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Vom Ethos der Sprache

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“Welch ein Stil des Lebens möchte sich entwickeln, wenn der Deutsche keiner anderen Ordnung gehorsamte als der Sprache. Kari Kraus

Wer Karl Kraus nur als Pamphletisten kennt, als Herausgeber von siebenunddreißig Jahrgängen der „Fackel”, auf deren Erscheinen der als „Gog und Magog” von ihm apokalyptisch geschaute Zeitgenosse jeweils wartete, um sich selbst als die von Kraus „gepeitschte Zeitmaterie” zu belachen und sich an seiner eigenen Verwesung zu wärmen, der kennt ihn nur halb. Denn der Satiriker ist, nach Kraus’ eigenem Wort, nur der gewendete Lyriker. An dem Fall Nestroy hat er den Nachweis erbracht —, und zwar nicht bloß auf dem Papier, sondern in zahllosen Vorlesungen Nestroyscher Possen, für deren Vermittlung, nein, Verwesentlichung er zuständig war wie keiner — daß der Humor in ihm „konzentriertester Spiritus” war und daher auch den echten Lyriker ergab.

Denn was wäre Lyrik anderes als der aus einem gegebenen, auch banalsten Anlaß gehobene erlösende Gedanke, um ihn in das einzig gemäße, unwiderrufliche Wort zu kleiden, oder, besser gesagt, hineinwachsen zu lassen, denn das Wort ist ja nicht bloß das „Kleid, sondern die Haut des Gedankens.”

Hat man Kraus’ Verwandlung in den Lyriker, der er immer gewesen ist, nicht als eine „Alterserscheinung” abtun wollen? Von ihm, der als einer der wenigen sich selbst ein langes Leben lang treu geblieben ist, hat man die anfangs angenommene Rolle immer wieder verlangt, ohne zu ahnen, daß die eigene Konsequenz nur der Schein einer solchen war, der völlige Mangel an geistiger und wesenhafter Substanz: denn wer selbst nichts ist, kann leicht konsequent sein.

Die Öffentlichkeit, dieses von ihm stets und sogar in seiner Anhängerschaft an ihn gehaßte Publikum, war ihm dennoch Lebensnotwendigkeit, aus ihr schlug er die Funken, an denen sich sein Geist entzündete. In diesem höchsten und einmaligen Sinn war er selbst, der große Gegner der „Journaille”, Journalist, das heißt der Mann, dem der geringste Anlaß groß genug war, ihn in die Sphäre des Geistes zu erheben und so verwandelt in die Ewigkeit eingehen zu lassen.

Daß der Satiriker auch, ja eigentlich, ein Liebender ist, kann einer Menschheit nicht eingängig sein, die gegen sich selbst, mit Recht, von Mißtrauen erfüllt ist.

„Die sittliche Position, deren keine andere Lebensäußerung so wenig entraten kann wie die Satire, die Ehrfurcht vor irgend etwas, dem das satirische Opfer dargebracht wird, das Sichselbstverleugnen und Sichselbst- bekennen, mangelt denen, die kein heiliger Geist je als der Zeitgeist inspirieren könnte.”

So zahlreich auch die Anlässe sind, bei denen Kraus, oft unter den scheinbar alltäglichsten Titeln wie: „Sprachlehre für die Nationalbank”, „Handel mit Sprachgut” oder „Schändung der Pandora” bis zu den Wurzeln der deutschen Sprache vordringt und vor geheimnisvollstem Hintergrund die Wechsler und Händler ihre Tänze um das Goldene Kalb aufführen läßt, eine programmatische Aussage unter dem Titel „Die Sprache” findet sich nur einmal in knappster Form.

Er war eben als echter Polemiker (und Lyriker) zu sehr dem konkreten Anlaß verhaftet, mit dem zusammenzustoßen ihm Lebenselement war. Kampf, schärfste dialektische Auseinandersetzung, nicht Abstraktion und Doktrin waren es auch, die ihn immer wieder vom Schreibtisch, wo er es bequemer hąben konnte, an den Vorlesungstisch trieben, um dort Brust an Brust mit einem Publikum zu ringen, dem er, wenn es not tat, weder Tadel noch Hohn ersparte. Und solcher Einsatz seiner Person setzte ihn oft genug auch tätlichen Insulten aus.

Als Leitsätze könnte man seiner Abhandlung über „Die Sprache” jene Gedanken John Ruskins voransteilen, die Kraus selbst in tiefem Einverständnis zitiert:

„Es steht fest…, daß die Kunst einer Nation der Ausdruck ihres ethischen Zustandes ist.”

„Die Hauptfehler unserer Zivilisation sind auf die Annahme zurückzuführen, daß eine edle’Ausdrucks weise ein — erlernbarer Kunstgriff sei, ch sie doch nur der sorgfältige Ausdruck eines richtigen Gedanken ist. Alle Vorzüge einer Sprache wurzeln in der Moral.”

„Solange unsere Worte unserem Glauben entsprechen, solange kann sich die Kunst der Sprache veredeln. In dem Augenblick, da sie nach äußeren Grundsätzen geformt wird, wird sie flach …”

Sprache als Gestaltung und Sprache in ihrer Funktion als Mitteilung scheint, nach Krauį verschiedenen Welten anzugehören. Und doch ist es dieselbe Naturgesetzlichkeit, die in jeder Region, „vom Psalm bis zum Lokalbericht” waltet. Die moderne Sprachwissenschaft mag die schöpferische Notwendigkeit über die Regelhaftigkeit stellen, dem Sprachwesen ist sie dadurch nicht nähergekommen. Die „Verantwortung der Wortwahl” ist die schwierigste, die es geben sollte und heute die leichteste, die es gibt. Nur die geistige Disziplin gegenüber dem Sprachgut, dem einzigen, das ungestraft verletzt werden kann, gibt die Gewähr, auch vor anderen Lebensgütern Respekt zu lernen.

Für Kraus ist der „sprachliche Zweifel” die einzige Sicherung im Moralischen. Alles leichtfertige Sprechen und Schreiben hat die Sprache zum „Wegwurf” einer Zeit gemacht, die ihr Erlebnis von der Zeitung bezieht. Nur der Zweifel, das heißt die Verantwortung, wäre noch Rettung vor einem „Fortschritt”, der mit absoluter Sicherheit zum Ende einer Zivilisation führt, der er angeblich dient. Es scheint, als hätte ein Fluch jenen Teil der Menschheit, der deutsch spricht, für das „Geschenk gedankenreichster Sprache” gestraft: „Zu denken, nachdem sie gesprochen, zu handeln, ehe sie befragt hat.” Sprachliche Vollkommenheit ist unendlich mehr als etwa Befriedigung eines ästhetischen Bedürfnisses. Denn die Sprache hat es, kraft ihres elementaren Ursprungs, „vor ihrem Sprecher voraus, sich nicht beherrschen zu lassen”. Nur in der Haltung der Ehrfurcht kann man sich ihr nähern. „Abgründe dort sehen zu lernen, wo Gemeinplätze sind — das wäre die pädagogische Aufgabe einer in Sünden erwachsenen Nation …, wäre Erlösung der Lebensgüter aus den Banden des Journalismus und den Fängen der Politik.”

Es ist die Sprache, die zum geistigen Menschen macht, mehr als alle Wissenschaft, die sich ihrer bedient.

„Geistig beschäftigt sein… ist jene Erschwerung des Lebens, die andere Lasten erleichtert.”

„Volk der Dichter und Denker: seine Sprache vermag es, den Besitzfall zum Zeugefall zu erhöhen, das Haben zum Sein.”

Hier ist die ästhetische Sphäre, in deren Immanenz sich heute viele wohnlich eingerichtet haben, in reifer Erkenntnis überwunden, ihr ist ausdrücklich widersagt. In seinen „Stadien auf dem Lebensweg” ist Kraus in entschlossenem Aufbruch in den Bezirk der Ethik eingetreten, jene „Erschwerung des Lebens” damit auf sich nehmend, aber doch mit dem Ausblick auf die dort verheißene „Fülle entbehrten Glücks”. Im Bewußtsein dieser Sendung, des von oben übernommenen Auftrags hat Kraus auch die Beziehung zu dem überweltlichen Gott hergestellt: „Und hörten die Zeiten nicht mehr, so hörte doch ein Wesen über ihnen.”

Eine tiefe Gemeinsamkeit verbindet die Stellung des Christen in der Welt mit der des sittlichen Kämpfers: Es ist die scheinbare Aussichtslosigkeit der Aufgabe, das Stehen auf anscheinend verlorenem Posten, das in beiden Fällen zum Gesetz erhoben, zur paradoxen Erfüllung aufgegeben scheint. Hier kann sich durch Erhebung des Problems auf die religiöse Ebene eine Klärung ergeben, doppelt bedeutsam im schicksalhaften deutschen Lebensraum, dessen Abfall Kraus in so erschütternder und, wi wir heute wissen, prophetischer Weise beschwören wollte, ohne ihn freilich aufhalten zu können.

Für den Christen bestimmt sich auch sein Verhältnis zur Sprache durch das ewiggezeugte Wort des Vaters, in dem Er die Welt erschuf und die gefallene erneuerte.

Nach Ferdinand Ebners tiefgehender Deutung ist die Sprache der gültige Ausdruck dessen, daß der Mensch als Person auf ein personales Gegenüber angelegt ist: zunächst auf Gott und dann auf dessen Ebenbild, den anderen Menschen. In der Sprache ist ihm die Möglichkeit gegeben, die erbsündige Verschlossenheit zu durchbrechen und die gesamte Umwelt zu erreichen, sogar die unvernünftige und leblose, die er durch Anruf und Benennung gleichsam geistigerweise nochmals erschafft. Auf diesem geheimnisvollen Ursprung der .Sprache beruht die Forderung ihres’ ehrfürchtigen Gebrauches, aber auch als Folge des Abfalls der Verlust eben dieser Fähigkeit. „Denn die äußere Verständigung ist das Hindernis, das die Sprache zu überwinden hat.” (Kraus, ebenso die folgenden Zitate.)

Das schöpferische Wort wird zum gedankenlosen Verkehrsmittel, ja zum Instrument der Lüge, in der die Sprache ihren Charakter als „sacramentale” der Schöpfung vollends verloren hat und zum Machtmittel der Dämonie geworden ist. Die Technisierung aller Lebensbereiche hat dem Sprachgeist endgültig das Lebenslicht ausgeblasen und

„jenen Tiefstand der Menschheit” bewirkt, über den sie sich mit keinem „technischen Hochflug” hinwegtäuschen kann.

Nur in seltenen Augenblicken noch ist es dem staunenden Menschen gegeben, die Wunder der Sprache zu erleben und anderen zu vermitteln!

„Wenn nach Iphigeniens Bitte um ein holdes Wort des Abschieds der König „Lebt wohl” sagt, so ist es, als ob zum erstenmal in der Welt Abschied genommen würde..

„Worte, die schon allen möglichen Verrichtungen und Beziehungen gedient haben, sind so gesetzt, daß sie das Ineinander ergeben, in welchem Ding und Klang, Idee und Bild nicht ohne einander — da sein konnten.” Die Sprache „als das höchste Gut aus einem zerstörten Leben zu retten — trotz aller greifbareren Notwendigkeiten, die es nicht mehr gäbe, hätte der Mensch zur Sprache, zum Sein zurückgefunden —, ist die schwierigste Pflicht..

Und, wie es scheint, die vergeblichste. Es müßte sich sonst „eine allgemeine Ehrfurcht über den Kreis jener Menschheit verbreiten, in deren Sprache solche Wunder gewachsen sind, nicht allein zur Heiligung dieser selbst, sondern — zur Läuterung der Ehre des Lebens, zu seinem Schutz gegen alles, was es herabwürdigt, kurzum zu einer politischen und gesellschaftlichen Führung, die den Deutschen dauernd vor dem Gebrauch von Gasen und Zeitungen bewahrte”.

Der diese Hoffnung aussprach, ist an ihr gestorben, ohne jenen äußersten Kopfsturz, jenen Selbstmord eines Volkes erlebt zu haben, dessen Genius er gedient hat, furchtlos und keiner anderen Macht hörig als dem Geiste — er, der „Untertan der deutschen Sprache”.

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