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Die Seele hat wieder eine Zukunft

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„Wir haben alle mit Menschen zu tun.” Das war ein gemeinsamer Nenner der „Ökumene der Seelenheiler”, dem Weltkongreß der Psychotherapeuten, in Wien.

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„Wir haben alle mit Menschen zu tun.” Das war ein gemeinsamer Nenner der „Ökumene der Seelenheiler”, dem Weltkongreß der Psychotherapeuten, in Wien.

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Gleich neben der unbarmherzig begradigten Donau, die heute linear, aber geheimnislos ihrem Ziel zufließt, herrschte buntes Treiben. Mehr als 4.000 Psychotherapeuten aus 73 Ländern und noch mehr unterschiedlichen Schulen und Richtungen diskutierten fünf Tage lang in den Sälen und Nebenräumen des Wiener Kongreßzentrums. Dutzende klingende Namen wie Sophie Freud, Viktor Frankl, Horst Eberhart Richter, Otto Kernberg oder Eva Ja-eggi zogen die Aufmerksamkeit auf sich. In rund 600 Subsymposien wurde auch der letzte Winkel menschlicher Seelenerfahrung, von ekstatischer Trance, der Ironie in idiolekti-scher Gesprächsführung bis zur Jugendtherapie in einem katholischen Mädchenheim ausgeleuchtet. „Wer Entscheidungsprobleme hat”, meinte ein österreichischer Therapeut unentschlossen zwischen den Türen zur „Dialektik anthropologischer Grundpolaritäten” und „Heilung jenseits des Bewußtseins”, „der wird vielleicht eine Therapie brauchen, nachher”.

Ein Märchen stand am Anfang und wies eine Tendenz: „Einmal war ein wertvoller Stein auf einem Berg”, erzählte die EU-Verbindungsbeamtin des Europäischen Psychotherapieverbandes, Emmy van Deurzen-Smith, „an dessen Fuß vier Dörfer waren, von denen jedes des Steines Namen trug, aber jedes mit einer anderen Farbe”. So gab es Krieg zwischen den Dörfern Diamant-Rot, -Blau-, -Grün und -Gelb, wer wohl den rechten Namen trüge. Bis die Bewohner einander trafen (ein Kongreß?), hinaufstiegen und merkten: ihrer aller Stein war transparent und die Farbe allein die Reflektion des Lichtes im Blickwinkel. Vielleicht, so meinte Emmy van Deurzen-Smith weiters in ihrem Festvortrag „Universale Dimensionen des menschlichen Dilemmas”, sollten wir unseren Blick nicht so starr auf das erst 100 Jahre alte Gebäude der Psychotherapie werfen und uns auch wieder dem alten Wissen zuwenden.

Zum Märchen erschien dann auch noch ein akustisch gerahmtes Bild am Festpodium. Da fragte Professor Gi-. seiher Guttmann den Begründer der Logotherapie, Viktor Frankl, über den Unterschied von heute und der ersten Vorlesung, die er vor 40 Jahren bei ihm gehört hatte. „Damals”, erinnerte sich Guttmann, „hast du uns von der Schwierigkeit erzählt, Sinn zu finden. Heute hingegen machen sich viele gar nicht mehr auf die Suche.” „Darauf”, antwortete Viktor Frankl, „habe ich noch keine Antwort gefunden.”

Später zogen buntbemützte sibirische Schamanen mit Schellen und allerlei Instrumentarium ein. „Das war jetzt nicht vorgesehen”, sagte eine leise Stimme im Lautsprecher. Schnitt und noch ein Zitat, von Van Deurzen-Smith, es ist „Zeit, all die Stücke menschlichen Wissens zusammenzufügen.”

„Es gibt eine beunruhigende Unordnung”, äußerte der deutsche Analytiker Jürgen Hardt sein Unbehagen in der - sogenannten - postmodernen Kultur. „Standardsund Maßstäbe von Wahrheit und Werten sind vielfältig und fraglich.” Niemand hat mehr Autorität, das letzte Wort zu sprechen.

Deutlich werde das auf dem kulturellen Feld der Psychotherapie. „Da gibt es Kulturpflanzen mit Zuchttradition und eine Fülle von Kraut oder Unkraut”, meinte der Therapeut, „das oft wenig Nährwert und schon gar • keine Heilkraft hat, aber bunte Blüten treibt.” Und eigentlich, setzte später sein Kollege Harald Leupold-Löwenthal fort, sei die Postmoderne langweilig geworden, seit „es jeder tut, und viele ohne es zu wissen. Manche unter uns Psychoanalytikern”, so die Selbstkritik, „sozusagen in finsterer Unschuld, da sie die postmoderne Haltung nicht reflektiert, sondern quasi osmotisch aufgenommen haben.” Der „Text”, die Erzählung des Patienten stünden zunehmend im Vordergrund, obwohl der Mensch auch an seinem Handeln leiden könne.

Die Psychotherapie, meinte die Analytikerin Eva Jaeggi, - allerdings bei einer ganz anderen Gelegenheit, aber zum selben Thema - könne sozusagen das Fleisch auf die Knochen der Postmoderne-Diskussion tun. Heute litten die Menschen an der Schwierigkeit, ihre Identität festzuhalten, „am Schrecken, nirgends dazuzugehören”. Der Mensch erschiene sich selber als eine Art Zitatensammlung, mit einer zusammengebastelten, einer patch-work-ldentität.

Der Wiener Paul Feyerabend („anything goes”) fehlte nicht in der Diskussion um die Postmoderne. Harald Leupold-Löwenthal zitiert seinen Hausmeister „Wenn alles geht, Herr

Doktor, geht gar nichts”. Es ginge darum, daß der Mensch seine Fähigkeiten weiterentwickle. „Es stellt sich die Frage”, meinte der Friedensforscher Johan Galtung, „ob das möglich ist für alle Menschen. Was im Westen als geisteskrank gilt, ist anderswo normal.” Er berichtet von einer norwegischen Patientin, die erklärte: „Ich bin der Baum da draußen und der Baum ist in mir drinnen.”

Im Buddhismus bedeute dies ein Zeichen der Reife. Was machen Sie, Herr Hardt, mit solch einem Patienten? „Das wurde kompliziert werden, weil dieser Ausspruch ein Symptom ist, und nicht nur die Erklärung einer Geisteshaltung. In unserer Tradition ist das ein Mensch mit erheblichen Lebensproblemen.” Johan Galtung: „Das wäre auch meine Antwort gewesen: daß jeder Mensch in einer Kultur lebt und wenn er etwas äußert, das herausfällt, könnte dies ein Symptom werden. Aber: die Welt ist heute viel osmotischer, die alte Diagnostik könnte nicht mehr stimmen.” Hardt: „Sie sagen das, weil Sie welterfahren sind. Aber wir haben auch andere Realitäten in den Slums und Vorstädten.”

Für die Analytikerin Jaeggi bedeutet die breite Palette der humanistischen Psychologien auf den ersten Blick eine angemessene Antwort auf die Probleme einer unsicheren Identität. Die Konzepte seien sehr tief ins Alltagsbewußtsein und damit auch in andere Therapiekonzepte eingedrungen. Zentral ist die Vorstellung, daß in jedem ein innerster Goldkern liegt, der nur hervorgehoben werden müsse. Ein Schatz also, der bürgt, daß ein Mensch glücklich, kreativ und gesund wird.

Psychotherapie wird also verbunden mit dem Heben eines internen Kleinodes. Selbst in der psychoanalytischen Szene. Zitiert wird der Psychoanalytiker Kohout: „Ein Mensch erlebt sich selbst als kohärente harmonische Einheit in Baum und Zeit, die mit ihrer Vergangenheit verbunden ist und sinnvoll in eine kreativproduktive Zukunft weist.” Für Jaeggi ist die Antwort der humanistischen Psychologie auf postmodernes Leiden nur eine Beschwörungsformel. Die Klage, „ich weiß nicht, wer ich bin”, wird schlicht beantwortet mit „du weißt es wohl, du mußt nur die eigene Stimmen hören”.

Für den in Südafrika geborenen Professor für klinische Psychologie an der freien Universität in Amsterdam, Len Holdstock, stellt sich die Frage nach Differenz ganz anders. In Afrika muß man Dinge in Beziehung setzen. Wenn die Beziehung zu den Ahnen gestört ist, dann wird man krank. „Dann muß ich etwas tun, ein Tier opfern, Leute zusammenbringen, um das Problem vorzutragen.” Afrikanische Heilkunde, praktiziert von Schamanen oder auch religiösen Heilern sei ganzheitlicher. Tanz, Massage, das „Aus-Agieren” von Träumen spielen dabei eine Bolle.

Für den humanistischen Vertreter der Carl Boger Schule, den Chikago-er Professor Gentlin beginnt Therapie: „Wenn der Patient an die Mauer des Schweigens in sich stößt.” Klientenzentriertes Zuhören bedeute, „wenn man jemandem etwas zurücksagt, was er gesagt hat. Das hilft ihm zu verweilen, am Ort, von wo er gesprochen hat”. „Paradox sei dabei, daß wir in der Therapie zum Patienten in Beziehung stehen und zu ihm sagen, er solle allein bestehen.” Der Südafrikaner Holdstock, der bei Carl Bogers studierte: „In Afrika ist personenzentrierte Haltung tägliches Leben. Auch archetypische Psychologie ist gelebte Methode. Träume werden ausgehandelt, nicht erzählt. Das Paradoxe an Bogers Theorie in Afrika: „Es geht nicht darum, mit sich selbst in Übereinstimmung zu kommen, sondern mit dem anderen. Das ist im Grund der letzte Schritt der Empa-thie.”

Als Spiegel „unserer Hoffnung” bezeichnete Präsident Alfred Pritz ein unmittelbares und konkretes Ergebnis des Ersten Weltkongresses: ein Versöhnungsprojekt zwischen kroatischen und serbischen Therapeuten. Kollegen aus Bosnien, Slowenien und Mazedonien sollen dazukommen. Die Psychoanalytikerin Zarca Lopicic-Pe-risic aus Belgrad: „Heilung kann auch erreicht werden durch Kontakt, Begegnung und Verbalisierung. Die kroatische Gestalttherapeutin Irena Bezic: „In Traurigkeit und Schmerz einzutauchen kann ein Weg sein, um wieder zusammenzukommen und über die persönlichen Folgen des Krieges zu reden.”

Der Supermarkt der Psyche hat gezeigt, daß es offensichtlich Zeit ist für einen Zusammenschluß der Psychotherapie über die Schulen hinweg. Die Autorin ist freie Journalistin in Wien.

Wieder Wien: Psychotherapie-Kongreß 1999

N- ach einer drei Jahre währenden kongreßinduzierten Ex-perimentalneurose”, begrüßte der Initiator des Ersten Weltkongresses, der Wiener Psychoanalytiker Alfred Pritz, fachspezifisch die Teilnehmer am Ersten Weltkongreß im Austria Center, „mit allen Symptomen wie Depression, Angst und Entfremdung, Verlust der Selbstkontrolle (...) Sublimierung und Aufspaltung in Gut und Böse, können wir Sie endlich hier begrüßen, in der Hoffnung, daß unser Leiden in den nächsten Tagen endet.” Dem Weltrat für Psychotherapie, der im Vorjahr in Zürich gegründet wurde, steht neues, hoffentlich wieder fruchtbares Leiden bevor. Unter dem Titel „Apokalypse, Hoffnung und Realität” findet der Dialog zwischen den Therapieschulen aller Kontinente vom 3. bis 7. Juli 1999 wieder in Wien statt. Ziel des Weltrates mit seinen mehr als 100.000 Mitgliedern ist es, so der wiedergewählte Präsident Alfred Pritz, sich als internationaler Berufsverband der Therapeuten zu ge-rieren. Die Psychotherapie soll als wissenschaftlich fundierte Profession verankert werden und die professionelle Heilung der Seele als eigener Beruf und nicht mehr als Zweig von Psychiatrie oder Psychologie gelten. G. M.

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