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Die f alsdie Emanzipation

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Ein erstaunlicher Meiniungswech-sel ist im Gange: verfolgt man die Stimmen genau, dann vollzieht sich derzeit in der Regierungspartei ein echter Unidenlkprozeß, Es ist keine Rade mehr von einer totalen Freigabe der Pornographie, also vom einer ersatzlosen Streichung der Straffoestimmiunigen des Schmutz-unld Schiundgesetzes. In der „Arbeiter-Zeitung“ melden sich SPÖ-Mit-glieder au Wort — unter ihnen auch Frauen, die sich nicht mit der Exaltation einiger nieulinker. Hitzköpfe abfinden wollen. Daher sei nochmals gefragt:

Soll die Jugend durch die Aufhebung der Fornogesetza wirklich in die Jauche von Unappetitlichkeiten und Gewaltszenen getaucht werden? Ist es des wirklich freien Menschen würdig, mit der Aufhebung des Schmutz- und Schundgesetzes dem Umtergeistigen und Unwerten alle Schleusen zu öffnen, womit selbst den dünnen Dämmen eines Belästigungsschutzes bloß eine formale Bedeutung zukäme? Die arbeitenden Menschen haben sich erfolgreich gegen ihre Ausbeutung gewehrt und nun sollen sie untätig zuschauen, wie skrupellose Profithyänen am Verlust jeder Selbstachtung und des einfachsten Anstandes arbeiten?

Schuldloses Nacktsein und die Selbstbefreiung aus Prüderie und Verklemmtheit sinid kein Alibi für enthemmtes Sextheater, das den Menschen heute schon oft in Illustrierten, in Kinos und, was zunächst die unterschiedlichen Bruta-liamen betrifft, im Fernsehen geboten wind. Wer die Intimsphäre zum Schauibudenistück diskriminiert, vernichtet idas Bild (auf deutsch: Image) der Frau in einer Zeit, da wir uns um ihre Gleichberechtigung und Gletehiachtuing bemühen.

Es ist ein Elend, wenn Juristen Pädagogik betreiben, als ob Rauch-fanigkehrer dn einem Auswaschen auch Knödel fabrizieren könnten. Sepp Rieder meint so leichthin, der „Buchklub der Jugend“ sei festgefahren und idie Jugend sei trotz der Schiundbücher nicht „verblödet“ und nicht „kriminell“ geworden („Zukunft“, 9/76). Daß untergeistiges Schrifttum und idie Tschinihum-Filme die Jugend im Wahrheit aber sehr wohl verblöden und sie zu Verbrechen anleiten, ist eine statistisch erwiesene Tatsache, die, man nicht leugnen, sondern nur bedauern kann.

Was wäre gewesen, wenn es keinen Buchlklub gegeben hätte? Die Initiatoren Baroberger und Jamfoor haben einein Werbefeldzug ohnegleichen für das gute Buch durch ganz Österreich geführt und Lehrer, Eltern und Kinder in tausenden Versammlungen zu einem literaturpädagogischen Unternehmen ohne Beispiel begeistert, eine richtige Volksbewegung durch Jahrzehnte hindurch begründet.

Freilich: Sepp Rieder bagatellisiert weiterhin die Sexhefte. Was scha'de schon die Betrachtung von Bildern mit sexuellen Betätigungen? Außerdem sei nicht zu befürchten, daß jemand danach „süchtig“ würde; Alkohol und Nikotin wären viel gefährlicher. Und die moralische Komponente? Offensichtlich ist es die Hauptsache, daß Zurschaustellung sexueller Vorgänge in allen Arten unld Abarten nicht ansteckend ist.

Nein, lassen wir uns nichts vormachen!

Es bedeutet keinen Fortschritt, die Tabus der Gesittung abzuhauen, und es ist kein Rückschritt, Gewalt und Gerneinheit in den Kommunikationsmitteln zu exkommunizieren.

Vor Jahren sagte der Strafrechtler, Professor Nowakowski, daß ^pornographische Produkte eine Gefahrenquelle“ seien, daß „Pornographie kultur- und enziehumgswidrig“ sei, „Pornographie erniedrigt“. Wieviel mehr müßten heute auch die Erzieher die Würdelosigkeit und Widerlichkeit dieser Angelegenheit erkennen?

Die Demokratie hindert uns keineswegs, Ordnung zu inachen. Es ist ein fatales Mißverständnis, ziu glauben, wir träten dem Freiheitsgedanken nahe, wenm wir der Gesellschaft Schranken auferlegen und zum Besen greifen. Warum schrecken wir zurück, den Augiasstall zu reinigen, nur weil wir fürchten, daß wir uns an der Freiheit „vergehen“?

Die Sozialisten huldigen der Freiheit nicht, um sie An bindungslose Zögelloslgkeit entarten und die politische Emanzipation auf allen Gebieten in kulturelle uirtd sittliche Auflösung versinken zu lassen. Sinnvolle Demokratie nützt ihre Freiheit nach allen Richtungen, sowohl zur Förderung von gemeinschaftswichtigen Belangen wie zu Schutz und Abwehr von dekadenten Erscheinungen.

Die ominöse Zensur unter dem Gesichtspunkt der Prophylaxe eines souverän entscheidenden Volkes demonstriert in einer dynamischen Demokratie die Wandlung vom Polizei-zuim pädagogischen Begriff. Eine Kommission unter Heranziehung eines Erziehungs- und Kulturrats (Eltern, Erzieher, Jugendvertreter, Psychologen, Soziologen), auf Zeit gewählt, würde, etwa dem Parlament und der Regierung verantwortlich, vernünftigere Vorschläge machen als Ministeriberater.

Die Demokratie kann sich der Aufgabe in Sachen von Schmutz und Schund, von Gewalt und Porno nicht entziehen, soll nicht der Trend zur Dekadeng und Abwertung aller Werte ihr kulturelles Anliegen in Frage stellen. Sozialismus verpflichtet gleich allen anderen Weltanschauungen.

Aber alle politischen Parteien — vor allem freilich die Regierungspartei — sollten den Mut aufbringen, einem falschen Liberalismus-Begriff dann eine Absage zu erteilen, wenn wesentliche Aspekte der menschlichen SelbstschJätzung gefährdet sind. Es ist in Wirklichkeit eine Tatsache, daß im Gnunda jeder Staatsbürger weiß, was „unzüchtig“ ist — offenbar wissen es nur nicht einiga wenige Juristen. Dazu kommt, daß selbst die derzeitige Rechtsprechung nach dem Schimutz- und Schundgesetz auf Grund oberstgerichtlicher Entscheidungen ziemlich klar abgegrenzt ist.

Wenn die Politiker — aller Parteien — also wirklich einen Beitrag zur wahren Emanzipation und zur Demictoratisierung in Österreich leisten wollen, dann sollten sie in dieser Frage nicht über die Köpfe hinweg nach einem angeblichen Zeitgeist entscheiden: sondern so, wie die Mehrzahl der österreichischen Bürger in allen Parteien wirklich denkt Es ist ein Gebot —■ nicht.nur der Fairneß — sondern auch der Demokratie — die Betroffenen zu fragen. Und ihnen keine sogenannte Freiheit aufzuzwingen, die in Wirklichkeit Zwang ist. Zwang zur Toleranz gegenüber dem Schmiutzkübelkapitalis-mus — der miesesten Form der Ausbeutung.

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