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Ein Fanatiker der sozialen Not

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Durch seine Frau haben wir Kenntnis von einem Wort erlangt, das schlag- iichthaft Einblick in die Widersprüche und Brüche seiner Seele gibt, das aber zugleich auch von der Vorurteilslosigkeit und Distanziertheit seines Denkens Zeugnis ablegt. Wie eine Vorwegnahme neuerer, humanerer Formen des Rechtsempfindens und des Rechtsvollzugs mutet es an, wenn der frischgebackene Untersuchungsrichter seinen Ekel vor der sogenannten guten, ihrer Schuldlosigkeit allzu gewissen Gesellschaft nicht mehr unterdrücken kann und sich den Mörder, den er soeben verhört hat, als Gast an seinen Tisch wünscht: „Hinter dem können sich ja fast alle verstecken, die sonst daran sitzen.“ (Werke VI,281)

Solch unverblümter Affront gegen die bürgerliche Gesellschaft verdeckt bei Anton Wildgans, dem eine lesėfaule Kritik leichtfertig ein Pathos der Angepaßtheit vorgeworfen hat, keineswegs den Mangel an Wert- und Traditionsempfänglichkeit. Im Gegenteil. Der Affront entspringt bei ihm dem Wissen um die Bedeutung des überlieferten Kanons der bürgerlichen Kultur, den er durch die Auswüchse einer Gesellschaft in Frage gestellt sieht, in der Verlogenheit und Lieblosigkeit, Selbstsucht und Verhärtung des Gewissens, Inhumanität und Brutalität, die Armut des Geistes wie des Herzens allmählich die Oberhand bekommen. Er war Bürger durch und durch. Deshalb griff ihm das Unrecht ans Herz, in das Bürger sich setzten.

Er, der Sohn eines höheren Ministe- rialbeamten, war unter den Weißgerbern und in der Josefstadt aufgewachsen, in zwei altbürgerlichen Vierteln der Haupt- und Residenzstadt Wien also, war Schüler des legendären Gymnasiums der Piaristen, Absolvent der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, durch den Tod des Vaters verarmt, daher vorübergehend im Vorbereitungsdienstauf das Richteramt, dann zweimal als Direktor an das Burgtheater berufen, dazwischen freier Schriftsteller.

Ein verhältnismäßig gesichertes Leben in respektabler Höhenlage der Gesellschaft, wenn man so will. Aber.von stets überwacher Aufmerksamkeit, von unermüdlichem Engagement für die unterprivilegierten Schichten erfüllt, für die Entrechteten, Enterbten, Hoffnungslosen, Gefallenen. Ein Dichter, dem die Not der Menschen, ihr Leiden und ihr Verzweifeln die Zunge gelöst und sein Verantwortungsgefühl geweckt haben. Einen „Fanatiker der sozialen Not“ hat er sich selbst genannt. Das stand damals, zumal unter seinesgleichen, noch durchaus nicht auf der Tagesordnung. Jedenfalls war es noch weit bis zum Modediktat sozialengagierter Kunst.

Worum es Wildgans gegangen ist, das waren nämlich weder spektakuläre Revolutionen des Gesellschaftsgefüges, noch das Um- und Neugestalten der Ausdrucksmittel von Kunst, sondern eben die Erneuerung des Menschen von innen her. Sie hat er als Vorbedingung jeder sozialen Veränderung angesehn. Sie deshalb auch zum Ziel seines Denkens und Dichtens gemacht, das nur durch das Zusammenfassen und Intensivieren aller Ausdrucksmittel zu erreichen ist; jedenfalls ganz und gar nicht im Leerlauf eines artifiziellen Spiels.

Was keinen Bezug zur Wirklichkeit hatte, das war für ihn ebenso wenig existent wie ein Leben ohne ethische Normen, ohne Gnade, ohne Gewißheit in Gott. Ohne sie gibt es keinen Zugang zu seiner Kunst; denn diejst immer und überall als engagierte Kunst zu versteht, trotz strengster Selbstzucht und Kontrolle.

Das hat bereits Stefan Zweig anläßlich der Besprechung des Gedichtbuchs „Und hättet der Liebe nicht“ erkannt, wenn er ihm die Verschmelzung von „lebendigster und regsamster Unmittelbarkeit . .. mit artistisch-strenger dichterischer Form zu einer Zweieinigkeit“ bescheinigt. Kurz und gut: Wildgans erteilt seine Lektionen an Gesellschaftskritik in dem für ihn so charakteristischen Sprachbrokat, in jenem feingewirkten, in all seinen Nuancen und Schattierungen aufeinander abgestimmten Gewebe aus Bildern, Sinnbildern, Redefiguren und Metaphern also, das seine Zeitgenossen teils berauscht, teils gegen sein Dichten und ihn selbst aufgebracht hat.

Dieser Prunk, dieser Glanz ist es vermutlich, der die innere Spannung, die Ambivalenz seiner Sprache überstrahlt. So hat man seit eh und je glatt- wegs übersehen, daß Wildgans, annähernd zur gleichen Zeit wie Kraus, aber offenbar unabhängig von ihm ein eigenes Verfahren entwickelt hat, die Alltagssprache in die poetische Sprache einzubringen, um beide durch solchen Kontrast schärfer hervortreten zu lassen oder - will man einen der gängigen Ausdrücke der alexandrinischen Schule der Gegenwart dafür gebrauchen - um beide gegenseitig zu verfremden. Natürlich sind das keine wörtlichen Zitate, aber es sind stark verdichtete Kondensate von Erlebtem und Aufgeschnapptem. Das schmeckt entschieden nach Protest; allerdings nach einem, der zugleich mit der Gesellschaft auch den Ästhetizismus mit aufs Korn nimmt, der sich gegen diese richtet.

Ursprünglich gehört der frühe Wildgans, der Wildgans um die Jahrhundertwende nämlich, dem Kreis um Jung-Wien an. Zumindest, was sein Bekenntnis zum Artifiziellen, zur Dominanz der Form (und der Einfälle) vor den Inhalten betrifft. Es gibt aus dieser Zeit eine Anzahl von Skizzen, aber auch von zuendegeführten Erzählungen, die den Einfluß der Jung-Wiener, vor allem deren Neigung zu überraschenden, nicht alltäglichen Handlungsverläufen und zur mehrfach gebrochenen Fabel belegen.

Um nicht mißverstanden zu werden: diese Gruppe vertritt nur zum Teil und da nicht immer einheitlich den Standpunkt des L’art pour Tart. Denn selbstverständlich hat sie die Artistik, das in unentschiedener Schwebe Verharren des absichtslos Schönen, ebenso als Protest gegen eine sinnentleerte Welt, gegen eine seelenlose, nur mehr der technischen Perfektion huldigende Gesellschaft verstanden, wie die Expressionisten den Schrei und die Ekstatik.

Was ihn jedoch allmählich in Gegensatz zu der Kunstphilosophie des Kreises um Jung-Wien bringt, das ist die Übermacht des in ihm sich meldenden Realitätsprinzips. Wie Hermann Broch dreißig Jahre danach, erkennt Wildgans, daß er sich der immer bedrohlicher werdenden Wirklichkeit’zu stellen, sich mit ihr auseinanderzusetzen hat. Im Dienst der Humanität. Demgemäß beginnt er auch, an der Bedeutung und dem Auftrag des Dichters zu zweifeln, zu verzweifeln.

Wie eine Vorwegnahme erst unlängst bezogener Standpunkte mutet es an, wenn er, für den die „Schönheit įeines Gedichts… mit der Gültigkeit seines Inhalts" zusammenhängt, bereits 1925 in einem Brief an den Grafen Kälnoky schreibt: „Ich habe mich nie als Dichter gefühlt. Ich bin nur einer, der manchmal Menschliches auszusagen hat und sich dazu jenes Instrumentes bedient, das er verhältnismäßig am besten beherrscht.“ (Briefe 111,78)

So sehr das Dokumentarische in seinem Werk auch vorherrscht, so wenig begnügt er sich mit dieser Dimepsion allein. Selbstverständlich kann man den „Kirbisch“ auch auf solche Art lesen. Nicht wenige Bewohner von Mö- nichkirchen haben sich - peinlich be- rührt - in den Gestalten des Hexameterepos wiedererkannt. Doch ist es ihm eben nicht allem darum gegangen, „an dem moralischen Niedergang eines Dorfes während des Krieges den ganzen moralischen Zusammenbruch der Welt aufzuzeigen“ (Briefe 111,29), sondern durchaus um ästhetische Kategorien.

Das belegt das harte und beharrliche Ringen um die endgültige Gestalt gerade dieses Werks, das zu den bedeutendsten Versepen des 20. Jahrhunderts zählt. Sein Zauber, seine Faszinationskraft gehen nicht zuletzt von dem Versuch aus, auch die moralische Verworfenheit und Verkommenheit so zu gestalten, daß man ihnen dennoch ästhetische Reize abgewinnen kann. Diese Widersprüchlichkeit des Vorwurfs hat den Dichter bis hart an die Grenzen des im episch-dramatischen Gedicht noch Darstellbaren geführt und ihm einen eigenartigen Stil abgefordert, der zwi- .» nen Groteske und kaustischem Hu- ior angesiedelt ist.

JÄ. uch auf dem Theater ist er durchaus eigene Wege gegangen. In deutlicher Gegenbewegung zum Geist der Zeit, hat er eine Art von Stildrama geschaffen, in dem alles vordergründig Reale zur Allgemeingültigkeit überhöht worden ist. In diesem Bekenntnistheater sollen alle Wirkungen vom Wort ausgehn und - wie er an Hofmannsthal schreibt - das Schauspielerische nicht mehr als eine Reflexbewegung sein, „mit der die Körper auf die Erregungen und Erschütterungen der Seele sich selbst antworten.“ (Briefe 11,1880

Im Grund also Monolog, lyrisches Drama, Gedicht, vielleicht seine Version der Sprachgebärde, die er im „Schwierigen“ abgelehnt hat. Im seraphisch-hymnischen Tonfall mancher seiner Schlußbilder ist all das so sehr ins Opernhafte übersteigert, daß unsere an Dissonanzen geschärften Ohren den Realitätsbezug darin ganz einfach überhören.

Und doch ist er vorhanden, oft durch Ironie gespiegelt und gebrochen, manchmal beinahe dokumentarisch, aber in der Problemstellung von stets unerhörter Hellsicht. Das belegen die frühen Einakter ebenso wie die’fünf Akte der bürgerlichen Tragödie „Dies irae“. In kühner Vorwegnahme von Erkenntnissen der perinatalen Medizin, sind hier Vater und Mutter eigentlich schon vor der Geburt ihres Kindes schuldig geworden. Abweichend vom üblichen, zumal seit Hasenclevers Erfolgsdrama gängigen Schema, beginnt für Wildgans „die Verantwortlichkeit der Eltern .. .nicht erst gegenüber dem geborenen Kinde, sondern bereits gegenüber dem noch ungeborenen.“ (Briefe 111,318)

Vielleicht war seine Hellsicht einfach zu groß, als daß sie den Verdunklungstendenzen der Zeit und des Geschmacks hätte genehm sein können. Sein Kampf gegen das Regietheater, dem er in zweimaliger Amtszeit als Direktor des Burgtheaters Gesundheit, Lebens- und Schaffenskraft geopfert hat, ist so gut wie folgenlos geblieben. Das Bekenntnistheater findet - ideologisch untermauert - höchstens in den Programmheften statt, längst nicht mehr auf der Bühne.

Denn dort ist - diesmal freilich mit anderen Vorzeichen - der Anschluß vollzogen worden: man will da von ihm keine Notiz mehr nehmen. Keines seiner Stücke steht auf dem Spielplan des Hauses, das ihm, wenn schon nichts anderes, so doch zumindest die Gründung des intimeren Theaters im Akademiegebäude zu danken hätte. Nichts. Keine Matinee zur 100. Wiederkehr seines Geburtstags. Nicht einmal ein Kommentar der Direktion. Die Bühne verdunkelt sich. Dem Publikum geht ein Licht auf.

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