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ÜBER FERDINAND EBNERS WAHRHAFTIGKEIT

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Die Bedeutung Ferdinand Ebners, des großen Unbekannten, wird immer mehr erkannt. Das danken wir nicht nur, aber auch und nicht zuletzt der im Kösel-Verlag erscheinenden Gesamtausgabe, als deren letzter Band jetzt seine Briefe erschienen sind. Der Einsame, der dieser Denker war, sucht den Partner für die Mitteilung seiner Gedanken, und so kommt es, daß wir von einer ganz neuen Seite über den Inhalt seiner Existenzphilosophie informiert werden. Was sich in der konzentrierten Form und aus den geballten Worten seiner „Fragmente” oft nur schwierig für das Verständnis gewinnen läßt, erscheint in den Briefen überraschend zugänglich und öffnet neue Ausblicke auf seine Originalität und Tiefe.

Es handelt sich um drei Hauptpartner. Da ist zunächst die Handarbeitslehrerin Luise Karpischek, die Freundin seiner Schwester, neun Jahre älter als er. Schon 1900 beginnt der Briefwechsel, der seine größte Dichte während des ersten Weltkrieges erreicht und 1923 aufhört, da Ebners Heirat den Abbruch bewirkt. Er schreibt ihr oft jede Woche, und dieses sein Briefwort ist wie eine Probe aufs Exempel seines „Ich-du-Verhältnisses”, das ihn ständig beschäftigt.

Die Korrespondenz fällt in die Zeit der Niederschrift von „Das Wort und die geistigen Realitäten” (1918/19), des Lebenswerkes. Wir erfahren also manches von den persönlichen Hintergründen seiner Thesen und können ihn, der sich in seiner Wahrhaftigkeit immer gleichbleibt, beim Wort nehmen. Wir sehen auch in seine persönlichen Schwierigkeiten. Er ist sich fast immer der „Aussichtslosigkeit seiner Existenz” bewußt, wobei er weder Ehrgeiz noch Hoffnung auf den so verdienten Erfolg zeigt: „Ich weiß es, ich werde es zu nichts bringen in dieser Welt” (16. Juli 1918). Trotzdem weiß er von seiner Bedeutung. Am 27. Mai 1921 schreibt er, daß „die Gedanken zu den Fragmenten die stärksten Revolutionsgedanken sind, die jemals gedacht wurden”. Sie sind es in der Tat. Denn hier revoltiert einer nicht bloß — im Zeitstil des beginnenden Jahrhunderts — gegen soziales Unrecht, ästhetische oder gesellschaftliche Konvention, sondern gegen den „Traum der Kultur”, in welchem er Dichtung, Kunst, Philosophie, Wissenschaft, Theologie vieler Jahrhunderte befangen sieht — gehalten an den Ernst des Christuswortes. Mißverstehende Kritiken, die einen solchen Radikalismus nicht billigen, nimmt er leicht. Als ihn der Komponist Hauer als „Evangelienliterat” beschimpft, überhört er es. Und als.

Es ist ergreifend, acht Tage später seine inzwischen gereifte Antwort auf diesen Zweifel zu finden. „Vor Gott ist kein Mensch ein Genie”, heißt es da. „Der Gedanke, daß Religiosität — das geistliche Leben des religiösen Menschen — am Ende nichts anderes wäre als ein Ersatz im Mangel an Genialität, ist eine .psychologische Anfechtung”… Am Glau- oen wird alle Psychologie zuschanden. In religiösen Fragen kann man sich nur geistig recht orientieren im Hinblick auf das Leben und Wort Jesu. Was aber bedeutet ein Genie, und wenn es auch das Genie aller Genies wäre, vor dem Leben und Wort Jesu? Vor dem Leben und Wort jenes, der kein Genie war, den ein Genie zu heißen Blasphemie ist?” Hier steht Ebner ebenso für Kierkegaard wie für den eigenen Ernst und die Unbedingtheit seines Glaubens.

Der Austausch über die höchsten und tiefsten Dinge geht hier zwischen zwei kleinen Angestellten der österreichischen Schule vor sich. Es kommen Themen zur Sprache, die vom Introitus des Johannesevangeliums über Gilgamesch, die Griechen, Dostojewskij sich erstrecken. Aber auch das Kultur-Wien der Jugendepoche spiegelt sich: vom atonalen Komponisten und Landsmann Josef Matthias Hauer, den Schweizer Expressionisten Johannes Itten bis zum Architekten Adolf Loos, dem Kritiker Karl Kraus und schließlich dem damals berühmten Hermann Bahr, der freilich nicht nach Ebners Geschmack war. Was er darüber aussagt, mag oft einseitig geprägt sein. Aber es trifft das Wesen.

Der zweite Hauptpartner ist Ludwig von Ficker, der Herausgeber der Zeitschrift „Der Brenner”. Auch hier spielen die „Fragmente” eine zentrale Rolle. Ebner hatte Theodor Haecker sein Manuskript gesendet, und dieser teilte ihm seine Zustimmung und zugleich die Nachricht mit, er habe es Ficker zur Publizierung empfohlen. Nach kurzer Zeit begrüßte dieser Ebner als seinen neuen Autor.

Seit dem ersten Weltkrieg war „Der Brenner”, der 1910 begonnen hatte, nicht mehr herausgekommen. Die 6. Folge (1919) leitete nun die neue Epoche mit Ebners „Fragment über Weininger” ein. Das Wichtigste aber war, daß Ficker trotz ökonomischer Schwierigkeiten an dem im voraus wenig lukrativen Plan festhielt, Ebners Buch zu bringen. Das Gutachten des Philosophieprofessors nennt er dabei einen „meuchelmörderischen Anschlag”. Wir erleben in dem Briefwechsel den Augenblick dieser einzigartigen Begegnung. „Ihnen — ebenso wie Herrn Haecker —• bin und bleibe ich zu größtem Dank verpflichtet”, schreibt Ebner, „daß Sie sich für ein am Ende doch gewagtes und jedenfalls zunächst nicht ganz unfragwürdiges Werk eines unbekannten, weit außerhalb des öffentlichen Lebens stehenden Menschen mit solcher Wärme einsetzen… Es ist zum erstenmal in meinem Leben — das nun nicht mehr fern ist von den Vierzigerjahren —, daß ich eine geistige Anteilnahme erfahre. Ermessen Sie daraus, verehrter Herr Ficker, wie mir auf Ihren Brief hin zumute ist” (23. September 1919). Dieser seinerseits teilt Ebner offen mit, was er an ihm gewonnen hat. Es stärkt ihn, „wie doch immer wieder da und dort einer aufsteht, der wesentlich berufen ist, dem Antlitz des ,Brenner’ immer tiefere und reinere Züge zu verleihen”.

Ebners lange und eigensinnig beibehaltene Anonymität ist damit zu Ende. In fast jedem neuen Heft des „Brenner” stehen Aufsätze von ihm und tragen zur Klärung der modernen christlichen Fragen bei. Am 9. September 1921 kann er schließlich Luise Karpischek mitteilen, daß „das erste fertige Exemplar der .Fragmente” bereits in seiner? Händen …” ist. Das einzige Buch seines Lebens, das doch wenig gelesen wurde und bald verschollen war — wie lange nach seinem Tod dauerte es, bis es wieder aufgelegt und dann erst im Rahmen des Gesamtwerkes neu ediert wurde! —, lag gedruckt vor.

Die letzten Briefe gelten dem dritten Hauptpartner, der Malerin und Lyrikerin Hildegard Jone-Humplik. Auch sie gehört zum „Brenner”-Kreis, war aber durch eine Verstimmung ausgeschieden. Es kennzeichnet die Generosität Fik- kers, daß er, von der neuen Verbindung durch Ebner unterrichtet, aufrichtig zustimmt. „Daß Sie mit Humpliks bekanntgeworden sind, das freut mich über die Maßen… Als ich Ihre Mitteilung las, habe ich mir sofort gedacht: Weiß Gott, das ist der glücklichste Einfall, den die Vorsehung im Augenblick haben konnte!”

Es verhielt sich in der Tat so und spiegelt sich auch in der Korrespondenz 1929 bis 1931 wider. Die Strenge seines Blicks wird durch Frau Jones künstlerischen Einfluß gemildert. Dazu mag schon früher die späte Heirat (1923) und die Geburt eines Sohnes (1924) verholfen haben. Es tritt freilich in diesen letzten Jahren eine Verdüsterung, ein Ton von fast hoffnungsloser Schwermut hervor. Wenn er sich in seiner Bitterkeit mit einem Frosch vergleicht, der, wie sehr er sich auch zur Größe des Elefanten aufbläst, doch nur Frosch bleibt, weiß sie besser als er in seiner Selbsterniedrigung, daß es „das Wort des Menschen” ist, das in ihm zum Dasein ringt und „vor dem Wort Gottes” bestehen wird. Durch ihre mütterliche Behandlung erhält er die reinste Bestätigung seines Wesens. Es geschieht wohl deshalb, daß er sie zur Verwalterin seines Nachlasses bestimmt.

Wenn er sich auch als „Entarteter und Verlorener, an dem eben die größten Wunder Gottes geschehen”, und die „Fragmente” als „schlecht, verworren, befangen geschrieben” verwirft, weiß er zugleich um ihre Notwendigkeit, „weil der tragende Grundgedanke richtig ist und jetzt, in unserer Zeit, gedacht werden muß. Ist es mir nicht bestimmt, bin ich nicht bestimmt, ihn — klarer als in den ,Fragmenten” — zu denken und zu gestalten, dann tut es ein anderer. Jedenfalls ist, was bisher über Ich-Du geschrieben wurde von Martin Buber, Gogarten, ganz unzulänglich. Sollte ich weiter arbeiten können, ähnlich wie bisher, was ich aber gerade jetzt fast in Zweifel ziehen möchte, so hätte ich im ganzen, Lektüre, Reinschrift mitinbegriffen, mindestens noch anderthalb bis zwei Jahre zu tun” (An Ficker, 7. August 1929).

Die Stelle enthält seine Tragödie. Denn diese ersehnten „zweieinhalb Jahre” werden ihm nicht gegönnt. Die beginnende Depressionsperiode verurteilt ihn zur Untätigkeit. Er sitzt mit der Feder beim Schreibtisch, wo ihm doch jede Zeile „ungemein schwerfällt”. „Es überkommt mich mächtig und unwiderstehlich das Gefühl des Bankrotteurs” (25. Jänner 1930). Und: Ich komme mir selber vor wie ein verrostetes Schloß mit eingerostetem Schlüssel. Wollen Sie versuchen, ihn zu drehen? …” (An Frau Jone, 11. April 1930). Ja, er fühlt „seit langem eine Furcht, einen Gedanken zu haben…” (18. Mai 1930). Schließlich der Tiefpunkt: „Meiner Autorschaft bin ich innerlich tatsächlich so weit entrückt, daß ich kaum mehr begreife, wie ich je habe schreiben können …”; man versteht den Schrecken der Briefempfänger.

Nach Monaten, im März 1931, tritt ein erstes Tauen dieses Zustandes ein. Die letzten Aphorismen entstehen. Versöhnung bricht sich Bahn. Am 16. Mai 1931 schreibt er an Luise Karpischek; „Du weißt, daß es wohl kaum einen Menschen in der Welt gibt, der die Einsamkeit besser kannte als ich, die Einsamkeit in ihrer furchtbarsten, gefährlichsten Form. Und doch gewann ich gerade in den wahrlich nicht geringen Qualen dieser Einsamkeit die Überzeugung, daß wir einmal— alle — zur großen Zweisamkeit des Lebens erwachen werden, der wir unser Dasein danken. Das ist kein Wortspiel.”

Im letzten, nicht abgesendeten Brief an Frau Jone heißt es, daß seine Frau darauf bestanden habe, den Rat des Arztes zu hören (1. Juli 1931). „Der Doktor kommt, untersucht mich sehr genau und konstatiert schließlich..Hier bricht die Zeile ab. Wir kennen heute den schicksalsvollen Inhalt des unvollendeten Satzes. Es war Tuberkulose, die wenige Wochen später, am 31. Oktober, Ebners Leben ein Ende bereitete.

„Der Mensch und Denker Ferdinand Ebner, der seinen Zeitgenossen ein Unbekannter blieb, ist nun Generationen vor die Augen gestellt” — so schließt der Herausgeber Franz Seyr in seinem Nachwort das dreibändige Werk der gesammelten Schriften ab. Für diese Tat, die mit dem größten Einsatz der Einfühlung, Übersicht, Akribie, Organisation wahrhaft einen Schatz des Geistes aus der Tiefe hob, haben wir ihm zu danken. Leben und Werk Ebners stehen jetzt als ein einzigartiger Versuch christlicher Existenz vor uns.

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