondern nur zur Sicherung angehalten werden, das therapeutische Klima der ganzen Anstalt belasten.

Denn von diesen Rechtsbrechern, die sich von einer Mitarbeit bei der Therapie keine vorzeitige Entlassung erwarten können, geht ein schädlicher Einfluß auf die Resozialisierungsbemühungen hinsichtlich der anderen Insassen aus. Lebenslang von der Gesellschaft fernzuhaltende Rechtsbrecher werden jedenfalls auch in Zukunft nicht in Göllersdorf angehalten werden können.

Der lebenslange Freiheitsentzug an sich, wie er heute in Österreich praktiziert wird, wird kaum durch etwas Besseres ersetzbar sein. Die Schädlichkeit langjähriger Freiheitsstrafen stellt jedoch die Experten der Strafrechtskongresse in aller Welt vor die Frage, wodurch die Freiheitsstrafe für jene Person ersetzt werden sollte, die nicht wegen ihrer Gefährlichkeit auf Lebenszeit von der Gesellschaft abgesondert werden müssen.

Dort liegt das wahre Problem. Bis jetzt sind befriedigende Wege auch ansatzweise nicht erkennbar. Die bloße Forderung nach Abschaffung staatlicher Schutzmaßnahmen ist nicht ausgewogen.

Der Autor ist Generalanwalt im Bundesministerium für Justiz.

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