
Viktor Frankls Enkelin: „Ich kannte ihn nur mit Diktiergerät“
Seine Sinn-Lehre wurde weltweit begeistert rezipiert. Zum 25. Todestag erinnert sich seine Enkelin Katja Ratheiser an den Wiener „Seelenforscher“ Viktor Frankl.
Seine Sinn-Lehre wurde weltweit begeistert rezipiert. Zum 25. Todestag erinnert sich seine Enkelin Katja Ratheiser an den Wiener „Seelenforscher“ Viktor Frankl.
Ein älterer Mann geht zum Arzt, da er nicht über den Tod seiner geliebten Frau hinwegkommen kann. Der Therapeut ist Viktor Frankl, der sich so daran erinnert: „Ich frage den schwerst deprimierten Patienten, ob er sich überlegt habe, was geschehen wäre, wenn er selbst früher als seine Frau gestorben wäre. ‚Nicht auszudenken‘, antwortet er, ‚meine Frau wäre verzweifelt gewesen.‘ Nun brauche ich ihn nur noch darauf aufmerksam zu machen: ‚Sehen Sie, das ist Ihrer Frau erspart geblieben, und Sie haben es ihr erspart, freilich um den Preis, dass nunmehr Sie nachtrauern müssen.‘ Im gleichen Augenblick hatte sein Leiden einen Sinn bekommen: den Sinn des Opfers. Am Schicksal konnte nicht das Geringste geändert werden, aber die Einstellung hatte sich gewandelt.“
Blick des Bergsteigers
Diese Episode aus Frankls Buch „Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn“ (1985) ist typisch für das „Reframing“, das in seiner Therapie als ein Mittel zur Sinnfindung angewendet wird. Doch der Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse war weit davon entfernt, anderen das Leben schönzureden und sie dazu aufzufordern, die rosarote Brille aufzusetzen: „Sein Werk ist dafür zu tiefgründig. Dass sich heute auch Vertreter des positiven Denkens auf Frankl berufen, wäre ihm gegen den Strich gegangen“, sagt Katja Ratheiser (geb. Vesely), die heute 52-jährige Enkelin des berühmten Therapeuten. „Er wusste, dass man Glück nicht direkt anpeilen kann. Aufgrund seiner Geschichte war er gegen ‚toxische Positivität‘ gefeit, die heute so verbreitet ist. Er sagte: ‚Heroismus kann ich nur von einem Menschen verlangen – von mir selbst.‘“
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