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Kritik aus dem rechten Eck

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Es sei die Bemerkung vorangestellt, daß ein solcher Versuch der politischen Kategorisierung nicht die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Thesen des jeweiligen Autors ersetzen kann. Paul Parins Ansicht, daß die augenblickliche breite, gegen die Psychoanalyse gerichtete Literatur im Rahmen des konservativen Rückschritts zu begreifen sei, stimme ich zwar intuitiv zu, halte aber auch eine solche Argumentation für nicht ungefährlich: Der Mißbrauch hegt nahe, jegliche Psychoanalysekritik per se als reaktionär einzustufen, was allein insofern problematisch ist, als nicht jede Form der psychoanalytischen Theoriebildung und Praxis notwendig als politisch und gesellschaftlich progressiv aufgefaßt werden kann.

Andererseits läßt eine wissenschaftliche Kritik der Anti-Freud-Literatur die Frage nach den Motivierungen der Autoren offen. Hat man einmal konstatiert, daß - wie besonders deutlich am Beispiel Eysenck zu zeigen - ein Autor eine Form von Psychoanalysekritik treibt, die so sehr allen von ihm selbst propagierten und gegen die Psychoanalyse ins Feld geführten Regeln der Wissenschaftlichkeit widerspricht, so ist dieses Phänomen selbst wieder der Aufklärung bedürftig; man wird eine persönliche oder eine ideologische Motivierung dahinter vermuten und kann dann den vorsichtigen Versuch unternehmen, diese ideologischen Gründe im größeren weltanschaulichen Kontext aufzufinden, in den das sonstige Werk des Autors eingebettet ist.

Eine politische Einordnung der etwa ab 1906 einsetzenden, gegen die Psychoanalyse gerichteten Literatur erschien etwa 80 Jahre danach schwierig und wohl auch nicht unbedingt nötig. Immerhin kann man beiläufig anmerken, daß drei Autoren, die damals nachdrücklich gegen die Freudsche Sexualtheorie polemisierten, etwa ein Vierteljahrhundert später Beiträge lieferten zu der Aufsatzsammlung „Gegen Psychoanalyse“ in den rechtsgerichteten nationalistischen „Süddeutschen Monatsheften“ und so aus ihrer politischen Einstellung kein Hehl machten.

Die Ablehnung Freuds während der NS-Zeit und ihre inhaltliche Begründung ist bereits skizziert worden: Kritik an Freuds Versuch einer Entmystifizierung des irrational Unbewußten, damit verbunden am Menschenbild der Psychoanalyse und ihrer Auffassung von Kultur und Religion, eine Kritik, die in den NachkriegsjahrennoCheinmal deutlich bei Kretschmer (1982) zutage tritt. Ansonsten wird man die spätere Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse zweifellos etwas differenzierter betrachten müssen. Immerhin ist jedoch recht deutlich im anglo-amerikanischen Raum eine Gruppe von Autoren auszumachen, die weitgehend einheitlich ihre Ablehnung der Psychoanalyse nicht zuletzt mit dem Negativcharakter der Lehre und dem durch sie zu erwartenden bzw. bereits eingetretenen gesellschaftlichen Schaden begründen.

Ein prototypisches Buch für jene Richtung, wenigstens nach dem Kriege wohl auch das erste seiner Art, ist Richard La Piere's „The Freudian Ethic“, eine Arbeit, auf die sich spätere Autoren häufig beziehen. La Piere untersucht die Psychoanalyse von einem recht interessanten Standpunkt aus. Er diskutiert nicht, ob Freuds Lehre tatsächlich in wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen bestehe, vielmehr stellt er diese Frage in gewisser Weise zurück: Es liege keine wissenschaftliche Evidenz für die Behauptung vor, daß der Mensch eine Seele besitze, daß es ein Leben nach dem Tode gebe oder daß Ordnung im Universum sei. Und dennoch hätten die Menschen so gehandelt und täten es noch, als ob sie eine Seele und ein zukünftiges Leben besäßen und als ob die Welt um sie herum von Gesetzen der Natur oder Gottes gelenkt werde. Und indem sie so handelten, verliehen sie diesen verschiedenen Ideen sozialen Wert. So sei es auch nicht wichtig, daß die Freudsche Lehre unwissenschaftlich sei, von gesellschaftlichem Belang sei hingegen, ob ihr die Menschen gesellschaftliche Bedeutung geben könnten. Die Freudsche Ethik werde als Rechtfertigung für verschiedene Änderungen im sozialen Gefüge herangezogen, und solche soziale Validierung der Freud-schen Lehre verleihe dem „Freudianismus“ seine große Bedeutung.

Ein Kapitel widmet sich den nachgiebigen Erziehungsmethollen, in dessen Rahmen ein größerer Abschnitt „Eine Nation von Schwächlingen“ überschrieben ist und von der laxen militärischen Ausbildung mit ihren fatalen Konsequenzen für die Kriegsführung handelt. Die Ausbilder im letzten Weltkrieg hätten es für unmöglich erklärt, aus den unreifen Menschen anständige Soldaten zu machen. Entsprechend hätten die Feldkommandanten bald geklagt, daß der amerikanische Soldat oft ohne Beteiligung kämpfe, häufig unzuverlässig sei und im Gefecht allzu häufig nicht genügend aggressiv vorgehe.

La Piere schildert dann die einzelnen Schritte der Subversion: Die progressive Liberalisierung traditioneller Praktiken wie der Bewährungshilfe habe die Wirksamkeit der Strafgesetze geschwächt, sei aber nur ein indirekter Angriff auf das Prinzip der Verantwortlichkeit für Straftaten gewesen. Die direkte Attacke habe darin bestanden, die traditionelle Unterscheidung zwischen denen, die für ihre Straftat verantwortlich gemacht werden können, und denen, bei denen dies nicht möglich sei, entschlossen aufzulösen. Da sei zunächst eine zu weitgehende Aussetzung der Strafe für jugendliche Delinquenten. Diese ausgewählten Abschnitte sollten genügen, um den weltanschaulichen Hintergrund von La Pieres Psychoanalysekritik aufzuzeigen, eine politische Tendenz, die auch ohne Schwierigkeiten bei einigen anderen antifreudianischen Autoren erkennbar ist.

Auf all die erwähnten Autoren mit Ausnahme von Sokoloff weist Eysenck nachdrücklich und anerkennend hin, und es wird nun erforderlich sein, an dieser Stelle kurz auf die politische Grundhaltung dieses prominentesten lebenden Freud-Kritikers hinzuweisen. Wie sein wohlwollender Biograph Gib-son schreibt, hatte sich Eysenck bereits während seiner Schulzeit in Berlin den Ideologisierungsversu-chen der Nazis widersetzt, vage linke Anschauungen damals gepflegt und mit seiner Familie 1934 dann auch Deutschland verlassen, was Wühler als historische Wahrheit annehmen und als entschlossenen Schritt eines politisch einsichtigen jungen Mannes anerkennen wollen. Beim Erscheinen seiner letzteren großen Anti-Freud-Schrift war der Autor aber nicht mehr 18, sondern 70 Jahre alt; so wie man Eysenck heute Unrecht täte, ihn mit seiner Freud-Rezeption auf den Stand von 1956 festzulegen, da er noch den „frischen Wind“ durch Freud schätzte, durch das „Feuer seines Geistes“ neue Perspektiven eröffnet sah und von seinen „genialen Gedanken“ sprach, so muß man die politische Dimension seiner gegenwärtigen Freud-Kritik auch an Eysencks heutiger Weltanschauung erarbeiten.

Gibson führt aus, daß Eysenck wiederholt wegen faschistischer Anschauungen angegriffen worden sei, stellt diese Vorwürfe aber als unberechtigt hin. Dankenswerterweise sind wir jedoch all dieser Spekulationen enthoben aufgrund einer drei Ausgaben umfassenden Artikelserie, die Hans Jürgen Eysenck („unser Mitarbeiter“) in der Deutschen National-Zeitung (1986) veröffentlicht hat. Man empfindet geradezu Mitleid mit dem besorgten Biographen Gibson, der von Eysenck jeden Anschein faschistischer Gesinnung zu nehmen sich bemüht, während der Held der Biographie selbst im Sprachorgan des deutschen Faschismus publiziert. Ich habe mich bisher sehr zurückgehalten, möchte aber doch den Standpunkt vertreten, daß dem aufmerksamen Leser Eysencks Weltanschauung auch vor jener publizistischen Offenbarung deutlich sein mußte; da diese Frage seit Jahren diskutiert wird, dürftJ man als gründlicher Eysenck-Leser früher oder später damit konfrontiert worden sein.

Gekürzt buk „Abwege der Psychoanalyse-Kritik - Zur Unwissenscbafuicruceit der AntiFreud-Literatur“ von Thomas Köhler. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M. 1989. Der Autor ist am Psychologischen Institut der Universität Hamburg tätig.

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