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Der Schmutzkübelkapitalismus kommt

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ICH erinnere mich noch an die Zeit, in der ich mein Gerichtsjahr absolvierte. Es ist nämlich eine gute Einrichtung, daß jeder absolvierte Jusstudent für eine gewisse Zeit in der Praxis Rechtssprechung und Rechtsübung erleben kann.

Ich kam damals, es war in den frühen sechziger Jahren, an den Jugendgerichtshof in Wien, und dort in die sogenannte Schmutz-und Schundabteilung: wo man jenes Gesetz anwendet, das heute

als Pornographiegesetz in der Öffentlichkeit umhergeistert.

Dort hatte ich ein halbes Jahr lang Gelegenheit, mich mit den Problemen herumzuraufen, die die Rechtssprechung mit einem unklaren Gesetzestext hat. Ja, die Richter haben's nicht leicht, wenn sie nach allgemeinen Grundsätzen über das, was „unzüchtig“ ist, urteilen sollen.

Aber: dort lernte ich auch in der Praxis kennen, was Pornographie wirklich ist. Das ist ja

nicht der nackte Busen und auch nicht die freizügige Pose ... Pornographie ist — man soll das aussprechen — abgebildeter und gefilmter Geschlechtsverkehr, Geschlechtsorgane im Großformat, Abartigkeiten, die 99 Prozent aller Betrachter nur mit Ekel erfüllen.

Diese Tatsache wird von den öffentlichen Befürwortern der völligen Aufhebung des Gesetzes heute gar nicht erwähnt. Vielmehr argumentiert man emotionell: wer nicht permissiv ist, ist reaktionär. Wer gegen die übelste Form des Kapitalismus, gegen diesen wahren Schmutzkübelkapitalismus etwas sagt, der ist gegen die „Befreiung von Zwängen“.

Aber Freizügigkeit der Pornographie ist keine Befreiung von Zwängen, sondern vielmehr die übelste Form der Ausnützung und Ausbeutung — primär der Frau! Wo sind da noch die Ideale des Sozialismus, der sich einst für die Emanzipation auf die Schanze gestellt hat, gegen Frauenarbeit und Patriarchat kämpfte — wenn

man heute der Perversion an der Frau die Schleusen öffnet? Wo ist der anständige Sozialismus, wenn es gegen den miesesten Kapitalismus geht, der auf der Welt existiert?

Denn darüber müssen sich doch die Propagandisten im klaren sein: Österreich als einziges Land in Mitteleuropa ohne Schutzbestimmungen gegen Pornographie — das würde bedeuten, daß hier der wichtigste kommerzielle Umschlagplatz für Schmutz und Schund entsteht. Produktion in Österreich, Vertrieb und Export aber in den Ostblock, nach Jugoslawien und nach Italien ... ein Export, auf den wir dann stolz sein dürfen!

Nein, es geht wirklich um eine nüchterne Beurteilung der Problematik. Und deshalb ist mir auch der Vorschlag des FPÖ-Ab-geordneten Zeillinger so sympathisch, daß eine Besteuerung sehr wohl eine Form des Ventils ist — wenn sie neben einem wirksamen Belästigungsschutz und rigorosen Jugendschutzbestimmungen er-

lassen wird. Der Finanzminister macht es sich zu einfach, wenn er seinen Beamten eine Entscheidung über den Tatbestand der Pornographie nicht zutraut. Den Weg der scharfen Besteuerung ist man in Frankreich schon gegangen — und aus den Fehlern der Franzosen könnte man hierzulande ja auch lernen. Man kann nämlich sehr leicht die inhaltlichen Tatbestände der Pornographie festlegen: weil die biologischen Variationen eine taxative, ja eine praktisch vollständige Bezeichnung ermöglichen. Und man kann noch immer eine Expertenkommission feststellen lassen, was wirklich Kunst ist. Und abgesehen davon: warum soll ein Käufer, der partout pornographische Kunst kaufen will, nicht mehr zahlen?

Nein, die Frage ist weder ein Tabu, noch muß man unbedingt Weltanschauungen bemühen.

Es geht schlichtweg um die Vernunft — und um das, was der Volksmund noch immer treffend als „Anständigkeit“ bezeichnet.

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