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Darf der Staat alle Schleusen öffnen?

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Pasolinis Film „Salö oder die 120 Tage von Sodom“ hat vor zwei Jahren der seit 1970 fast eingeschlafenen politischen Debatte um den Themenkreis Pornographie einen neuen Anstoß gegeben. Der Film, der Diktatur und ihre Gewalt mit sexuell angereichertem Terror und Brutalität schonungslos verknüpft und bis zum Extrem verfolgt, wurde von der italienischen Staatsanwaltschaft verboten; dasselbe Schicksal ereilte ihn in Deutschland und auch in Österreich. Selbst „übera-le“ Kreise vertraten die Auffassung, daß es nach diesem Film kein Tabu des Darstellbaren mehr gäbe. - Vor einigen Tagen hatte der japanische Streifen „Im Reich der Sinne“ - dem Pasolinis an drastischer Darstellung ebenbürtig - in Wien Premiere.

In den letzten zwei Jahren haben sich auch die Inhalte der Pornographie sehr gewandelt beziehungsweise sind „reicher“ geworden. Die Pornographie muß nach den Worten des US-Staatsanwaltes Robert Kendall „ständig Neues bieten“; ein hartes Geschäft und ausschließlich auf Profitzwecke hinorientiert.

Dies ist die Lage der gegenwärtigen Gesellschaft, in der das Obszöne in alle Lebensbereiche eindringt und alle mit diesen Lebensbereichen verbundenen Personen berührt; auf der Straße, vor Kiosken, in Trafiken, bei Schaustellungen, in Druckwerken, im Film. Angesichts der Tatsache, daß selbst jene, die keinen Wert darauflegen, von Pornographie kontinuierlich berieselt zu werden, muß mit Recht die Frage gestellt werden, inwieweit nicht doch der Staat verpflichtet ist, Maßnahmen zur örtiiehen (auf Sex-Shops oder ähnliches) und zeitlichen (Fernsehpro-grammgestaltung) Eindämmung der Pornographie zu setzen.

Dies sollte besonders für jene Menschen in unserem Staat gelten, die aus irgendwelchen Gründen besonders schutzbedürftig sind: der Staat soll nicht durch Gleichgültigkeit die ungehinderte Ausbreitung einer herzlosen Gegenkultur fördern, die dem Unmündigen, den Rechten anderer schadet Es geht vor allem darum, Kinder und Jugendüche gegen die Pornographie abzusichern, sie vor den Gelüsten der Erwachsenen zu sichern, den Erwachsenen nicht Anleitungen für Techniken der Brutalität und Unterdrückung zu bieten sowie die Frau nicht zu einer Sache, zum Objekt sexueller Unterdrückung zu degradieren.

Dem Argument der Freiheit des einzelnen, der Information, der Meinungsäußerung, das heute überall und meist am falschen Platz gebraucht wird, muß entgegengehalten werden, daß es in einem Gemeinwesen keine absolute Freiheit geben kann: sie hat ihre Begrenzung in der Freiheit des anderen. Kein Liberalismus war je ohne Pflichten für das Gemeinwesen gedacht, die Freiheit in der Gemeinschaft wird mit Pflichten und Verantwortlichkeiten verknüpft.

Für die Grenzen der sehr heiklen künstlerischen Freiheit wird die Frage nach der Gesamtaussage des Werkes, ob es geeignet ist, Humanität und Menschenwürde zu verletzen, entscheidender sein als unter Umständen sogar die Wirklichkeitstreue. So wird zum Beispiel die Aufführung eines selbst künstlerisch hochwertigen Films, der Rassenhaß schürt oder zur Kriegshetze eingesetzt wird, sittlich und rechtlich unvertretbar sein. Anders zu beurteilen ist der künstlerische Porno, bei dem Pornographie ein Ausdrucksmittel für eine allgemeine, mit dem Pornographischen nicht unmittelbar verbundene Aussage ist, und die als Ganzes gesehen dem allgemein anerkannten ästhetischen Gefühl nicht widerspricht. Hier und auch beim unterrichtenden Porno - soweit er als Sachliteratur frei von Reiz und Uberreiz ist - fehlt die Rechtswidrigkeit, während das Tatbildmerkmal der Unzüchtigkeit zweifellos gegeben ist (Rittler, Strafrechtslehrbuch).

Immer wieder wird die „Mündigkeit“ des Menschen in die Pornodebatte eingebracht: man solle ihm die Beurteilung selbst überlassen (Warum

schmeichelt man dem Staatsbürger damit nicht auch bei der Steuermoral?) Pornographie werde ja nicht befürwortet. (So wie man die Abtreibung nicht befürwortet, wenn man sie freigibt.) Das ist aber ein Trugschluß: das Individuum muß alles neu erlernen, von Generation zu Generation. Die heutige mag gegenüber dem „prima-facie“-Porno schon immun sein, die neue kann es aber noch nicht sein! Es wäre ja gleichbedeutend, hier dem „mündigen Bürger“ die Entscheidung zu überlassen wie über Wert oder Unwert von Leben und persönlicher Freiheit selbstherrlich zu befinden.

Aufschlußreich dafür ist der Zusammenhang von Pornographie und der geistig-seelischen Gesundheit des Menschen, worüber Univ.-Prof. Primarius Dr. Heimo Gastager (Salzburg) bei der jüngst veranstalteten Enquete des Katholischen Akademikerverbandes der Erzdiözese Wien und des Katholischen Famüienverbandes referierte, die auf Initiative von Bischof Wagner als Auftrag des österreichischen Laienrates abgehalten wurde. Menschen mit stabiler Persönlichkeit und Partnerbeziehung zeigen nach der Konsumation von Pornographie in ihrer Einstellung dazu keine Änderung, manchmal nur kurzzeitig positive oder negative Stimulation; labile Persönlichkeiten mit instabiler Partnerbezie-

hung, denen eine bewußte Verarbeitung des Erlebten unmöglich ist, die Frustrationen und mangelnde soziale Integration aufweisen, zeigen konflikthafte Reaktionen bis hin zu Sexualdelikten (das besonders nach der Präsentation des sogenannten „harten Pornos“).

Besondere Bedeutung im Zusammenhang mit der heutigen Überflutung unserer Gesellschaft mit Pornographie muß der Familie zugemessen' werden, die über emotionelle, natürliche zwischenmenschliche Beziehungen mitteilen und nicht nur informieren muß: der durch Sexualerziehung in den Schulen unersetzbare intrafamiliäre Dialog, lebendig gestaltet und weder obszön noch verniedlicht, muß von klein auf - von der Geburt an - bei der Gewissensbüdung des heranwachsenden Menschen möglichst große Konfliktfreiheit beim Themenkreis Sexualität erzeugen. Nur so können die jungen Menschen immun und abgeklärt gegenüber der Pornographie werden, bei denen die aktive Verwendung von Pornographie wesentlich geringer ist als bei Erwachsenen (der Pornoladenbesucher ist der gepflegte Ehemann mittleren Alters, Mittelschicht). Was es gut, ist, die Jugendlichen nicht dem Dauereinfluß der Pornographie zu überlassen.

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