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Demnächst: Superlative der Ekelhaftigkeit?

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Der Gedanke ist bestechend: Weil eine bisher verbotene Ware Definitions- und Auslegungsschwierigkeiten bereitet, soll sie am besten gleich zur Gänze freigegeben werden. Nun ist aber Pornographie nicht mehr das, was sie einmal war — das Schielen des Kleinbürgers nach ein wenig Verruchtheit. Pornographie in ihrem neuen, „harten“ Gewand fällt nicht mehr als Gelegenheitsprodukt an, sondern als gewerbsmäßig hergestellter Massenartikel. Und die Profiproduzenten und -Verkäufer liegen schon auf der Lauer, das Sexuelle in Verbindung mit neuen Superlativen der Ekeligkeit (Kotessen), Gewalttätigkeit (Sexualverbrechen bis hin zum Mord) und Menschenverachtung feilzubieten.

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Der Gedanke ist bestechend: Weil eine bisher verbotene Ware Definitions- und Auslegungsschwierigkeiten bereitet, soll sie am besten gleich zur Gänze freigegeben werden. Nun ist aber Pornographie nicht mehr das, was sie einmal war — das Schielen des Kleinbürgers nach ein wenig Verruchtheit. Pornographie in ihrem neuen, „harten“ Gewand fällt nicht mehr als Gelegenheitsprodukt an, sondern als gewerbsmäßig hergestellter Massenartikel. Und die Profiproduzenten und -Verkäufer liegen schon auf der Lauer, das Sexuelle in Verbindung mit neuen Superlativen der Ekeligkeit (Kotessen), Gewalttätigkeit (Sexualverbrechen bis hin zum Mord) und Menschenverachtung feilzubieten.

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Ob es ihm recht wäre, wenn solche Artikel — womöglich mit großflächigen Bild-„Kostproben“ — auf den Plakatwänden der Gewista auftauchen würden, wollte ich von Heinrich Keller wissen. „Die würden nicht lange hängen“, antwortete der in Sachen Pornofreigabe stark engagierte Pressesprecher des Justizministers, „die Leute lehnen so etwas ab. Was sie sehen wollen, ist sofit-porno — die Darstellung von Geschlechtsakten.“

In der Tat denkt der Großteil der Bevölkerung beim Begriff Pornographie an die Darstellung textilfreier Körper, äußerstenfalls des Geschlechtsverkehrs. Und wäre eventuell für eine Freigabe solcher Produkte (wenn auch nicht unbedingt zur Werbung und zur Abgabe an Jugendliche) zu haben. Das ,,natürliche Rechtsempfinden“ des Durchschnittsbürgers ist aber noch nicht so weit entwickelt, daß er die ihm noch größtenteils unbekannten „harten“ Pornos ohne Empörung hinnehmen würde.

Und hierin liegt einer der wunden Punkte in der Argumentation des Justizministeriums. Denn der Satz, nach dem das Recht nicht am realen Bewußtseinsstand und am Moralempfinden der Gesellschaft vorbeigehen darf, gilt nicht bloß für die bürgerliche Rechtspolitik, sondern auch für die sozialistische.

Vielfach wurde — unter Hinweis auf das Beispiel Dänemark — die Hoffnung propagiert, Pornographie locke die Käufer nur so lange, wie sie verboten sei. Gebe man sie frei, dann werde das Interesse an ihr schlagartig zurückgehen. Dieses Argument zieht bei den „harten“ Pornos nicht mehr. Denn ihre Freigabe würde bedeuten, daß — im Zuge einer aggressiven Marktpolitik — erstmals für solche Dinge geworben werden darf, für welche die Nachfrage augenblicklich noch minimal ist: Sado-Masochismus, Sodomie und Kinderschändung.

Ob die Tendenz der pornographischen Produkte dem Menschenbild des Sozialismus entspreche, lautete meine zweite Frage an Staatsanwalt Keller: „Natürlich nicht“, räumte dieser ein. Daß man dennoch niemandem verbieten dürfe, so etwas anzuschauen, sei „eben altes, liberales Gedankengut“.

Tatsächlich hat die jüngste Pornographiediskussion wieder einmal verdeutlicht, daß es — von der FPÖ-Spielart der ,,National-Liberalen“ einmal abgesehen — zwei Typen von Vertretern des liberalen Erbes gibt:

• Die einen — zumeist im Bund mit christlich inspirierten Bewegungen — billigen der Sitte und Moral eine notwendige Funktion für den Fortbestand der staatlichen Gemeinschaft und für die Sicherung der freiheitlich-demokratischen Errungenschaften (Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit usw.) zu.

• Für die zweite Art von Liberalen hat Moral stets den Geruch des Rückständigen und Doppelbödigen an sich. Den zielstrebigsten Weg, den Menschen zu befreien und zu beglücken, sehen sie darin, das „Lais-sez-faire“ auch auf jene zwischenmenschlichen Bereiche (Ehe und Familie, Sexualität, Einstellung zum menschlichen Leben überhaupt) zu übertragen, wo andere noch auf so „altmodischen“ Forderungen wie „Verantwortung“ oder „Bindung“ beharren.

Besser sei es, so argumentiert dieser Typus des Liberalen, wenn er für die Aufhebung einer Schutznorm plädiert, die Freiheit mit geistigen Waffen zu schützen. Diese zu schmieden ist aber seine Sache nicht. Das überläßt er getrost der Kirche und den Konservativen.

Wie sieht nun unser derzeitiges System des Schutzes vor Porno in Österreich aus? Es stützt sich auf das aus dem Jahre 1950 stammende Schmutz- und Schundgesetz, auf das Strafgesetz und das Pressegesetz. Der Paragraph 1 des Pornographie-

gesetzes bekämpft die aus Gewinnsucht erfolgende Herstellung unzüchtiger Werke als Verbrechen und zielt darauf ab, die Verbreitung solcher Gegenstände zu unterbinden.

Nach Paragraph 2 wird bestraft, wer Jugendlichen Produkte „anbietet oder überläßt“, die geeignet sind, „die sittliche oder gesundheitliche Entwicklung jugendlicher Personen durch Reizung der Lüsternheit oder durch Irreleitung des Geschlechtstriebs zu gefährden“. Paragraph 10 des Schmutz- und Schundgesetzes geht noch insoweit über den Paragraphen 2 hinaus, als er den Schutz auch auf die „geistige Entwicklung“ der Jugendlichen erweitert (dort ist auch die Verleitung zu Gewalttaten

oder zu strafbaren Handlungen genannt).

Bestimmungen im Dienste des Belästigungsschutzes sind im Strafgesetz und im Pressegesetz enthalten. Nach Paragraph 516 wird unabhängig von der Gewinnsucht des Täters der Tatbestand der Ärgernis-Erregung als Übertretung oder — geschieht er in Druckwerken — als Vergehen geahndet. Und die Paragraphen 37 bis 39 Pressegesetz ermöglichen die sofortige vorläufige Beschlagnahme.

Daher wird das neue Mediengesetz einen Vorgriff auf die Pornoreform leisten müssen. Dies schon mit Rücksicht darauf, daß sich die Problematik des Jugend- und Belästigungsschutzes bei der in die „normalen“ Kommunikationsmittel (Tageszeitung, Familienillustrierte) eingeschleusten Pornographie noch schwieriger gestaltet als bei den Lust-Gazetten, die sich als solche deklarieren.

Zu dem hier aufgezählten Normenbestand treten noch die Jugendschutzgesetze der Länder. (Der Landeshauptmann von Vorarlberg, Herbert Keßler, hat bekanntlich schon angekündigt, daß der Vorarlberger Landtag diese Schutzbestimmungen im Falle der Aufhebung des Schmutz- und Schundgesetzes verschärfen werde.)

Wieder einmal ist das Pornogesetz aus dem Jahre 1950 in die Schußlinie geraten. In der jüngsten Diskussion ist wiederholt darauf hingewiesen worden, daß an der Wiege dieses Gesetzes Leute gestanden seien, die man als Vorläufer der heutigen Gruppe um Martin Humer betrachten könne. Ferner ziehe der unbestimmte Begriff des „Unzüchtigen“ und die Schwierigkeit der Verfolgung eine unbehagliche Rechtsunsicherheit nach sich. Fachliche und praktische Argumente gab es nur wenige. Dafür wurde das Publikum mit Schlagworten beworfen:

• Von ^Meinungsfreiheit“, so als ginge es darum, Porno als wertvollen Beitrag zum demokratischen Meinungspluralismus zu schützen;

• von „Intimsphäre“, so als würde das Geschlechtliche als Reservat des Privaten und Individuellen in der Gesellschaft durch eine öffentliche Zurschaustellung aufgewertet;

• und schließlich — das Schicksal Egon Schieies bemühend — davon, daß man nur schwer entscheiden könne, wo Kunst aufhöre und Porno beginne. So als wäre die Brechung von Sex-Tabus der häufigste und wichtigste Fall, dessentwegen Künst-

ler nicht erkannt, mißverstanden oder gar verfolgt werden!

Professoraler Lehrstreit

Bei den einschlägigen Beiträgen in der Presse und Diskussionen im Fernsehen zeichneten sich folgende —vorerst noch vage — Reformvorstellungen ab:

• Die Forderung nach gänzlicher Freigabe der Pornographie. Das würde bei konsequenter Durchführung bedeuten, daß nicht nur das bisherige Pornographiegesetz, sondern auch die bereits angeführten Bestimmungen im Dienste des Jugend-und Belästtigungsschutzes aufgehoben werden müßten. (Ansonsten würde sich das vielfach für die Auf-

hebung ins Treffen geführte Definitionsproblem „Was ist Pornographie?“ bloß verlagern.)

• Die eventuelle Zustimmung der Opposition zu einer Freigabe von „weichen“ Pornoprodukten bei gleichzeitiger Verstärkung der flankierenden Maßnahmen zum Schutz der Jugend und der Öffentlichkeit. Dabei wurde nicht verraten, ob dies im Rahmen der schon bestehenden Normen des Straf- und Medienrechts oder der Jugendschutzgesetzgebung der Länder erfolgen soll, oder ob man an die Einführung neuer Bestimmungen denkt.

• Der vom freiheitlichen Abgeordneten Zeillinger ventilierte und vom Finanzminister Androsch als unzumutbar zurückgewiesene Vorschlag, Porno höher zu besteuern. ,,Was sich selbst als heiße Ware anbietet, soll dem höheren Steuersatz unterliegen“ (Zeillinger). „Das geht wahrscheinlich nur bei den großen Pornowerken“, gibt Kurt Neuner, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, zu bedenken. Bei der „Unzahl des kleinen Drecks“, bei dem sowohl Produktion als auch Verkauf nur schwer zu kontrollieren sind, „könnte die erhöhte Besteuerung den Schwarzhandel zum Blühen bringen“.

Bei der großen Enquete des Justizministeriums „über die Anwendung und Gestaltung des Pornographiegesetzes“ im Jahre 1970 war nicht von Aufhebung, sondern von Reform die Rede. Der Justizminister bezeichnete den Jugendschutz damals als „unsere vordringliche Aufgabe“ und sogar OGH-Präsident Franz Pallin anerkannte noch die Notwendigkeit, „die Jugendlichen gegen eine frühzeitige Konfrontation mit einer Vielfalt sexueller Eindrük-ke abzuschirmen, die sie psychisch nicht verarbeiten können.“

Dabei zeichnete sich in etwa jener Weg einer bedingten Freigabe ab, den der deutsche Gesetzgeber inzwischen gegangen ist. In der Bundesrepublik darf die Pornographie

• Kindern und Jugendlichen (bis 18 Jahren) nicht zugänglich gemacht werden;

• nicht ohne Verlangen angeboten werden (also beispielsweise nicht unaufgefordert als Werbedrucksache ins Haus flattern);

• und bleibt als „harte“ Ware (in Verbindung mit Gewalt oder dem Mißbrauch von Kindern) weiterhin verboten.

Was den jeweiligen Anlaßfall der Pornodiskussion betrifft, so war die Rechtsunsicherheit im Jahre 1970 größer als heute. Die damalige Diskussion, die weitaus sachlicher ge-

führt wurde, stand noch unter dem Eindruck des letzten großen Pornoprozesses im Jahre 1968. Oberlandesgerichtsrat Ingo Gutjahr, der sich mit seiner Führung dieses Prozesses auf einen Presse-Spießrutenlauf eingelassen hatte, mag für viele seiner Kollegen ein entmutigendes Beispiel gewesen sein.

Inzwischen wurden aber die Sittenzügel bereits weitestgehend gelockert. Zuerst bei den Sex-Filmen und bei der gedruckten „heißen“ Importware. Dabei hat sich in der Rechtspraxis ein Kompromiß herauskristallisiert, der den Filmverleihern und Kinobesitzern den Makel einer Verurteilung wegen Verbrechens erspart, das Produkt aber in einem „objektiven Verfahren“ für verfallen erklärt und aus dem Verkehr zieht.

Daß sich das Problem der Porno-Judikatur inzwischen weitgehend eingependelt hat, wird von dem in der Praxis darauf spezialisierten Landesgerichtsrat Adolf Ott vom Wiener Jugendgericht bestätigt: Da der Oberste Gerichtshof seit kurzem auch die Darstellung des Geschlechtsverkehrs nicht mehr als „von vornherein unzüchtig“ betrachtet, gebe es kaum noch Grenzfälle. Was im einzelnen als „harte Pornographie“ weiterhin beschlagnahmt werden müsse, sei aber weder zweifelhaft, noch setze sich der verfolgende Staatsanwalt oder verurteilende Richter damit der öffentlichen Lächerlichkeit aus. Auch auf dem Gebiet des Jugendschutzes sei momentan, so Ott, kaum „Rechtsunsi-cherheit“ konstatierbar: „Der- Paragraph 1 des Pornographiegesatzes, der den Verkauf mit Strafe bedroht, entfaltet hier eine Sperrwirkung. Wer gegen diese Bestimmung verstößt, wird sich hüten, auch noch den Tatbestand des Paragraphen 2 zu riskieren, indem er sein Produkt an Jugendliche verkauft.“ Dementsprechend selten seien auch die strafgerichtlich zu verfolgenden Fälle.

Auch der Durchschnittsbürger sieht sich heute durch das Schmutz-und Schundgesetz kaum noch mit einer „Rechtsunsicherheit“ konfrontiert (wie es überhaupt interessant wäre, zu überprüfen, inwieweit dieser Begriff hier bloß als Agitationsinstrument eingesetzt wird). Denn jeder weiß aus seiner eigenen Erfahrung, daß das Pornoregulativ in seinen Auswirkungen doch nicht so repressiv war, um jene „Liberalisierung“ verhindern zu können, die sich vor unser aller Augen an den Kiosken und in den Kinos vollzogen hat. Auf der anderen Seite war der bisher wirksame Rechtsmechanismus doch stark genug, um den Jugend-und Belästigungsschutz sicherzustellen. (Und damit stehen entgegen der Argumentation der Sozialisten sehr wohl Rechtsgüter auf dem Spiel.)

Das soll nicht heißen, daß nicht über Reform gesprochen werden darf. Wenn diese aber Verbesserungen bringen soll, dann muß sich die Diskussion auf dem Boden konkreter Konzepte bewegen. Und diese wurden bislang noch von keiner Seite vorgelegt.

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