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Freud und die Kirche

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A.m 6. Mai ist es 125 Jahre her, daß Sigmund Freud geboren wurde. Etwa 70 Jahre ist es her. daß die Öffentlichkeit durch die von ihm entwickelte Psychoanalyse in einer vorher noch selten erfahrenen Radikalität hinterfragt und berührt wurde. Und das an neuralgischen Punkten, die auf diese Berührung schmerzlich reagierten:

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A.m 6. Mai ist es 125 Jahre her, daß Sigmund Freud geboren wurde. Etwa 70 Jahre ist es her. daß die Öffentlichkeit durch die von ihm entwickelte Psychoanalyse in einer vorher noch selten erfahrenen Radikalität hinterfragt und berührt wurde. Und das an neuralgischen Punkten, die auf diese Berührung schmerzlich reagierten:

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Als Arzt wechselte Freud von der Chemotherapie zur Psychotherapie - vom Medikament zum Gespräch. Als Experte ließ sich Freud trotz aller Autorität, die er zeitlebens ausstrahlte, auf den Prozeß der Analyse „mit den Nervösen“ ein - mithin mit einem „Krankengut“, das nur allzuoft solcher Beachtung nicht für wert gehalten wurde.

Mit seiner Theorienbildung transzendierte er sowohl die Medizin wie auch die Psychologie, ja stellte das Selbstverständnis der Naturwissenschaften überhaupt in Frage; und schließlich stiftete er mit seiner Metapsychologie einen neuen Mythos, von dem er selber sagte: „Die Trieblehre ist sozusagen unsere Mythologie. Die Triebe sind mythische Wesen, großartig in ihrer Unbestimmtheit.“ Und obendrein maß er der Sexualität (als Repräsentantin des Eros) entscheidende Bedeutung im Prozeß der individuellen Menschwerdung zu.

Wenn wir uns fragen, wie Kirche und Theologie heute die Psychoanalyse sehen, so könnte man pointiert sagen: offiziell nahezu gar nicht. Es gibt seit den Äußerungen von Papst Pius XII. aus den Jahren 1952 und 1953 keine gleichrangigen Stellungnahmen mehr. Pius XII. wandte sich gegen das in der Psychoanalyse mögliche „totale Ein-Un- tertauchen in die sexuelle Vorstellungsund Affektwelt“.

Er verweist auf ein „Gesetz persönlicher Intaktheit und Reinheit, persönlicher Selbstachtung des Menschen und Christen“ und bestreitet, daß die „pansexualistische Methode“ ein „unerläßlicher Bestandteil“ jeder „ernsten Psychotherapie“ sei. Weiters kommt er auf den „Bereich des Tran szendent-Psychischen“ zu sprechen, zu dem er „das Schuldbewußtsein“ als wesentlichen Punkt anführt. Er grenzt hier die Seelsorge von der Psychotherapie ab, wenn er sagt: „Der Weg, die Schuld zu beheben, liegt außerhalb des rein Psychologischen."

In dieser päpstlichen Stellungnahme schlagen sich wesentliche Kontroverspunkte einer im Grunde spärlichen Auseinandersetzung nieder, die schon zu Lebzeiten Freuds begonnen hatte, aber niemals auf einer annähernd entsprechenden Kenntnis der Psychoanalyse aufbaute. Insgesamt kann man sagen, daß besonders hierzulande die Freud-Diskussion bis 1938 mit größerem Engagement als heute, aber auch mit größerer Abwehr geführt wurde.

Von kirchlich-theologischer Seite dürfen die Namen: Fr. W. Foerster, J. Olten, R. Allers, W. Schmidt SVD, G.

Bichlmair SJ, J. Donats SJ, A. Kolnai, A. Mager, J. Lindworsky SJ, sowie die „Leo-Gesellschaft“ (Präsident Kardinal Piffl, Sekretär Th. Innitzer) genannt werden.

Was von der Theologie gesagt werden kann, gilt umgekehrt auch von den Analytikern. Obwohl der Schweizer evangelische Pfarrer Oskar Pfister-ein lebenslanger Freund Sigmund Freuds- schon frühzeitig als Theologe der Analyse begegnete, mangelt es an Aufmerksamkeit und Kenntnis des theologischen Phänomens, das die Kirchen darstellen und in das die Psychoanalyse selbst geraten ist, als sie einen „Mythos“ stiftete, wie Freud ausführte. („Aber läuft nicht jede Naturwissenschaft auf eine solche Art von Mythologie hinaus? Geht es Ihnen in der Physik anders?“ So in seinem Brief an A. Einstein.)

Nach dem Zweiten Weltkrieg bietet sich ein etwas verändertes Bild: In den USA gibt es so etwas wie eine „Pfister- Renaissance“. Die Evangelische Theologie öffnet sich in der Rezeption des Werkes von O. Pfister, durch die Arbeiten von P. Tillich, J.- Schreiber und J. Scharfenberg, einer hörenden Auseinandersetzung. Auf katholischer Seite ist vor allem der Wiener Ordinarius für christliche Philosophie A. Wucherer- Huldenfeld zu nennen.

„Wir sollten uns als Christen durch die Fremdprophetie eines S. Freud nach vorn rufen, provozieren lassen“ (Scharfenberg). „Die Fraglosigkeit aber, mit der dieser wissenschaftlich vermittelte Mythos der Metapsychologie ... hingenommen wird, stellt uns vor ein Problem .. .“(Wucherer-Hul- denfeld).

Zwischen der „Fremdprophetie“ und der „Fraglosigkeit“ liegt das weite Feld einer nicht geführten Auseinandersetzung Theologie-Analyse.

Darunter aber liegt eine sehr interessante Praxis: In Frankreich gibt es zahlreiche Priester-Analytiker, an pastoraltheologischen Lehrkanzeln gibt es analytisch orientierte Lehrveranstaltungen, und immer öfter nimmt der praktisch tätige Seelsorger für sich oder seine Anvertrauten wie selbstverständlich die Mithilfe des Analytikers in Anspruch. Es scheint, als ob an der Basis etwas in Bewegung gerate, was in den Räumen der Theologen und der Büros der Kirchenleitungen festsitzt.

125 Jahre nach Freuds Geburtstag ist zwar schon allerhand an psychotherapeutischen Schulen kirchlich reziptiert worden - es wartet aber die Psychoanalyse darauf, in ihrer Brisanz der Theoriebildung entschlüsselt zu werden.

Vielleicht wird man auf sie ebenso unvermittelt stoßen müssen, wie man auf die Virgilius-Kapelle stieß, als man den Stephansdom für die U-Bahn untertunnelte. Man weiß auch mit dieser noch nichts anzufangen. Immerhin: sie ist zur Besichtigung freigegeben. Kirche und Psychoanalyse wäre gleiches zu wünschen.

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