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Deutungen eines Couragierten

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ÜBER MODERNE LITERATUR, Standorte und Deutungen. Von Paul Konrad Kurz. Knecht-Verlag. 335 Seiten. Band II. Zirka DM 28.—.

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ÜBER MODERNE LITERATUR, Standorte und Deutungen. Von Paul Konrad Kurz. Knecht-Verlag. 335 Seiten. Band II. Zirka DM 28.—.

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Der Name Paul Konirad Kurz ist spätestens seit der Herausgabe des ersten Bandes „Standorte und Deutungen“ zu einem Begriff geworden. Die Betrachtungen des klugen Jesuiten sind in mehrfacher Hinsicht interessamit. Einmal weil Mer ein Literaturwissenschaft!er von hohem Rang es tatsächlich wagt, die Phänomene des literarischen Lebens der unmittelbaren Gegenwart unter die Lupe zu nehmen und somit in einer Zeit, in der pluralistische Wurstigkeit die Urteilsfähigkeit und das Geschmacksempfinden der kunstkonsumierenden Zeitgenossen paralysieren, richtunggebende Urteile abzugeben, zum anderen weil hier ein engagierter Theologe die Herausforderung einer konsequent nach links treibenden und sich treiben lassenden Intelligenz nicht nur als solche erkennt, sondern sie aufnimmt.

Dies aber nicht in der Haltung des beleidigten Katholiken, der, ver ärgert darüber, daß niemand mehr etwas Positives, Erhebendes, in Wort und Schrift über den Menschen und seine Welt zu berichten weiß, die Literaten aus seiner christlichen Benevolenz entläßt und samt den unbequemen Geöellschaftsinge- n-ieuren zum Satan schickt, sondern in der ungewöhnlichen Haltung eines couragierten Katholiken, der nicht bereit ist, die Gleichung Christ = rückschrittlich = illiterat = unkritisch so ohne weiteres zu unterschreiben. Kurz geht also von der Defensive — die Schuld der Christen Rückständigkeit betreffend wird da und dort vor allem in Zusammenhang mit politischen Fragen schonungslos zugegeben — in die Offensive. Es erweist sich nämlich dem kritischen und fairen Betrachter, daß nicht von vornherein die Dummheit der Christen, sondern das Phänomen der Spezialisierung als Trend der Zeit zur Spaltung auf allen Linien geführt hat. Die Verwissenschaftlichung der Theologie drängt diese immer mehr in den Bereich einer eigenen Disziplin, die oft sehr differenzierten Bemühungen um eine neue Sprache läßit auch diese immer mehr zum Besitz einer Kaste von Literaten und Kritikern werden, die diese so geschaffene Hermetik noch begrüßen, anstatt zu versuchen, sie abzubauen. Die gewiß nicht rhetorische Frage Panai Konrad Kurz’, was denn der durchschnittliche Schriftsteller von der Entwicklung moderner Theologe wüßte, über die Veränderung des theologischen Welt- veratäindnisses bis hin zu einer politischen Theologie, über neue Erwägungen zur Sakramententheologie, über Prinzipien der Hermeneutik usw., bleibt im Raum sitehen, vielleicht als Anklage, vielleicht zunächst einmal nur als unschuldig geringeltes Fragezeichen. Aber es erscheint zumindest einmal wichtig und verdienstvoll, daß jemand diese Frage überhaupt stellt.

Freilich ist die Krise der Sprache nicht nur allein das Problem der Christen. Sie wird nur da besonders deutlich wo ein geschlossenes System vorhanden ist, ein Sprachschatz jahrhundertealter Wendungen, zu dem man immer wieder zurückkehren kann, wenn eine Alternative sich als ungenügend erweist. Daß die Alternative sich selbst bei größtem Aufwand von Goodwill als ungenügend erweist ist unübersehbar, Kurz bietet klugerweise keime Symptomkur am, mam spürt nur da und dort zwischen den Zeilen leises Bedauern über Entwicklungen, deren Wurzeln tief im Vergangenen liegen und die nicht mehr zurückzunehmen sind. Hervorziuheben in diesem Band ist neben einem Essay über die Lyrik nach 1945 ein Aufsatz über brecht, der vor allem deshalb bemerkenswert ist, weil einet dem Phänomen Brecht adäquate Beurteilung von seiten eines Katholiken wahrscheinlich eine Seltenheit ist. Interessanterweise bagnügit sich Kurz nicht mit der lapidaren Feststellung, zu der man sich heute allenthalben schon herabläßt, „Stücke schreiben hat er können, aber ein Kommunist war er“, sondern begreift vor allem die historischen und psychologischen Voraussetzungen, unter welchen ein solches Werk entstehen konnte. Er beläßt die Gestalt in jenem Zwielicht, zu der die Famatik des Revolutionärs ebenso gehört wie die orthodoxe Starrheit des Stalin-Anhängers und Ulbricht-Freundes, zu dessen Dichtung Anmiut und Sehnsucht nach Wahrheit, Schönheit und Liebe ebenso gehören, wie die hölzerne Moral von der Geschichte, die im Parteiprogrammen besser nachzulesen wäre.

Ob Brecht ein Opportunist war oder ob er nicht gesehen hat, wohin der Karren läuft, ist heute uninteressant Interessant ist, daß es da einiges in dieser Dichtung gibt, das heute' wirkt, wie ein mit einer leichten Staubschicht bedecktes Requisit aus Großmamas Komode. Die Tendenz etwa das Böse, einzig und allein auf soziologische Ursachen zurückzu führen, hat etwas von der Bartnäk- kigkeit mit der Kinder sich den lieben Gott mit Bart oder die Mutter- gottes im blauen Mantel vorstellen. Der Forderung Güte zu institutionalisieren steht heute der Schrei nach weniger administrativer und mehr menschlicher Versorgung diametral entgegen.

Kurz interpretiert die Brechts che Heilssehnsucht selbstverständlich vom Standpunkt des Katholiken. Daß er ihn dabei nicht „heimholt“, der gewaltigen Energie, mit der Brecht seine Bilder vom besseren Leben dichtet, ims Dramatische umsetzt, Respekt zdllit, spricht abermals für dem Dichter, Schriftsteller und Kritiker Kurz. Mit Spammumg sieht mam einer Fortsetzung der „Standorte und Deutungen“ entgegen, die hoffentlich nicht allzu lange auf sich warten lassen wird.

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