Ein Jahr ohne Frieden
DISKURSAlois Hotschnig: „Ich hab ja auch Zeiten, wo ich grundlos glücklich bin“
Am 2. Oktober wurde Alois Hotschnig mit dem diesjährigen Christine Lavant Preis ausgezeichnet. Er bedankte sich mit folgender Rede.
Am 2. Oktober wurde Alois Hotschnig mit dem diesjährigen Christine Lavant Preis ausgezeichnet. Er bedankte sich mit folgender Rede.
Im Pfarrhof von Oberdrauburg hat Christine Lavant mir zum ersten Mal in die Augen gesehen, das heißt, ich habe ihr in die Augen gesehen, oder eigentlich nicht ihr, sondern dem Bild, das sich der Maler Werner Berg von ihr gemacht hat. 50 Jahre ist das jetzt her, ich war zwölf.
Ich kenne den Maler, der dieses Bild gemacht hat, sagte der Pfarrer. Und ich kenne die Frau, die es darstellt. Durch Josef Gabruč, den Kärntner Slowenen, kamen nun beide in meine Welt, nach Oberdrauburg im Drautal, wo es für mich bis dahin keine Gedichte und keine Bilder gegeben hatte, zumindest keine, die mich wortwörtlich angesprochen hätten. Er hat mir die Bettlerschale in die Hand gelegt und mir daraus vorgelesen. Durch ihn bin ich zum Lesen und damit zum Schreiben gekommen.
Auf dem Umschlag des Buches hat mir Christine Lavant aus großen Holzschnittaugen entgegengesehen.
Das Leben der anderen
Das Schauen und das Zuhören standen am Anfang ihres Schreibens, sagt sie: „Da wir nur eine einzige Stube hatten, und ich immer krank und zu Bett war, wickelten sich alle Gespräche vor meinen Ohren ab. Mutter war nämlich für alle anderen eine Art Beichtiger. Das Elend des ganzen Dorfes rann bei ihr zusammen.“ Die Mutter, eine Flickschneiderin, unterhielt sich mit ihren Kunden, die von den Sorgen des Alltags erzählten. Ans Bett gefesselt, konnte die Tochter über einen Spiegel das Geschehen im Nebenraum verfolgen. „Wenn es klopfte, ging meist schon eine schnelle Veränderung in ihrem Gesicht vor“, schreibt sie, „ihre Augen kamen von innen zurück und wurden wach und tapfer. Mit diesen Augen konnte sie dann alles überstehen.“
Durch diese mitgehörten Erzählungen hat ihr eigenes Erzählen begonnen, denke ich, die eigene Erzähl-Phantasie.
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