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„Das Strafrecht ist kein Sittenwachter”

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Gleichgeschlechtliche Beziehungen von Männern mit Minderjährigen werden mit Freiheitsstrafen geahndet. Nach Ansicht eines Juristen beim Obersten Gerichtshof gehört der entsprechende Paragraph des Strafgesetzbuches wegen Diskrimie-rung ersatzlos gestrichen.

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Gleichgeschlechtliche Beziehungen von Männern mit Minderjährigen werden mit Freiheitsstrafen geahndet. Nach Ansicht eines Juristen beim Obersten Gerichtshof gehört der entsprechende Paragraph des Strafgesetzbuches wegen Diskrimie-rung ersatzlos gestrichen.

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Seit Monaten diskutieren österreichische Politiker, ob die noch bestehenden Strafbestimmungen gegen Homosexuelle aufgehoben werden sollen oder nicht. Die Meinungen dazu sind konträr und - wie es scheint - festgefahren; die Auseinandersetzung über dieses Thema vermittelt jedenfalls den Eindruck einer höchst emotionellen Debatte.

Worum geht es? Zunächst wäre festzuhalten, daß gleichgeschlechtliche Beziehungen (homosexuelle wie auch lesbische) bis 1971 strafrechtliche Konsequenzen nach sich zogen. Beide Partner hatten eine Strafdrohung bis zu fünf Jahren Kerker zu befürchten, falls ihr gleichgeschlechtliches Verhältnis in die Öffentlichkeit drang. Seit einer 1971 in Kraft getretenen Strafrechtsreform sind nun diese gleichgeschlechtlichen Beziehungen zumindest unter Erwachsenen straflos. Um aber der damals von der (parlamentarischen) Mehrheit befürchteten unerwünschten gleichgeschlechtlichen Orientierung eines größeren Teils der Bevölkerung entgegenzuwirken, wurden strafrechtliche Grenzen gesetzt:

So ist es bis heute verboten, in der Öffentlichkeit für eine gleichgeschlechtliche Beziehung zu werben (Paragraph 220 Strafgesetzbuch) oder Vereine zu gründen und zu betreiben, deren Ziel es ist, die gleichgeschlechtliche Orientierung (nach der Diktion des Strafgesetzbuchs: Unzucht) zu begünstigen ( 221 StGB). Beide Strafnormen sind antiquiert und auch verfassungsrechtlich bedenklich, wird doch damit in die Meinungs- und Vereinsfreiheit eingegriffen, ohne daß es - nach heutiger Auffassung und Erfahrung - solcher Schutzbestimmungen bedürfte. Diese beiden Straftatbestände ( 220 und 221 Strafgesetzbuch) sollen daher nach der übereinstimmenden Auffassung aller im Parlament vertretenen Parteien als obsolet aufgehoben werden.

Bleibt somit der umstrittene Paragraph 209 StGB, der die Wogen der Emotionen hochgehen läßt. Nach diesem bis heute geltenden Straftatbestand ist ein Mann mit Freiheitsstrafe von mindestens (!) sechs Monaten bis zu fünf Jahren (!) zu bestrafen, wenn er nach Vollendung des 19. Lebensjahres mit einem Jugendlichen, der das 14., aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hat, gleichgeschlechtliche Beziehungen unterhält (in den Worten des Strafgesetzbuchs: Unzucht treibt). Strafbar macht sich also der 19jährige, der mit einem 17jährigen sexuelle Kontakte unterhält. Ein Jahr später hätte der Partner des dann 18jährigen strafrechtlich nichts mehr zu befürchten. Umgekehrt bliebe diese Beziehung auch dann ohne strafrechtliche Folgen, wenn der ältere Partner erst 18 wäre.

Nur zur Klarstellung: Auch ohne Gewaltanwendung geknüpfte geschlechtliche Beziehungen zu einem Kind, also einer Person unter 14 Jahren, oder die sexuelle Belästigung von Kindern sind stets strafbar ( 206, 207 und 208 StGB: Strafen bei erschwerenden Umständen bis zu 20 Jahre!). Das Strafgesetzbuch bietet also eine ausreichende Handhabe, um unerwünschten sexuellen Übergriffen auf Kinder mit gerichtlichen Strafen entgegenzuwirken. Paragraph 209 StGB bezieht sich aber nicht auf Kinder, sondern auf Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren.

Zum Vergleich: Zwei Frauen über 14 Jahre, die miteinander geschlechtliche Beziehungen unterhalten, haben wegen dieser sexuellen Kontakte keine Strafe zu befürchten, und zwar unabhängig vom jeweiligen Alter der Partner! Und keine Frage: heterosexuelle Verbindungen, in welcher Alterskombination auch immer, sind straflos - sofern der jüngere Partner zumindest 14 Jahre alt ist. Angesichts der sexuellen Aufklärung unserer Zeit besteht auch keine Notwendigkeit mehr, eine solche von Seiten des Jugendlichen freillig eingegangene Beziehung zu kriminalisieren!

Eine solche Beziehung mag zwar vielleicht unter dem Aspekt einer Ausnutzung der Unerfahrenheit des jüngeren Partners insbesondere bei einem großen Altersunterschied problematisch sein, doch begnügt sich die Gesellschaft selbst in diesen Fällen -falls überhaupt - mit einem moralischen (Un-)Werturteil. Bei der homosexuellen Beziehung zwischen einem Erwachsenen und einem Jugendlichen wird diese moralische Wertung allerdings vom Gesetzgeber übernommen und ein gravierender (von der Eintragung der gerichtlichen Verurteilung ins Strafregister bis zum Freiheitsentzug reichender) sozialer Tadel in Form einer gerichtlichen Strafe zwingend vorgeschrieben.

Warum also der Ruf nach dem Strafrichter, wenn es um das Verhältnis zwischen zwei Männern geht, wovon einer zwar älter als 14 Jahre aber noch nicht älter als 18 Jahre ist? Einziger Erklärungsansatz dafür sind die immer noch geäußerten Befürchtungen einer (von der heterosexuell ausgerichteten Mehrheit unserer Gesellschaft größtenteils) unerwünschten gleichgeschlechtlichen Prägung des Jugendlichen durch eine homosexuelle Beziehung. Diese Ängste entbehren allerdings jeglicher Basis, zeigen doch wissenschaftliche Untersuchungen, daß die geschlechtliche Orientierung eines Menschen im Regelfall schon im Kindesalter, spätestens aber mit der Pubertät, abgeschlossen ist (siehe dazu Furche 38/Seite 4).

Damit fehlt für die Kriminalisierung einer Beziehung zwischen einem Erwachsenen und einem Jugendlichen nach 209 StGB jegliche Bechtfertigung, weil die homosexuelle Prägung bei dem von 209 StGB geschützten Jugendlichen längst schon erfolgt ist. Das Strafrecht mutiert somit zum Hüter der Moral; ein fundamentalistischer Ansatz, der in der europäischen Rechtskultur überwunden sein sollte.

Umso verblüffender wirken daher Vorschläge aus den Reihen der ÖVP (sie widersetzt sich einer ersatzlosen Streichung von 209 StGB unter Hinweis auf den Druck der Kirche), als Ausgleich für eine Aufhebung von 209 StGB das sogenannte Schutzalter (das Alter, bis zu dem sexuelle Kontakte unter allen Umständen verboten sind) auf 16 Jahre anzuheben und damit die in Österreich schon seit jeher bestehende Altersgrenze von 14 Jahren zu erhöhen. Um die homosexuelle Beziehung zu einem Jugendlichen im Alter von 14 bis 16 Jahren doch noch zu kriminalisieren, soll also auch die bislang straflose heterosexuelle Beziehung zu einem heranwachsenden Jugendlichen unter Strafe gestellt werden! Auch beim Vorschlag der Anhebung des Schutzalters erhebt sich somit die Frage, ob dabei nicht mögliches moralisches Unwerturteil und zwingender strafrechtlicher Tadel verwechselt werden.

Was bleibt also zu hoffen? Gleichgeschlechtliche Beziehungen werden -weil bloß von einer Minderheit gelebt - von den Mitbürgern noch immer mit besonderer Distanz und vielfach abschätzig zur Kenntnis genommen: Homosexuelle und Lesben sind daher einem enormen gesellschaftlichen Druck ausgesetzt, in einer mehrheitlich heterosexuell orientierten Umgebung schlicht „anderes” zu sein.

Wozu bedarf es daher einer gesteigerten diskriminierenden Behandlung im Wege der strafrechtlichen Verfolgung einer freiwillig eingegangenen Form von Partnerschaft? Noch dazu, wenn derselbe Minderjährige mit einer älteren Frau eine geschlechtliche Beziehung unterhalten könnte, ohne daß man den Staatsanwalt als Sittenwächter benötigt?

Sowohl der Europarat als auch das Europäische Parlament empfehlen eine Aufhebung derartiger diskriminierender Strafbestimmungen. Die meisten europäischen Länder (unter anderem Italien und damit auch der Vatikan!!) haben einheitliche Altersgrenzen sowohl für hetero- wie auch homosexuelle Beziehungen. Warum also diese zögerliche Haltung? Das Strafrecht ist jedenfalls weder dazu da Menschen auszugrenzen noch um zu moralisieren. Also kann es eigentlich nur eine politische Entscheidung geben: Die ersatzlose Streichung von Paragraph 209 Strafgesetzbuch.

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