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Konsens gesucht

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Seit der „gemeinsamen Entschließung aller im Parlament vertretenen Parteien“ im Jahre 1954 beschäftigt die Reform des Strafrechtes Österreichs Parteien: Nun sollen die 330 Paragraphen der Regierungsvorlage 1971 — wie Broda es formuliert — „die gesellschaftliche Realität nach vollziehen, sie in die normative Wirklichkeit umsetzen“.

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Seit der „gemeinsamen Entschließung aller im Parlament vertretenen Parteien“ im Jahre 1954 beschäftigt die Reform des Strafrechtes Österreichs Parteien: Nun sollen die 330 Paragraphen der Regierungsvorlage 1971 — wie Broda es formuliert — „die gesellschaftliche Realität nach vollziehen, sie in die normative Wirklichkeit umsetzen“.

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In intensiven Verhandlungen des parlamentarischen Justizausschusses wird um „den größten gemeinsamen Nenner“ gerungen. Konsens besteht, daß unsere Rechtsordnung weiterentwickelt werden muß, Einigkeit herrscht, daß die Aufgabe des Rechtsstaates im Schutz vor dem Verbrechen bestehen muß. Einige harte Kerne des Entwurfes — auch wenn man das tief in Weltanschauungsfragen reichende, emotionali-sierte Probleme der Abtreibung ausklammert — gefährden diese Einigkeit, erwecken bei der großen Oppositionspartei schwerwiegende Bedenken:

• Kurze Freiheitsstrafen wegen der Gefahr der „kriminellen Infektion“ durch Geldstrafen zu ersetzen, ist für die ÖVP „eine Verharmlosung der asozialen Kleinkriminalität“. Sie fordert daher — analog zum Strafrechtsentwurf Klecatskys —, Geldstrafen auf Delikte mit „geringem Unrechtsgehalt“ zu beschränken und überdies „auf die Strafdrohung und nicht — wie es der Broda-Entwurf vorsieht — auf das im konkreten Einzelfall zu verhängende Strafausmaß abzustellen“. Denn durch die Regierungsvorlage, so wird argumentiert, käme im Prinzip jedes Delikt für Geldstrafen in Betracht, was aus Präventivgründen abzulehnen sei. Dazu Broda: „Weder für den Schutz der Gesellschaft, noch für die Resozialisierung kann die kurzfristige Freiheitsstrafe etwas bieten. Wir wollen sie also zurückdrängen. Die Freiheitsstrafe soll nur noch als ultima ratio, wenn andere strafrechtliche Sanktionen versagen, angewendet werden. Es wird aber nicht so sein, daß die kurzfristigen Freiheitsstrafen zur Gänze verschwinden werden. Es gibt einen Tätertyp, bei dem zweifellos auch in Zukunft auf die Verhängung kurzfristiger Freiheitsstrafen nicht verzichtet werden wird. Deshalb ist es ein Mißverständnis, zu meinen, wir wollen mit unseren Vorschlägen den asozialen Tätertyp begünstigen. Das Gericht oder der Richter sollen durch die Regierungsvorlage einen entsprechenden Spielraum erhalten, um im Einzelfall jene Maßnahme zu setzen, die sie für richtig erachten.“

• Die im Entwurf vorgesehene Möglichkeit, Ersatzfreiheitsstrafen (also Haftstrafen, die nach dem geltenden Gesetz im Falle der Uneinbringlichkeit von Geldstrafen verhängt werden) bedingt nachzusehen, wenn die Geldstrafe ohne Verschulden des

Verurteilten nicht einbringlich ist, führt nach Ansicht der ÖVP „praktisch zur Straflosigkeit der Kleinkriminalität“.

Auch dem widerspricht Broda: „Eine Nachsicht der Ersatzfreiheits-: strafe ist nur dann möglich, wenn der. Verurteilte ohne, ich. muß das unterstreichen, ohne Verschulden nicht die gegen ihn verhängte Geldstrafe bezahlen kann. Damit wird rechtspolitisch mit wünschenswerter Klarheit gesagt, worum es geht: Es soll derjenige, der nach Prüfung durch das Gericht die Geldstrafe nicht bezahlen kann, gleich behandelt werden wie der, dessen Vermögenslage die Bezahlung gestattet. Dem schuldlos vorübergehend Zahlungsunfähigen wird die Geldstrafe nicht erlassen, sondern nur bedingt aufgehoben. Und wenn der Verurteilte wieder in der Lage ist, die gestaffelte Geldstrafe zu bezahlen, dann muß er sie bezahlen. Umgekehrt ist es so, darin stimmen wir alle überein, daß unverschuldete Armut sicher nicht mit Asozialität gleichgesetzt werden kann.“ • Die Bemessung einer Geldstrafe soll in Hinkunft nach „Tagessätzen“ erfolgen: Die Zahl der Sätze soll den Unrechtsgehalt der Tat und die Schwere der Schuld ausdrücken, die Höhe des Tagessatzes wird sich nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Rechtsbrechers richten. Die Volkspartei meint, daß „dieses System leicht in eine neue Klassenjustiz umschlagen kann und ein tieferes Eingreifen in die Erwerbsund Vermögensverhältnisse des Verurteilten“ bedeutet.

Der Justizminister verweist auf das geltende Recht: „Nach den Bestimmungen über die Bemessung von Geldstrafen heißt es ja ausdrücklich, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters zu berücksichtigen sind. Was wir wollen, ist nichts anderes als die bisherigen Bestimmungen, die den heutigen Auffassungen nicht mehr voll entsprechen, weiterzuentwickeln.“

Überdies soll, wenn die Schuld des Täters gering ist, die Tat keine oder nur unbedeutende Folgen hatte und die Bestrafung nicht geboten ist, nach dem Strafrechtsentwurf Straflosigkeit gegeben sein. Die Feststellung der Straflosigkeit obliegt dem Staatsanwalt; in diesem Punkt will die Opposition nicht mitziehen, weil sie schwere kriminalpolitische Bedenken anmeldet:

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