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Sorgen um die Schweinerei

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Am 11. November veranstaltet das Justizministerium eine Enquete über „Probleme des Schmutz- und. Schundgesetzes', Justizminister Broda meint, daß sich seit der;Freigab.e der Pornographie in Dänemark und seit einer Regierungsvorlage. der SPD/FDP-Regierung in Deutschland die „Lage verändert habe“. Und in der Tat: Pornographie ist zum Zentralthema fast aller heimischen Gazetten und Illustrierten geworden. Spätestens jetzt muß man das Thema vom juridischen und sözialwissenschaft-lichen Aspekt untersuchen.

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Am 11. November veranstaltet das Justizministerium eine Enquete über „Probleme des Schmutz- und. Schundgesetzes', Justizminister Broda meint, daß sich seit der;Freigab.e der Pornographie in Dänemark und seit einer Regierungsvorlage. der SPD/FDP-Regierung in Deutschland die „Lage verändert habe“. Und in der Tat: Pornographie ist zum Zentralthema fast aller heimischen Gazetten und Illustrierten geworden. Spätestens jetzt muß man das Thema vom juridischen und sözialwissenschaft-lichen Aspekt untersuchen.

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Die Sorgfalt der Gesetzgebung, besagt Paragraph 500 StGB, schränke die Vergehen und Übertretungen gegen die „öffentliche Sittlichkeit“ begrifflich „nicht bloß auf diejenigen Handlungen ein, welche an sich Abscheu und öffentliches Ärgernis zu erregen fähig sind; sie zieht darunter auch Handlungen, die nach ihrer Eigenschaft zur Verbreitung des Sit-tenverderbnisses beitragen, wie auch solche, womit Unordnungen und Ausschweifungen als gewöhnliche Folgen verbunden sind“. Grundsätzlich folgt diese Absicht der folgerichtigen Erkenntnis, es sei sinnlos, das individuelle Ärgernis, also Unsittlichkeit einzelner, zu pönälisieren, wenn nicht zugleich und vor allem kollektive Vorgänge, die als ethisch verwerflich anzusehen sind oder doch zumindest publizieren, was nach den „Anforderungen unserer Kultur verborgen zu halten ist“ (Rittler), unter Strafdrohung gestellt werden. Bei jeder Verletzung des Sittlichkeitsgefühles liegt jedoch hinreichend das Leitbild des Ärgernisses zugrunde. Man kann diesen Grundsachverhalt auch bei den direkten verbrecherischen Angriffen auf die Sittlichkeit als mitbestimmend erkennen, daraus ergibt sich die Notwendigkeit, bekanntgewordene „private Unzucht“ ab einer gewissen Intensität der für gewöhnlich bewirkten Empörung — und damit der Diskriminierung des Verletzers — zu strafen.

Voraussetzung ist bei alledem ein offenes Bekenntnis zu einer „doppelten Moral“, einfacher: Eine Schweinerei, die aufkommt, geht die Öffentlichkeit sehr wohl etwas an, weil sie ja unter dieser Information zu leiden hat. Im Zeitalter der Massenmedien und der dauernden Betroffenheit de's Bürgers erscheint die Sorgfalt des Gesetzgebers in Sachen Ärgernis mehr denn je als angebracht, wobei sich — Zitat aus Rittler — in der Praxis des Lebens sehr wohl im Laufe der Zeit gewisse Regeln dafür herausgebildet haben, . was an Unzüchtigem und unter welchen Umständen in der. Öffentlichkeit geduldet wird und was nicht.

Das Wort vom „Unzüchtigen“ ist gefallen, und hier muß ausgesprochen werden, daß es um Handlungen geht, „durch die die Sittlichkeit in geschlechtlicher Beziehung verletzt wird, mag sie auch nicht einem erregten Geschlechtstrieb entsprungen oder zur Erregung dieses Triebes bestimmt sein“. Das Zitat stellt eindeutig klar, daß es falsch ist, zu behaupten, der Staat maße sich an, Lüsternheit an sich zu bestrafen. Es geht nach all dem bisher Gesagten um jenes Ärgernis, das durch sexuelle Haltlosigkeit in der öffentlichen Kommunikation hervorgerufen werden kann. In solchem Verständnis — und nur in solchem Sinne — kann sogar die Meinung vertreten werden, daß es zuwenig Strafrecht gegen „unzüchtige Masseninformation“ (gleich: „Sexwelle“) gibt. Wir sprechen immer nur von den sozialen Folgen der Sexualisie-rung, von der Folge einer tiefreichenden Störung des Zusammenlebens in der freien Leistungs- und Bildungsgesellschaft.

Es braucht nicht verschwiegen zu werden, daß es eine Bestimmung gibt, die öffentliche Lüsternheit an sich pönalisiert, nämlich die Jugendschutzbestimmung des Paragraph 2 Pornographiegesetz. Hiernach liegt die pönalisierte Anstößigkeit einer Publikation darin, daß sie zur Erregung des Geschlechtstriebes von Jugendlichen bestimmt wird. Die Motivation des Gesetzes mag unglücklich sein, doch ist auch diese Norm soziologisch begründbar. Keine Gesellschaft wird es zulassen können, daß die Jugend auf das Sexuelle im wahrsten Wortsinn beschränkt, damit sodann zu bloßen Privatisierern (Intimkonsumenten) ideologisch umfunktioniert und in weiterer Folge in der Kommunikationswirklichkeit frustriert wird. Letztgenannte Frustration ist zumal in mittelständischen Bereichen unausbleiblich, es sei denn, man ginge zu exzessiven Verhaltensmustern über. Insofern ist diese Bestimmung Präventionsnorm zum Tatbestand des Ärgernisses... Es darf also vorbehaltlos der These zugestimmt werden, Gegenstand des Strafrechtes solle und dürfe nur sozialschädliches Verhalten sein. Aber öffentliche Unsittlichkeit ist als Ärgernis sehr wohl sozialschädlich. Für die Politikwissenschaft ist klar, daß Demokratie als Lebens- und Regierungsform Toleranz zur Voraussetzung hat. Dem Begriff der Toleranz wesensmäßig eingeschlossen und zugleich eine Bedingung der Toleranz ist der Respekt, die gegenseitige Achtung unter den Mitbürgern. Jene vorwiegend sozialdemokratischen Liberalismen aus der Kalkulation, sexualfreiheitliche Konsumentenpolitik sei im Wohlfahrtsstaat allemal anhangfördernd, seien eindringlich davor gewarnt, die Toleranz der Gesellschaft zu überfordern. Entfällt der Schutz vor Ärgernis, so ist vor allem eine Zunahme gesellschaftlicher Diskriminierungen ohne neutralisierendes, befriedigendes Recht naheliegend. Wer die Sozialfunktion der Ehrbarkeit und Sittlichkeit öffentlich untergräbt, schadet der Demokratie. Und eine größere „Sozialschädlichkeit“ gibt es nicht.

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