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SONNENFEUER AM BRENNER

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Theodor Däubler, dessen hundertster Geburtstag sich vor kurzem jährte, hat man den „mittelmeerischsten unter den deutschen Dichtern“ genannt, und man hat damit bereits Wesentliches an seiner Erscheinung angedeutet. Ist doch alles, was er geschaffen hat — sein Hauptwerk, „Das Nordlicht“, ebenso wie seine nachgelassenen Reflexionen über Griechenland —, eingetaucht in dieselbe Lichtfülle, die offenbar seine Kindheit und Jugend im Umkreis seines Geburtsortes Triest umgab, und die ihm früh zum klärenden Ausspruch seines Daseinssinnes und zur Fixierung seines Berufes als Dichter verholten hat: „Ich bin der Glaube an die Macht der Sonne.“

Die Sonne: Der ungeschiedene Ursprung ist sie für Däubler, aus dem sich, von Sehnsucht getrieben, jedes Ding erhebt, mystisches Urlicht, Grundkraft des Seins, zeugender Vater und gebärende Mutter zugleich, Quelle allen Lebens, des körperlichen ebenso wie des geistigen.

Die Schöpfung: Kein Abgrund ist da, der sie von ihrem Erhalter trennen, keine Diskrepanz, welche sie als „Natur“ vom Geiste abheben würde. Sie ist Kind der Sonne, Tochter des Urlichts, lebendurchpulster Organismus des Alls, solange sie nur nicht aufhört, ihre lichtvolle Herkunft unausgesetzt zu bejahen und zu bekennen. Denn läßt sie darin nach, bricht sie diese ersten und letzten Brücken ab, so folgt Erkalten, Verdunkelung, Vereisung und Verkrustung — der äußeren Natur und des Herzens. Das Böse kommt in die Welt, der Kosmos, lichterfüllt von Anfang an, beginnt, seinen eigenen Schatten zu werfen.

Die Menschheit: Frei ist sie seit jeher, entweder mit eigenmächtiger Gebärde das Schicksal herauszufordern, das eigene Schöpfertum als Lichtquelle in die Mitte zu stellen und so jede Energiezufuhr von „außen“ und von „oben“ zu unterbinden oder aber sioh zum Ursprung zurückzuneigen, Licht einstrahlen zu lassen, dieses aus eigenem Vermögen zu gestalten und so der „Verkrustung“ durch das Böse Einhalt zu gebieten.

Der Dichter: Er hat die Gabe des Wortes und der Melodie. Er kann das innerlichste Pulsen des Lebens, den heimlichsten Rhythmus des Wachsens verspüren, schauen, vernehmen, umgestalten in Gesang, Bild, Sinn, Spruch, Geist. Er baut die Brücke neu von der „Sonne aus Sang“, diesem blinden Prinzip allen Seins, zur „Sonne aus Geist“, zum eigenschöpferischen „Nordlicht“, in dem der Kosmos die Augen aufschlägt und zum Bewußtsein seiner selbst gelangt — die Brücke also, mit den Griechen gesprochen, von Dionysos zu Apoll oder, als gnostische Modifizierung des Christlichen ausgedrückt: vom Vater zum Sohne, vom irrenden Lichtstrahl des ersten Schöpfungstages zum „Wahrzeichen der Pfingstflamme“.

Als religiöse Mission und Bekenntnis faßte also Däubler sein Dichtertum auf. In seinem Werke wollte er den Geist von Jahrtausenden versammeln und, bereichert durch erneute Formgebung, weitertragen in die Zukunft. Sein Blick wandte sich zurück in die Vergangenheit und suchte in allen Zeiten, Völkern und Kulturen das eine Geistige in Spuren zu finden, das in seiner überdauernden Wirkung das Antlitz auch unseres Zeitalters geprägt hat. Er ist ein Dichter der rastlosen Wanderschaft; hinter seinen wechselvollen Aufenthalten in Italien, Deutschland, Frankreich, Griechenland und dem Vorderen Orient verbirgt sich ein Wohnen in fernen geschichtlichen Räumen und Epochen. Er hatte am Griechenland der dionysischen Mysterien teil, verweilte im Italien Dantes und Michelangelos, trat in den mittelalterlichen Legendenbereich des Ritters Sankt Georg ein, scheute jedoch nicht davor zurück, mit demselben Blick der Zuversicht auch die gefährliche Welt der Planung und Zurüstung durch die Technik zu betreten. Und was er auf dem Wege durch Zeiten und Räume an Geistigem antraf, das nahm er auf, formte er um, besang und beschwingte er in einer Sprache, der man von außen schon — an ihrem hinreißenden Rhythmus und ihren oft bizarr zusammengewürfelten Bildkonstellationen — ihre Herkunft aus dem Feuerkern eines heraklitischen Geistes ansieht.

Aufs erste Hinsehen läßt die folgende Briefveröffentlichung nicht allzuviel von der Zuversicht dieses geistigen Impulses spüren. Zeigen diese Lebenszeichen — an Herausgeber und Freunde abgesendet — den Dichter doch mehr oder weniger deutlich in Situationen, bei deren Bewältigung ihn seine gehobene Anschauungskraft viel eher zu hindern als zu fördern schien, wenn auch aus ihnen, das muß man zugeben, wie selten sonst in seinem Werk, ersichtlich wird, mit welcher Konsequenz er alles, was ihm an weitreichenden Löbenszusammenhängen aufgegangen war, auch im „praktischen“ Leben zu verwirklichen suchte.

Da sieht es aber schon eher nach Fügung als nach Zufall aus, daß dem Dichter Theodor Däubler in Österreich dieselben Freunde zur Seite standen, die gleichzeitig auch Georg Trakl als Nothelfer in äußeren und inneren Belangen so viel bedeutet haben. Eine gemeinsame Aktion der Stützung schien sich da zwischen Wien, wo Erhard Buschbeck sich seit 1909, zuerst als Student, später als Beamter, schließlich Dramaturg des Burgtheaters, vorwiegend aufhielt, und Innsbruck, wo Ludwig von Ficker seit 1910 seinen „Brenner“ herausgab, zu polarisieren, ein doppeltes Unternehmen des Wegbereitens und Nachhelfens, das zwar in mancher Hinsicht offenkundig Hand in Hand ging, in der Hauptsache aber doch wie zufällig sich ergänzte. Dabei darf man nicht übersehen — die Grenzen sind zwar fließend —, daß die Briefe an Ludwig von Ficker mehr die literarisch aktive, jene an Buschbeck aber deutlich die freundschaftlich gelöste Seite an Däublers Erscheinung hervorheben. Deutlich wird auf jeden Fall, daß Theodor Däubler und sein „Nordlicht“ eine genuine Entdeckung des „Brenner“ waren und daß — auf der anderen Seite — Buschbecks Beistand dem Dichter bis zu seinem Tode in einer Lungenheilstätte im Schwarzwald am Herzen lag.

Das rechtfertigt die exemplarisch knappe Auswahl des Folgenden aus zwei umfangreichen Brief Sammlungen; sie kann begreiflicherweise nur Schlaglichter werfen: Auf die Anfänge der öffentlichen Wirksamkeit und bedeutsame Begegnungen vor dem ersten Weltkrieg; auf die Zeit größter dichterischer Produktivität bei bedrückendsten äußeren Lebensumständen in Griechenland zwischen 1921 und 1926; auf die letzten Lebensäußerungen an Erhard Buschbeck — ergänzt durch das Telegramm einer Freundin, das die Todesnachricht enthält.

AN LUDWIG VON FICKER*

Charlottenburg, 3. April 1912

Sehr geehrter Herr von Ficker, für Ihren freundlichen Brief und Antrag, in Innsbruck eine Vorlesung zu halten, besten Dank! Ich nehme sehr gerne an.

Ich bin in jeder Beziehung mit Ihren Vorschlägen einverstanden, der von Ihnen fixierte Betrag reicht, selbst wenn ich in Paris oder Rom sein sollte, vollkommen für die Deckung der Reisespesen, und nur darauf kommt es materiell an! So soll ich denn, nachdem ich schon in Innsbruck zuerst in Ihrer Revue durch Herrn Neugebauer eingehend besprochen wurde, auch zuerst vortragen! — So freue ich mich jedenfalls sehr über diese Debüts! — Was das Programm anbelangt, so glaube ich im Prinzip, daß man vor allem auf die Verständlichkeit der Abschnitte achten muß. — Hätten Sie bereits Vorschläge zu machen? ...

Ich hoffe, noch Näheres von Ihnen in Berlin erfahren zu können und freue mich schon ungemein auf ein Wiedersehen! Hoffentlich im Herbst? Mit herzlichen Wünschen für das Gelingen aller Ihrer geistigen Bestrebungen in Innsbruck verbleibe ich Ihr hochachtungsvollst ergebener Th. Däubler

AN LUDWIG VON FICKER“

Berlin-Halenseet 4. Juni 1913

Lieber, sehr geehrter Herr v. Ficker, es freut mich sehr, wieder ein Lebenszeichen von Ihnen bekommen zu haben. Sie haben wohl von der Verhängniskette bei uns gehört. Wir können uns nicht daraus befreien. So bin ich jetzt bei meiner jüngsten Schwester u. suche ihr beizustehen u. werde retten, was noch zu retten ist!

Nun zu Ihrer Karl-Kraus-Enquete: Leider kann ich mich daran offiziell nicht beteiligen:

1. Wenn jemand bekannt ist, so ist es ganz natürlich, wenn er sich in solchen Fällen öffentlich über andre äußert. Bei einem ganz unbekannten Menschen, wie bei mir, sieht so eine Äußerung wie Reclame für sich selbst aus. Sie wollen doch die Rundfrage breiteren Schichten bekanntgeben u. für die ist Kraus eine Persönlichkeit u. von mir hat niemand etwas gehört. —

2. Ich kenne blos die Anfänge Karl Kraus', damals fiel er mir als Sprachbekenner u. ausgezeichneter Polemiker auf. Seine weitere Entwicklung konnte ich nicht verfolgen. Ich freute mich zu hören, daß er für das moderne Wien eintrat. Ich meine: Altenberg, Loos, Kokoschka. — Das ist aber nicht genug, um in einer ernsten Angelegenheit mitsprechen zu können!...

Ich hatte in Positano sehr viel gearbeitet, nun liegt alles brach, ich komme hier nicht vom Fleck u. vor Herbst kann ich weder an Italien noch an Ruhe denken...

Hiermit schließe ich mit herzlichen Grüßen an Sie mit besten Empfehlungen an Ihre Frau Gemahlin

Ihr ergebener Th. Däubler

AN ERHARD BUSCHBECK3

Firenze, 20. März 1914

Mein lieber Buschbeck, das ist schön, daß Du nun das Nordlicht liest, vielleicht sollte man mit dem Pan anfangen. Gleich zu Anfang steht da die Metaphysik meiner Dynamik. Ich kam durch Boccionis Skulptur wieder drauf: Der sucht die moderne Dynamik plastisch auszudrücken. Und es ist ihm schon viel gelungen. Ich dachte oft an Sie: besonders auf meinen Ausflügen: Ich habe 4 wundervolle gemacht! — Hoffentlich kommt es noch zu einer gemeinschaftlichen Wanderung. Ich weiß aber noch gar nicht, was aus mir ab 1. April wird! Sizilien, Paris, Forte, Paris? Vielleicht auch Dresden, Trient oder Mailand? Jedenfalls halte ich den Kontakt aufrecht; ich werde Dir im April meine Adresse zuschicken. Die Orgie war fabelhaft: über aide Erwartungen! Nun Du scheinst ja auch in Venedig mit dem Leben dahingegondelt zu haben. — Das war damals. Venus und Mars standen in Konjunktur. — Jetzt viel Arbeit. Nichts als das. Mein Buch ist zu zwei Dritteln gedruckt. Den Gedichtband von Palazzeschi habe ich auch halb übersetzt: — Und Anderes ist in Arbeit. —

Was schaffst Du? — Das Wetter ist just nur teilweise schön, sehr oft regnet es den Fremden zu Ehren. —

Heute Futuristenrummel in Prato. Tavolato, der vom Appellgericht freigesprochen wurde, debütierte allein mit Leuten einer anderen Revue. Er wurde von Eclair u. Pathes Journal aufgenommen. Von Montag an erscheint er. Vielleicht siehst Du ihn, ich bin auch auf einem drauf, weiß aher

nicht auf welchem, ob bei Pathe oder Eclair! Er läßt Dich grüßen, ebenso Reglin.

Mit freundschaftlichem Handschlag bin ich Dein

Th. Däubler

AN LUDWIG VON FICKER*

Dresden, 27. November 1914

Lieber Herr von Ficker.

Ihr Brief war eine große Überraschung! Vor allem herzlichsten Dank, daß Sie an mich gedacht haben. Sie können sich wohl denken, wie nötig ich gerade zu Kriegszeiten eine Ermunterung auch in klingender Gestalt habe. Man weiß ja oft nicht wie ein und aus. Solang der Krieg dauert, heißt's fristen und fasten. Wer hätte das nicht gern ertragen!

Immerhin: die 2000 Kronen kommen hereingeschneit: Ein guter Winteranfang! Lieber Herr von Ficker, ich bitte Sie, halten Sie vorläufig noch die Summe, ich werde sie um Weihnachten dann selber abholen, oder sonstwie in Ostreich in Empfang nehmen. Zu viel möchte man nicht beim Eintausch verlieren. Schicken Sie mir nur freundl. sogleich 300 Mark. Damit komme ich aus und herunter Ende Jahres.

Falls der generöse Spender nicht erreichbar sein sollte oder wollte, so, bitte, Herr v. Ficker, danken Sie ihm innigst, jetzt oder wann möglich. Andrenfalls senden Sie mir doch seine Adresse, damit ich für meine erste Ermutigung danken kann. Das wäre mir ja so viel lieber.

Mit herzlichen Grüßen an Sie, Ihre Frau und Kinder bin

ich Ihr ergb. Th. Däubler

Ich bin in Triest geboren u. oestreichischer Staatsangehöriger.

Der Verlust Trakls hat mich sehr betroffen, man denkt immer wieder viel an ihn!

AN LUDWIG VON FICKERi

Dresden, 12. Dezember 1914

Lieber Herr v. Ficker, Ihre freundl. Zusendung der 300 Mark ist angekommen. Ich danke Ihnen nochmals für Ihren großen Freundschaftsbeweis; ich athme geradezu auf! Sind Sie von nun an in Innsbruck? Ich hoffe nämlich bestimmt, auf einen Sprung hinzukönnen. Am wahrscheinlichsten dürfte ich um Neujahr auftauchen.

Herr Buschbeck und ich, wir sind beide sehr betrübt wegen des Verlustes von Trakl. Wir lesen immer wieder in seinen ganz einzigartigen, wundervollen Gedichten. Zu Weihnachten will ich vielen damit eine Freude machen: in Norddeutschland ist er noch unbekannter als in Ostreich und Süddeutschland. Lieber Herr von Ficker, auch ich habe ein paar Menschen verloren! Leider muß man oft an Schillers Vers denken: Patroklus liegt begraben und Thersytes kehrt zurück! So war es in allen Kriegen, und dieser ist der größte aller Zeiten! Ich möchte aber nicht darüber schreiben, die Literaten sind grade jetzt grundlos geschwabbelsüchtig. So ein patriotischer Abend ist eine Trostlosigkeit. Alles Schreibtisch, Lampe! Unglaublich kühn und überraschend erlebt sind hingegen Feldpostbriefe unserer Soldaten. Ich kenne sowohl einige östreichische als auch deutsche, die einfach wundervoll sind.

Ich war vor ein paar Tagen in Böhmen: Auch dort ist die Stimmung durchaus würdig und vertrauensvoll. — Es ist erschütternd, wie schwerbetroffne Leute ihr Schicksal aufnehmen.

Auf Wiedersehn!

Herr Buschbeck grüßt Sie ebenfalls bestens. Beste Empfehl., herzliche Grüße an Sie, Ihre Frau, die Kinder

von Ihrem ergebenen Th. Däubler

AN ERHARD BUSCHBECK6

Berlin, 6. Dezember 1918

Lieber Erhard, meinen herzlichen Dank für Dein Eintreten für mich und meine Werke. Ich bin gerührt und dankbar, das weißt Du ja. Verschaffe mir ein paar Nummern ...

Stets Dein Däubler

AN LUDWIG VON FICKER

Athen, 26. April 1922

Lieber Herr von Ficker, Ihr Brief war mir eine wahre Freude, auf das angekündigte Brennerheft (oder Buch?) bin ich sehr gespannt...

Ich bleibe bestimmt noch lange hier: bin mit meiner Aufgabe nicht fertig. Griechenland ist jetzt ein sehr wichtiges Kulturland. Der Standpunkt zur Klassik ist noch nicht gefunden. Vielleicht gelingt es mir, einen Beitrag zur großen Aufgabe zu erbringen. Überdies ist die Mythologie nicht ausgedeutet: in ihrer Vorchristlichkeit wahrgenommen.

Das karge Griechenland ist augenblicklich mehr als das üppige Italien.

Schreiben Sie mir doch, ob der Brenner noch als Zeitschrift oder als Jahresdokument erscheint: aus Ihrem Brief geht das nicht genau hervor. Schon hatten wir heiße Tage, nun ist es blau und lau. Im Sommer bin ich wohl wieder auf dem Berg Athos.

Sehr herzliche Grüße an Sie, Ihre Frau und die florierenden Kinder.

Ihr ergb. Däubler

AN ERHARD BUSCHBECK

Skyros, 19. Juli 1923

Mein lieber Erhart, nun bewohne ich ein kleines Häuschen etwa 100 m fast senkrecht überm ägeischen Meer. Die Zimmer sind voll von Kupfergeschirr und rhodischem, auch samischem Porzellan, so hübsch hatte ich's schon sehr lange nicht. Bei klarem Wetter erblick ich Hagiostrati, Lemnos und den Athos, bei ganz durchsichtigem sogar... Chios u. Lesbos, also asiatische Inseln. Überhaupt war der Sommer sehr schön, zu reich, ich weiß kaum, wie ich alles unterbringen soll. So hat mich die letzte Zeit mit viel Bösem der vorletzten versöhnt. Vielleicht könnte nun alles bald besser werden, doch scheint es, daß mich die Presse doch boykottiert. Ich könnte da Manches anführen, erwähne doch blos Folgendes: Geheimrat Rang bringt einen Aufsatz über mich, Pannwitz zweie, ein gewisser Piper eine ganze Arbeit gar schwer unter. Wird das schließlich behoben, so komme ich nach Deutschland, Ostreich — Wien wäre mir lieber, ist jedoch zu teuer! — Bekamst Du Sparta? Den Athos? Falls nicht, reklamiere bei der Insel. Es liegt mir sehr daran, daß Du besonders Sparta liest. Es sind das Vorposten meines Griechenbuohes, doch sind 2 wichtige Arbeiten in der Deutschen Rundschau erschienen ... Weißt Du, wo ich war?

Kreta 3 Wochen, alle minoischen Städte im Süden u. Norden, dann Ritt sogar 5 Tage zu Pferd nach Ostkreta, Rückkehr über die Diktäische Grotte. Athen 2 Tage, wurde in Piräus gegen Pocken geimpft. Dann Delos 5 Tage, Mikonos 4. Tinos 4. — Athen 10 Tage; 2 Impfungen gegen Cholera, Typhus, Paratyphus a, Paratyphus ß. — Abfahrt: in Chalkis gelähmt, blind, taub 2 Tage lang. Dann Abreise wohlauf nach Volo, Besuch von Jolkos, Neleia, Pagasae, Dimitrias, Dimini. — Folgte Larissa, Tal Tempe. Autofahrt nach Trikka, Besuch (3 Tage) der Meteoraklöster (bloß in Körben, die man emporzieht, zugänglich), dann Karditsa — Pharsala. Wieder Volo, Pelion-Dörfer, Besteigung des Pelions. Erkältung. Nun das homerische Skyros.

Herzlichst Dein Theo

AN ERHARD BUSCHBECK

St. Blasien (Schwarzwald), Sanatorium, 31. März 1933 Lieber Erhard, man versucht es noch hier mit mir. Ich bin nicht ohne Hoffnung. Doch ich muß lang hierbleiben, allein, bettlägerig, halb als Gefangener. Da läßt sich nichts machen, man muß auch da durch. Herzliche Grüße an Dich, an viele Andre, Dein

Theo

AN ERHARD BUSCHBECK

Sanatorium St. Blasien, 5. Mai 1934

Lieber Erhard,

vor ein paar Wochen schrieb Dir Dr. Heissel, Du mögest ihm doch die Nummer von der ,Sendung Theodor Däublers' zur Verfügung stellen, d. h. ihm nach hier (Sanatorium St. Blasien) schicken. Bisher kam nichts. Wir brauchen 2 Exemplare notwendig, da ich mein Archiv zusammenstellen muß. Sollte kein Exemplar mehr vorhanden sein, was ich übrigens bezweifle, so lasse auf meine Spesen Dein Exemplar tippen, dies natürlich nur im äußersten Notfall, da es mir in keiner Beziehung gut geht, auch gesundheitlich nicht! Ich komme nicht weiter, zumal ich ganz appetitlos geworden bin. Trotzdem will ich die Hoffnung nicht aufgeben, Euch wiederzusehen. Ich habe von Dir überhaupt lange Zeit nichts gehört. Hoffentlich ist soweit alles gut und beim Alten. — Von Spunda bekam ich aus Griechenland eine Karte, ich freue mich sehr über seine Reisen, das sind noch bereisenswerte Länder. — Die weitere Umgebung von St. Blasien ist sehr schön, ich komme aber nicht einmal in die Nähe hinaus. — Morgen erwarte ich Besuch aus Berlin. Der Schwarzwald ist aber so entlegen, daß nur selten wer auftaucht.

Grüße die Freunde in Wien herzlichst und sei umarmt von Deinem

Theo

AN ERHARD BUSCHBECK

St. Blasien, 16. Mai 1934

Lieber Erhard,

ich danke Dir herzlichst für Übersendung der 'Sendung'. Sie hat mich wieder bewegt. Es geht nicht gut, aber ich hoffe immer noch. Herzlichst Dein

Däubler

EDITH BELL AN ERHARD BUSCHBECK

St. Blasien, 14. Juni 1934 Poststempel

theo gestern abend sanft entschlafen ueberfuehrung nach berlin = edith bell

1 Ficker hat Däubler 1910 in Florenz kennengelernt. Von dort, wo der Dichter in ärmlichen Verhältnissen im Kreise von Literaten, Malern und Bildhauern lebte — Ernst Barlach und eine Gruppe von Futuristen gehörten damals mit zur Runde —, brachte er ein Exemplar des eben erschienenen „Nordlichts“ mit nach Tirol. Er gab es an den Dichter und Kulturphilosophen Hugo Neugebauer weiter, der dem Werk, als einem „sibyllinischen Buch“, eine begeisterte Besprechung widmete.'Am 22. November 1912 hielt Däubler in Innsbruck seine erste Vorlesung aus eigenen Werken. Ähnlichen Veranstaltungen in Wien und Prag, die von Ficker dort angeregt wurden, stand dann nichts mehr im Wege.

1 Im Sommer 1913 veranstaltete der „Brenner“ eine „Rundfrage über Karl Kraus“. Daran beteiligten sich, neben den Autoren der Zeitschrift und anderen, auch Thomas Mann, Frank Wedekind, Arnold Schönberg, Franz Werfel und Stefan Zweig. Erstmals wurde so deutlich, wie sehr Kraus sich trotz der „Totschwelgehetze“ durch die Presse die Hochschätzung bedeutender Zeitgenossen zu erwerben vermocht hatte.

3 Die Bekanntschaft Däublers mit Buschbeck ist wohl zwischen 1911 und 1913 erfolgt. In dieser Zeit war Buschbeck der Leiter des „Akademischen Verbandes für Literatur und Musik“ in Wien, dessen Publikationsorgan „Der Ruf“ war, ein „Flugblatt für junge Menschen“. Albert Paris von Gütersloh, Robert Müller, Georg Trakl, Oskar Kokoschka, Anton von Webern und auch Theodor Däubler lieferten Beiträge. Mit Däubler hielt sich Buschbeck 1914/15 in Florenz, 1916/17 in Hiddensee auf.

4 Im Herbst 1914, unmittelbar vor Kriegsausbruch, sandte ein Unbekannter an Ludwig von Ficker einen Betrag von 100.000 Kronen mit der Bitte, diese, ohne daß der Geber genannt werde, nach eigenem Gutdünken an bedürftige Künstler zu verteilen. Trakl, Rilke, Kokoschka und, neben anderen, auch Däubler wurden mit einem Anteil bedacht. Der Mäzen war, wie erst später bekannt wurde, der Philosoph Ludwig Wittgenstein.

• Schon bei seiner Vorlesung 1912 war Däubler mit Trakl in Innsbruck zusammengekommen. Es lag wohl im Gegensatz der Temperamente, sicher aber auch an der völlig verschiedenen Art, wie jeder der beiden Dichter die Welt betrachtete, daß Trakl mit Däublers Dichtung wenig anzufangen wußte. Desto mehr imponierte ihm aber dessen Persönlichkeit und das Monumentale seiner äußeren Erscheinung. Vielleicht bedurfte es jedoch gerade dieses Gegensatzes, damit später, 1922, ausgerechnet durch Däubler, den Hymniker des Lebens und der kraftvollen Schicksalbezwingung, das Tiefste, was Trakl einem Freunde über den Tod gesagt hat, über den „Brenner“ und die „Erinnerung an Georg Trakl“ auf uns kommen konnte.

• 1918 erschien von Buschbeck im E.-Strache-Verlag eine würdigende Schrift: „Die Sendung Theodor Däublers“. Aus den letzten Briefen, die Däubler an den Autor gerichtet hat, geht hervor, wie sehr er sie geschätzt hat. Die hier erstmalig abgedruckten Briefe stammen aus dem Brenner-Archiv an der Universität Innsbruck und aus dem Nachlaß von Erhard Buschbeck.

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