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Die Not der weiblichen Jugend

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Mit allem Nachdruck muß es gesagt werden: Die geistige und sittliche Situation der weiblichen Jugend stellt uns vor eines der kummervollsten und schwersten Probleme der Zeit . Gewiß sind Elternhaus, und Schule die natürlichen Umwelten des Kindes, und immer noch werden ein gutes Elternhaus und eine gute Schule die besten Lebensführer für einen jungen Menschen sein. Aber beide Institutionen sind in den vergangenen Jahrzehnten in weiten Bereichen angeschlagen worden. Während der nationalsozialistischen Zeit zum Beispiel mußte die Erziehung vielfach im Gegensatz zur Schule allein durch das Elternhaus geschehen, und hinwiederum heute muß es der Pädagoge in der Schule oft mit Bitternis und Trauer wahrnehmen, wie viel von dem, das in der Schule aufgebaut wird, gedanken- und skrupellos von Vätern und Müttern niedergerissen wird. Ein Großteil unserer Jugend leidet an den zerstörten Ehen ihrer Eltern. Der größte Feind der Erziehung ist aber heute leider das öffentliche Leben mit seiner Ehrfurchtslosigkeit vor den höchsten Werten des Menschen, vor Sittlichkeit, Vaterland, Recht und Religion. Der junge Mensch und insbesonders das Mädchen müßte mit übernatürlichen Kräften ausgestattet sein, sollte es in dieser vergifteten Atmosphäre ohne Schaden bleiben. Eine Flut pornographischer Literatur ergießt sich über die Straße. Seit den letzten Monaten mehren sich unablässig die Zeitschriften erotischen und pornographischen Genres, obzwar von öffentlichen und privaten Körperschaften immer wieder Einspruch erhoben und Abhilfe verlangt wird. Du sind die Kitschzeitschriften, Magazine und Schundromane, die periodischen Zeitschriften mit vorwiegend sexueller Problematik. — Eine kürzlich von den „Blättern der Katholischen Hochschuljugend“ veröffentlichte, auf Vollständigkeit keinen Anspruch erhebende Statistik zählte deren 32 — und das ist die Serie unverhülltester Pornographie- und Bordeiliteratur mit Aktphotos und Texten, die nicht mehr unterboten werden können.

Dazu kommt die verheerende Wirkung des Films, in dem bei Bestand einer sehr bescheidenen Zensur (Jugendverbot) noch immer der Schund triumphiert, der allen Verboten gegenüber in dem keiner Zensur unterliegenden Vor- und Beiprogramm sich auszubreiten weiß. Dieser Umwelt steht unsere Jugend wenig ausgerüstet mit innerem Wert, im allgemeinen sehr aufnahmefähig gegenüber. Es ist dann nicht zu wundern, wenn an höheren Schulen geklagt wird, daß der geistige Schwung fehle, wenn die Schülerinnen an den edlen Motiven wertvoller Literatur nur wenig inneren Anteil nehmen und diese nur als Kenntnisse registrieren. Bildung ist aber nicht nur geistiges Training, ist nicht allein Erwerbung von wissenschaftlichen Kenntnissen, sondern Formung des inneren Wesens zur sittlichen Persönlichkeit.

Bei einer Mittelschülerinnentagung katholischer Jugendführerinnen aller Wiener Schulen wurden folgende Fragen zur Beantwortung gestellt: Wie stellt sich das durchschnittliche Mädchen deiner Klasse zu Elternhaus, Familie überhaupt, Liebe und Brautzeit, Ehe, Liebe und Flirt? Sind die Mädchen deiner Klasse noch einer edlen Auffassung darüber zugänglich? Auf welche Weise konntest du ihnen zu einem idealen Denken und einer sauberen Haltung verhelfen? — Die Antworten waren im allgemeinen tief deprimierend. Oft war zu lesen, das Durchschnittsmädchen empfindet das Elternhaus lästig, kümmere sich nicht viel darum, nur inwieweit die Eltern überlistet werden müssen, um Geld und Erlaubnis für Vergnügung zu geben. Allerdings gab es auch viele positive Antworten, welche die Familie bejahten, als notwendige und wertvolle Einrichtung, wenige sehen sie religiös; ihre zukünftige Familie mit nicht allzuviel Kindern; der Wunsch nach einem mühe-

Der Aufsatz folgt einem Vortrag, der zum Thema auf der Ende Oktober stattgefundenen Tagung für Mädchenschutz und Bahnhofmission gehalten wurde.

losen und genußreichen Leben wird von nicht wenigen ausgesprochen. Jedem Widerstand wird aus dem Wege gegangen, ejn Großteil der Mädchen sieht die Brautzeit nicht mehr als Vorbereitung und vielfach veraltet an, Flirt wird wohl meist im harmlosen Sinne gemeint, aber als solcher fast durchwegs be- jaht. Nicht unübersehen soll der Satz eines Mädchens bleiben: „Seitdem in unserer’ Klasse eine Schundschrift über die Ehe dürch- gegangen ist, wollen viele nicht mehr hei-' raten. Im großen und ganzen aber denken sie gar nicht weiter, sie wollen nur heiraten, um Geld zu haben.“ — Auch die Möglichkeit, den Ehepartner zu wechseln, steht durchaus zur Diskussion. Im allgemeinen ist das tiefe Niveau und die große geistige Primitivität erschütternd, wie diese Fragen von Mädchen 7. und 8. Klassen behandelt wurden. Die Atmosphäre der Umwelt, Schundliteratur und Kitschfilm ist deutlich spürbar. Aber auch die angegebenen Versuche, dieser Auffassung entgegenzutreten und eine Atmosphäre der Reinheit und Sauberkeit zu schaffen, zeigen Schüchternheit und wenig Ideenreichtum.

Mit Recht wird heute der Erziehung zur Demokratie und Humanität, zur sittlichen und sozialen Persönlichkeit, zum edlen und guten Geschmack das Wort geredet. Ein großer pädagogischer Aufbruch geht heute' durch unser Schulwesen, das nicht in der Kenntnisvermittlung, sondern in der Erziehung die Aufgabe sieht; sicher wertvoll und gut, wir sind uns bewußt, daß auf dem Erzieher von heute eine ungeheure Verantwortung liegt, aber dann müssen wir es auch wagen, die letzten Konsequenzen zu ziehen und Religion nicht nur ein Auch- Dasein' unter anderen Gegenständen zu haben hat. Mit der Grundhaltung einer materialistischen Phi los o p h i e, die nicht nurunseröffen t lieh es Leben durchdrungen, sondern — gestehen wir es nur ein — selbst im religiösen Bereich Eingang gefunden hat, werden wir nie einen Neuaufbau vollbringen. Aber auch der gesamten Öffentlichkeit wird es zu Bewußtsein gebracht werden müssen, daß alle pädagogische Arbeit der Schule wenig wiegt, wenn wir mit der einen Hand aufbauen und mit der anderen zerstören. Nicht nur ökonomische und soziale Probleme stehen zur Diskussion, die Seele unserer jungen Generation ist in Gefahr!

Das Land Wien bereitet ein neues Kinogesetz vor. Bekanntlich hat das Unterrichtsministerium seinerzeit einen Entwurf zum Schutze der Jugend gegen Schmutz und Schund ausgearbeitet. Es ist wünschenswert, daß das Vernünftige geschehe und beide Instanzen in dieser so wichtigen Frage Zusammenarbeiten. Alle ehrlichen Freunde unseres Volkes sind hiezu aufgerufen. Es kann hier keine Parteiunterschiede unter anständigen Menschen geben. Zu begehren ist, daß in den Begutächtungs- kommissionen, welchen nach dem'ministeriellen Gesetzentwurf die Entscheidung über die Zulässigkeit von Druckwerken, Schallträgern und Laufbildern zukommen soll, der Frau aus dem Kreise der Pädagogik, Ärztinnen, Klubfürsorgerinnen eine entsprechende Vertretung gesichert werde. Wir hoffen, daß das neue Parlament dieses Gesetzehestens in Arbeit nimmt und verabschiedet. Die Zeit drängt.

Allerdings wird mit dem Gesetz und dem Verbot vergifteter Produkte noch nicht alles getan sein. Die Verantwortlichen aller Parteirichtungen — muten wir ihnen zu viel zu? — sollten sich alle darum bemühen, daß die öffentliche Meinung zur Sexualproblematik der Gegenwart eine ernsthaftere Stellung einnimmt. Denn auch eine Umerziehung der Erwachsenen ist am Platze. Niemand sage mir, daß die beklagten Übel nicht wesentlich verringert würden, wenn jeder einzelne den Mut hätte, gegen die Jugendverführung in Wort und Schrift, die sich in seiner Umgebung vollzieht, aufzutreten und sich selbst nicht die geringste Konzession gegenüber dem übel zu machen. Schaffen wir eine Atmosphäre des Guten für unsere Jugend, mit der negativen Kritik an ihr ist nichts getan.

Jedem einzelnen sei es ins Gewissen gerufen: Deine Verantwortung für unsere Jugend, und durch sie für Gesellschaft :und. Staat ist übergroß!

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