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Den Schwachen entgegenkommen

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Das Strafrecht bezieht sich auf die Wahrung des vorgegebenen göttlichen Ordnungsplanes für das äußere Zusammenleben der Menschen. Während alles positive Recht in diesem Ordnungsplan seine Dek-kung finden muß, müssen und könne aber nicht alle seine Forderungen vom Staat geschützt werden. Gemäß seinem Aufgabenkreis hat der Staat nur dort einzugreifen, wo es zum- allgemeinen Wohl notwendig ist; doch wird durch die Übereinstimmung, der Strafbestimmungen mit den ethischen Normen der angeborene Gerechtigkeitssinn des Menschen befriedigt. Je mehr die Rechtsordnung von diesem Gerechtigkeitsempfinden abweicht, desto eher findet sich der einzelne gerechtfertigt, sie zu übertreten, und um so geringer sind die Anstrengungen, mit der solche Übertretungen verfolgt werden. Wo sich das Recht aber nicht mehr durchsetzt, da fehlt bald der Glaube an das Recht und das Gefühl der Rechtssicherheit, die den Willen des Sozialen wie des Asozialen formen.

Entgegen der solchermaßen vorgezeichneten Wertordnung versucht der Entwurf dadurch „modern“ zu sein, daß er den Schwächen unserer Gesellschaftsordnung in manchen Punkten entgegenkommt: • Nach dem Entwurf soll Ehebruch nicht mehr strafbar sein, wenn der Ehepartner ebenfalls einen noch nicht verjährten oder verziehenen Ehebruch begangen hat oder wenn die eheliche Gemeinschaft bereits seit drei Jahren aufgehoben war. Der Gedanke, den Fehltritt des einen Gatten durch den des anderen abzugelten, ist jedoch hier ebenso falsch am Platz wie die Straflosigkeit des Ehebrechers, der noch dazu den Gatten gänelich verlassen hat. Die Strafbarkeit der Verletzung der ehelichen Treue*aoll überhaupt entfallen. Damit würde beispielsweise die Straflosigkeit der Ehestörung dem Dritten das Eindringen in die fremde Ehe mangels jeden Risikos allzusehr erleichtern.

• Widernatürliche Unzucht wäre nur noch zwischen Männern und sogar da nur strafbar, wenn sie gewerbsmäßig oder mit einem noch nicht Achtzehnjährigen begangen wird. Unzucht mit Tieren bliebe überhaupt straffrei.

• In diesem und anderem Zusammenhang fällt das niedere Schutzalter für Jugendliche vor allem bei Sittlichkeitsdelikten auf. In einer Zeit der Diskrepanz zwischen körperlicher und seelischer Reife und des späten Eintritts ins Berufsleben ist das Schutzalter von 16 Jahren bei Gefährdung durch pornographische Erzeugnisse weit unter jener Altersgrenze, bei der eine erhebliche Gefährdung der Jugend noch offenkundig ist. Übersehen wurde auch, daß die Bestimmungen über Entführung, Schändung, Beischlaf und sonstige Unzucht an die Erhöhung des Schulpflichtalters auf 15 Jahre anzugleichen wären.

• Viel scheint der Entwurf auch nicht von der vor Gericht in Form eines Eides vorgenommenen feierlichen Anrufung Gottes zu halten. Während nach geltendem Recht jeder vor Gericht abgelegte Meineid mit nach der Schadenshöhe gestaffelten Freiheitsstrafen bedroht ist, verharmlost der Entwurf dieses Verbrechen nicht nur durch eine erhebliche Herabsetzung der Höchststrafe, sondern auch durch die Neueinführung des zur Straflosigkeit führenden Institutes des „Aussagenotstandes“ (einer Art Notlüge) und der „tätigen Reue“.

• Bei Abtreibungsdelikten wird versucht, durch eine verklausulierte Formulierung der sozialen Indikation, dieser einen ersten Einbruch ins österreichische Strafrecht zu verschaffen. Die 1938 bis 1945 durch die Abschaffung der ärztlichen Prüfungsstellen, die bei gesundheitlich gefährdeten Schwangeren die zur Rettung von Mutter und Kind erforderlichen Maßnahmen festzustellen hatten, geschlagene Gesetzeslücke zu beheben, fühlt sich der Strafgesetzentwurf nicht berufen; er verweist zwar auf die Möglichkeit, solche Prüfungsstellen später wieder zu schaffen, überläßt es aber jetzt weiter dem sehr unterschiedlichen Gewissen der Ärzte, wann sie einen hinreichenden Grund für eine Abtreibung annehmen wollen.

• Bei den vorsätzlichen Tötungsdelikten sieht sich der Entwurf auch sonst zur besonderen Milde veranlaßt. Es soll überhaupt nur noch drei Delikte geben, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind: Der Mord, jedoch nur, wenn der Täter aus“ einem besonders verwerflich Beweggrund oder zu einem besonders verwerflichen Zweck oder auf besonders verwerfliche Weise gehandelt hat, die erpresserische Entführung mit tödlichem Ausgang und der Völkermord. Gemeiner Mord, Raubmord, qualifizierter Raub, räuberischer Totschlag, Brandstiftung, Hochverrat, vorsätzliche Gemeingefährdung mit tödlichem Ausgang, Notzucht mit tödlichem Ausgang und noch andere gegenwärtig ebenfalls mit lebenslänglicher Freiheitsstrafe bedrohte Verbrechen sollen in Zukunft nur noch mit zeitlichen Freiheitsstrafen geahndet werden können.

Neben den so beschriebenen Verschiebungen in der Wertordnung ist eine Aufweichung des Wertgefüges durch den neuen Strafgesetzentwurf, vor allem durch sein Bestreben, dem einzelnen Rechtsbrecher ein möglichst geringes Strafübel aufzuerlegen, zu befürchten. Das Strafmilderungsrecht ist so weitherzig gefaßt, daß zum Beispiel selbst bei den wenigen mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohten Verbrechen die Strafe bis auf ein Jahr herabgesetzt werden kann. Wird der Rechtsbrecher zu einer ein Jahr nicht übersteigenden Freiheitsstrafe verurteilt,so ist bereits eine bedingte Strafnachsicht möglich.

Die Umwertungen, die der Straf-gesetzenbwurf vornehmen will, sind umfassend. Nicht weniger umwälzend für die juridische Praxis ist aber auch die Absicht des Entwurfes, fast alle, durch jahrzehntelange Judikatur eingehend interpretierte Definitionen durch neue zu ersetzen, bei denen es — wiewohl die Änderungen im Sinn meist nicht sehr groß sind — natürlich wieder Jahrzehnte dauern wird, bis die durch die Neuformulierungen entstandene Rechtsunsicherheit überwunden sein wird und die Rechtssprechung die neuen Begriffe in allen Merkmalen herausgearbeitet haben wird.

Das Strafgesetz ist nicht nur ein Kodex von Vorschriften wider Verbrecher, sondern in ihm spiegelt sich die sittliche Auffassung eines Volkes wider. Es ist zu hoffen, daß der dem österreichischen Volk vorzuhaltende Spiegel nicht das Gesicht des Strafgesetzentwurfes in seiner gegenwärtigen Form aufweist.

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