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„Sexklassiker“ und Pornoindustrie

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Pornographie hat es schon immer gegeben. Unserer Zeit aber blieb es Vorbehalten, aus ihr eine Ideologie zu bilden, ihre Bejahung zum Maßstabe für intellektuelle Reife und Fortschrittlichkeit zu machen, eine eigene Philosophie und Ästhetik der Obszönität zu entwickeln, wie das unter anderem bei Ludwig Marcuse, Peter Gorsen oder Susan Sontag der Fall ist.

Der Nutznießer des Sexsnobismus ist der Pornokommerz, der immer unverfrorener auftritt und die Blasiertheit der Intellektuellen als Sprengladung gegen den gesetzlichen Pornographieschutz sehr erfolgreich einsetzt. Darauf verweist auch Karl Korn, Kulturchef der wahrlich nicht prüden „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“:

„Haben wir wirklich keine geistigen und moralischen Positionen, die uns erlauben zu sagen, daß es bei dem Unternehmen Pornoindustrie um einen Riesenschwindel geht, um den Profit beutegieriger Hintermänner?“ Diese klare Aussage ist um so erfreulicher, als diese Zeitung nicht immer eine so eindeutige Stellung bezogen und an der „Masche“ des Obszön-Intellektualismus zuweilen recht eifrig mitgestrickt hat. Gerade sie lieferte vor einiger Zeit ein Bei spiel dafür (freilich aus der Feder eines anderen Verfassers), wie man pornographische Machwerke in den Rang hoher Literatur befördert und sie zum unerläßlichen Bildungsgute erhebt, somit der Pomoindustrie das Riesengeschäft sichernd.

Es handelte sich, um eine ganzseitige Rezension (Größtformat) über einige obszöne Trivialromane, worin die Intellektualisierung der Pornographie geradezu mustergültig erfolgte; es wurde aber zugleich auch in kompakter Form die angewandte Methode bloßgelegt und ein wertvolles Studienobjekt geliefert, das nähere Betrachtung verdient.

Überschwängliches Lob erntete vor allem die „Josefine Mutzenbacher“, jene erstmals 1906 erschienene fiktive Biographie einer „wienerischen Dirne“, als deren Verfasser Karl Kraus den sonnig-naiven Bambi- Autor Felix Salten entlarvt hat, und die, spätestens seit ihrer dümmlichen Verfilmung, weit über die Grenzen Österreichs hinaus zum „Sexklassiker“ wurde.

Dann wird der Rezensent grundsätzlich:

„Daß ,pornographische Phantasie’ eine hohe literarische Qualität sein kann, ist längst erwiesen … Porno- graphiekritik hat außerliterarische,

meist psychologische Kriterien einzubeziehen; zwischen .echter’ und .trivialer’ Literatur dürften ihr die Unterschiede nicht mehr so leicht fallen… die Philologie des kritischen Subjekts profitiert also von der Physiologie beim kritisierten Objekt — anders gesagt: der Porno beschert selbst den Pflichtlesern Lustgewinn … Ein seriöses Geschäft also doch…

Die Rechtfertigung tut not… Die wilhelminische Spießeraiternative hie Kunst hie Unzucht scheint neue Anlässe zu suchen… Aber diese Literatur (das heißt die Pornographie) hat unter den Literaturen, hierin dem religiösen Buch verwandt, die Sondersitzung (sic), viel intensiver als jedes andere gedruckte Produkt intimste Erfahrungen wachzurufen.“ Nun sind wir endlich so weit; wir hätten in dieser prallen Sammlung kühn gedrechselter Gemeinplätze etwas vermißt, wäre nicht auch noch die unerläßliche Gleichung zwischen Religiosität und Obszönität gezogen worden. Nachdem in durchaus ernst gemeinter Weise, zum mindesten in groben Umrissen, eine Philosophie und Ästhetik der Pornographie geliefert wurde, durfte deren Metaphysik nicht mehr fehlen.

Noch vor wenigen Jahren hätte ein

Rezensent verschämt einfließen lassen, daß er persönlich (wenn auch ohne moralische Bedenken) „über“ der Pornographie stehe, daß sie ihn zwar nicht schockiere, aber langweile, weil er „so etwas“ nicht nötig habe. Heute beeilt er sich,, das große Vergnügen, das ihm selbst die Pornographie mache („der Porno beschert selbst den Pflichtlesern Lustgewinn“) recht auffällig zu beteuern, aus Angst, sonst als rückständig, engherzig oder verklemmt zu gelten.

Er drückt sich zwar noch lateinisch aus, denn wenn auch ein richtiger moderner Intellektueller gegen das humanistische Gymnasium ist, beim Sex legt er gerne Bildung auf. Schließlich tut es aber dem Rezensenten doch leid, die erotische Fachsprache nur in lateinischer Verfremdung zu bieten, und so putzt er seinen Bericht durch zusammenhanglos eingefügte Zitate aus dem Wörterbuch des Wiener Sexualjargons auf, das Oswald Wiener für Mundart- und Sachunkundige der „Mutzenbacher“ beigegeben hat.

Pornographie als Pflichtlektüre und Ausdruck der Intellektualität: in solchen Denkansätzen, für die emsig ein mißverstandener Freud bemüht wird, und die von Reich, Adorno, Herbert Marcuse, Bloch und vielen anderen ausgiebig mit Argumenten beliefert werden, steckt die eigentliche Gefahr: sie erst verursachen den Verlust der geistigen und moralischen Positionen, und bahnen den Weg für den Porno- Kommerz.

Die Entlarvung des falschen Intel- lektualitätsanspruches (ebenso wie des falschen Sozialanspruches) ist die Voraussetzung einer erfolgreichen Abwehr der Pornograhie; das hat nicht zuletzt wieder die österreichische Pornographie-En- quete erwiesen, bei der, das muß offen gesagt werden, die Befürworter der Pornofreiheit viel intellektueller zu argumentieren verstanden als deren Gegner

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