Die Einbauküchen des Jahrhunderts

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Wie ein Kärntner Einbauküchenhändler den gesamten deutschsprachigen Literaturbetrieb foppte - und sein Sohn noch heute darunter zu leiden hat.

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Wie ein Kärntner Einbauküchenhändler den gesamten deutschsprachigen Literaturbetrieb foppte - und sein Sohn noch heute darunter zu leiden hat.

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Mein Vater versteht nicht viel von Literatur, aber vom Geschäftemachen und vom Geldverdienen versteht er etwas. Als am Anfang der siebziger Jahre die Sozialisten an die Macht kamen, das wuchernde Großmarktswesen und die Megakonzerne und Einkaufsburgen rund um die Stadt förderten, bis die ganze Stadt mit Ketten verkettet war, und sie damit nach und nach die klein- und mittelständische Wirtschaft in der Innenstadt zum Erliegen kommen und veröden ließen, sodaß es auch mit dem kleinen, alteingesessenen Einbauküchengeschäft meines Vaters rasant abwärts ging, setzte sich mein Vater an den Schreibtisch und schrieb einen Brief an Frau Christine Lavant, in dem er sie dringend aufforderte, endlich ihre bereits vor Monaten gelieferte und montierte Mirabella-Einbauküche zu bezahlen, widrigenfalls er sich rechtliche Schritte vorbehält. Tatsächlich verwendete mein Vater noch am Anfang der siebziger Jahre das eindrucksvolle Wort WIDRIGENFALLS, und er verwendete auch das eindrucksvolle Wort ENDESGEFERTIGTER. Ein besonders schöner Zug war sein Brief aber natürlich trotzdem nicht.

Christine Lavant war eine große Lyrikerin, aber vom Geschäftemachen und vom Geldverdienen hat sie nicht viel verstanden. Sie schrieb meinem Vater - maschinschriftlich -, daß ihr nicht das Geringste von einer Mirabella-Einbauküchenangelegenheit bekannt sei, daß sie keine Mirabellaeinbauküche gekauft habe, besitze und auch gar keine brauche; daß es sich bei dem Mirabellaeinbauküchenfall um eine Verwechslung handeln müsse, schrieb sie und blieb mit freundlichen Grüßen in den ärmsten Verhältnissen.

Da nahm mein Vater in seinem Firmenbüro postwendend ein Bestellformular zur Hand, füllte es aus, unterschrieb eigenhändig ungeniert mit "Christine Lavant", photokopierte das Dokument und schickte es - gleichzeitig mit einer Mahnklage drohend - eingeschrieben an die Lyrikerin. Das wäre dem kika-Geschäftsführer zum Beispiel nie und nimmer eingefallen, auch wenn der Umsatzeinbruch einmal noch so dramatisch ist. Christine Lavant war nun vollends aus der Ruhe gebracht: Sie schrieb dem Vater - diesmal handschriftlich - zurück, daß sie niemals im Leben ein solches Einbauküchenbestellformular unterschrieben habe, was sich schon dadurch leicht beweisen lasse, daß die auf der Photokopie zu sehende Unterschrift in einer völlig fremden und von ihrer Handschrift gänzlich unterschiedlichen Handschrift geleistet ist. Ihre eigene Handschrift und Unterschrift sehen nämlich vielmehr so aus, wie es eben dieser originalhandschriftliche Brief belegt. Die betreffende Bestellung muß von einer anderen Christine Lavant unterschrieben worden sein, falls es noch eine andere Christine Lavant gibt, von ihr jedenfalls nicht, einmal abgesehen davon, daß sie in Wirklichkeit gar nicht Lavant heißt und in außerpoetischen Lebensumständen, wie eine Mirabellaeinbauküchenbestellung ein solcher außerpoetischer Lebensumstand wäre, niemals mit ihrem Künstlernamen unterschreibt. Schlußendlich äußerte sie den leicht nachvollziehbaren Wunsch, mit dieser leidigen Geschichte nun endlich in Frieden gelassen zu werden.

Mein Vater war zwar so korrekt, die Verwechslung und den Irrtum in einer knappen Mitteilung zuzugeben, sich namens seiner Firma bei Frau Lavant zu entschuldigen, die Klagsandrohung für gegenstandslos zu erklären - tatsächlich verwendete mein Vater bereits am Anfang der siebziger Jahre das eindrucksvolle Wort GEGENSTANDSLOS - und der großen Lyrikern weiterhin alles Gute, viel Erfolg und breiten Absatz zu wünschen, aber wenige Monate später, als die arme Frau Lavant schließlich gestorben und die Universität Klagenfurt geboren war, verkaufte mein Vater den handschriftlichen Originalbrief Christine Lavants an das Germanistische Institut der Universität Klagenfurt, das in weiser Voraussicht, wieviel dieses Schriftstück eines Tages, wenn es im Christine-Lavant-Archiv ausgestellt ist, wert sein wird, keinen unbeträchtlichen Betrag dafür auslegte.

Ähnlich verfuhr mein Vater später mit Alfred Kolleritsch und der Universität Graz, mit Friederike Mayröcker und Wien, Heinrich Böll und Frankfurt, Dürrenmatt und Zürich, Peter Handke und Thomas Bernhard und der Germanistik in Salzburg. Thomas Bernhard schrieb meinem Vater übrigens, daß er zeitlebens naturgemäß nicht einen Fuß in dieses stumpfsinnige Loch gesetzt hätte, sprach von einer perversen Einbauküchenungeheuerlichkeit und beschimpfte meinen Vater vor allem wegen dessen Androhung rechtlicher Schritte als verlotterten Gerichtsklempner und grenzdebilen katholischen Nazi, das heißt, mein Vater konnte für dieses kostbare Unikat gleich den doppelten Preis verrechnen. Nach zwanzig anderen Sprachen wird es momentan gerade ins Japanische übersetzt (Schwierigkeiten bleiben natürlich nicht aus, weil es im Japanischen das Wort "Gerichtsklempner" eigentlich nicht gibt), in Schweden überlegt man eine Vertonung, in Holland eine Bühnenfassung, und eine Sättigung des Marktes ist bis auf weiteres nicht absehbar.

So konnte also meinem Vater der allmähliche Zusammenbruch der Klein- und Mittelbetriebe im allgemeinen wie auch der Niedergang seines eigenen kleinen Einbauküchengeschäfts im speziellen nicht viel anhaben, und zum Zeitpunkt des Zwangsausgleichs hatte er den zähneknirschenden sozialistischen Bundeskanzlern, Landeshauptleuten und Finanzministern zum Trotz klammheimlich ein derart unermeßliches Vermögen angehäuft, daß dessen existenzsichernde Wirkung noch die innerfamiliären Generationen nach ihm - also zum Beispiel ich - genießen können werden. Cleverness in geschäftlichen Dingen, innovative Strategien, einkommensanbahnende Phantasie und pekuniärer Einfallsreichtum haben unsere Familie schon immer ausgezeichnet: Von meinem Großvater und meinem Urgroßvater - offiziell ebenfalls beide kleine Möbelhändler - erzählt man sich zu Hause hinter vorgehaltener Hand, sie hätten zu ihrer Zeit frei erfundene Zahlungserinnerungen an Alfred Andersch, Paul Celan, Wolfgang Borchert, Günter Eich, Robert Musil, Alfred Döblin, Stefan Zweig, Franz Werfel, Carl Zuckmayer und Thomas Mann verschickt. Nur Franz Kafka hat die Rechnung für seine Einbauküche leider sofort und anstandslos bezahlt, weil ihm die Sache peinlich war, weil er jeden Zwist und jegliches Aufsehen von vornherein vermeiden wollte.

So kam ich Möbelhändlersohn also schon früh in Kontakt mit der Literatur, und nach dem Zwangsausgleich und Ende des traditionsreichen, beinahe hundertjährigen Einbauküchenfamilienunternehmens lag es für mich daher nahe, freischaffender Schriftsteller zu werden, wenn auch - zugegeben - kein besonders erfolgreicher Schriftsteller, zumindest, wenn es nach der Einschätzung der Experten, Germanisten und Wissenschaftler geht: Belobigungen und glänzende Kritiken bekomme ich selten, Preise und Stipendien so gut wie nie, und es gibt bislang zum Beispiel eine einzige Dissertation über mich: meine. Dieser eklatante Mißstand mag - abgesehen davon, daß die Literaturgeschichte eindrucksvoll belegt, daß es Möbelhändlersöhne traditionell schwer haben, anerkannt große Dichter zu werden - wohl auch damit zusammenhängen, daß sich sämtliche Universitäten und auch deren Germanistische Institute im Computerzeitalter miteinander vernetzt haben, und da hat sich schnell herausgestellt, daß die bislang in den literaturwissenschaftlichen Archiven als einzigartige Schätze gehüteten handschriftlichen Unikate wohl tatsächlich authentische handschriftliche Unikate, im übrigen aber doch nicht gar so besonders originell und individuell und vor allem nicht gar so einzigartig sind, da kreuz und quer über alle europäischen Universitäten verstreut Beteuerungen der gesamten deutschsprachigen Weltliteratur des zwanzigsten Jahrhunderts existieren, keine Mirabella-Einbauküchen bestellt zu haben. Schnell war auch der Urheber der Geschichte ausgemacht, aber rechtlich war meinem Vater nicht beizukommen, weil er zwar möglicherweise unseriös und unschön, jedenfalls aber bis ins kleinste Detail legal gehandelt hat. Der Fall ist nie in die Medien und daher nie an die Öffentlichkeit gelangt, weil sich die Blamierten anhand der stereotypen Fließbandfetische nicht auch noch bloßstellen wollten, aber mich lassen die Experten, Germanisten und Wissenschaftler nun dafür büßen und die Beleidigungen spüren, die ihnen meine traditionsreiche Familie beigebracht hat. Bitterböse ist angeblich vor allem das Institut für Germanistik an der Universität Klagenfurt, und - wie ich höre - zieht man ernstlich in Erwägung, kein Archiv zu bauen, das meinen Namen trägt. Niemand wird, wenn ich nicht mehr bin, das Futter meiner Wintermäntel aufschlitzen, und es könnte sein, daß meine Einkaufslisten posthum sinnlos kostenlos am Dachboden verrotten.

Aber mir ist nicht bange. Ich bin, wie gesagt, versorgt, und ich kann auch weiterhin expertenunabhängig schreiben, was und wie es mir paßt. Sollte dennoch einmal die Notwendigkeit entstehen, neue Einkommensquellen zu erschließen, kenne ich durchaus Mittel und Wege. Ich kann jederzeit geharnischte Zahlungsaufforderungen an Margit Schreiner und Lilian Faschinger verschicken, an Günter Eichberger, Paulus Hochgatterer, Antonio Fian, Egyd Gstättner.

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