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REGENBOGEN DES VERSTEHENS

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Im Gedenken an Ludwig von Ficker und den „Brenner“

Am Karfreitag 1967 wurde in Innsbruck-Mühlau Ludwig von Ficker zu Grabe getragen. Ludwig Ficker lebte eine Kar-freitagsexdstenz. In seinem Geleitwort zur großen dreibändigen Edition der Schriften Ferdinand Ebners von Franz Seyr (München 1963) beruft Ficker das Bekenntniswort Ebners: „Ich will im Zusammenbrechen Gott die Ehre geben. Denn Geist ist Mut zum Leben, wo man ihn nicht für möglich halten sollte.“ Im Blick auf Ferdinand Ebner und Georg Trakl erinnert hier Ficker: „Denn beide, das sah ich klar, der Dichter wie der Denker, im Eigentümlichen ihrer Sehergabe einander wie von ferne nahegerückt, waren Aufgeopferte. Waren Opfer einer Zeitenwende...“

Ficker weiß sich mit seinen Freunden verbunden: „... wir alle, die wir aus dem Herzen unserer Leiderfahrung heraus Gott lieben...“ In diesen Sätzen ist eine Selbstdarstellung enthalten: der eigenen Existenz, und der Position, die ihm, Ludwig Ficker, geboren am 13. April 1880 in München, gestorben am 20. März 1967 in Innsbruck-Mühlau, zukam.

Man hat oft, mit Recht, die beiden Zeitschriften in einem Atemzuge genannt, die einander grüßten in einer langen Nacht, die von vielen als ein strahlender Sommersonntag erachtet wurde: Die „Fackel“ des Karl Kraus, von Wien her, und der „Brenner“ des Ludwig von Ficker, von Innsbruck her. Ficker war brennende Fackel. Das ist kein Wortspiel. Dieser große Einsame, dieser große Freund (der nicht nur ein „Genie der Freundschaft“ war, der Freundesdienst als heiligen Dienst, Kreuzesdienst auch, lebte), lebte das Leben eines Zimmermannes in Nazareth: als Korrektor der „Tyrolia“, in Innsbruck. Theodor Haecker fristete sein irdisches Dasein als Korrektor in München. Das ist die physische Existenz zweier Menschen in einer Zeit, die lachend auf Vulkanen dem ersten Weltkrieg zutanzte, in befohlenem Marschtritt in den zweiten Weltkrieg marschierte. Der zweite Weltkrieg brach das Herz des Theodor Haecker, der im Vorschein des ersten zum „Brenner“ kam. Fickers Herz sah noch dies: Die Vorbereitung eines dritten Weltkrieges, beifällig akklamiert von unseligen Geistern, die sein Freund Ferdinand Ebner 1933/34 im Rückblick auf 1914 bis 1918 ins Auge faßt: „Christliche Völker waren es, die diesen Krieg führten. Einer Auseinandersetzung mit der Bergpredigt war in dieser Zeit doch nicht ganz auszuweichen. Im Februar des Jahres 1915 hielt der Jesuitenpater Cohauss in Wien einen Vortrag über Krieg und Christentum, in dessen Verlaufe er, nach dem Referat einer kriegsbegeisterten .christlichen' Tageszeitung, den wahrhaft denk- und bedenkwürdigen Ausspruch tat: .Christus spricht als Rhetoriker und nicht als Casuist. Zu den Redefiguren gehören auch rhetorische Übertreibungen und drastische Wendungen, und diese werden von jedem vernünftigen Menschen verstanden. Sie müssen auf das richtige Maß zurückgeführt werden.'“

Am 18. Jänner 1949 stirbt in Innsbruck kurz nach Vollendung seines 80. Lebensjahres Carl Dallago. „Frühlicht über den Gräbern.“ In der 18. Folge des „Brenner''' 1954, auf deren letzten Seite steht: „Ende des Brenner“ befindet sich der Nachruf Fickers „Am Grabe Carl Dallagos“: „Lange ist es her, alter Freund — fast 20 Jahre, seit unsere Wege sich getrennt haben. Nie aber habe ich vergessen — denn immer schien es mir wie eine Fügung, die mich im Gewissen band: Dir zuliebe habe ich einst, vor nun bald 40 Jahren, den Brenner gegründet.“

Im „Brenner“ (9. Heft, VI. Jahrgang) hat der Südtiroler Carl Dallago die Kirche als eine „Mörderin des von jeher Geistigen und Religiösen“ angegriffen. Man kann Carl Dallago und den jungen „Brenner“ mit dem Blick auf Nietzsche und die Folgen, auf die turbulente, gärende geistige Welt in München um 1900 bis 1910, mit dem Blick auch auf einen spezifischen Tiroler Antiklerikalismus (von durchaus katholischer Provenienz) anvisieren. Wichtiger und bedeutsamer ist heute ein anderes: der „Brenner“ bildete, in dem schmalen Raum seiner Hefte, getragen nicht nur auf den Schultern, sondern als schwere Kreuzlast im eigenen Herzen, von Ludwig von Ficker, 1910 bis zunächst 1926 (in diesem Jahr scheidet Dal-lago aus dem „Brenner“-Kreis aus) einen Operationsraum, in dem das Ringen um die Erfahrung eines größeren Gottes und eines größeren Menschen bis zur Zerreißprobe ausgetragen wird. Carl Dallago, Wilhelm Kütemeyer, Theodor Haek-ker (der 1920 Katholik wird) stehen hier, mit dem ganzen Einsatz ihrer personalen Existenz für Geisteskämpfe, die heute in Weltmaßen in der Kirche heranstehen.

Es wäre interessant, dieses Ringen im „Brenner“, nicht zuletzt wider ein Kriegschristentum und eine in totalitäre Verhältnisse eingepaßte Kirche, zu vergleichen mit einigen Voten auf dem II. Vatikanischen Konzil: so mit dem wohl bedeutendsten Votum der Konzilsdebatte, dem des Kardinal3 Lercaro über den „musealen Charakter“ der Kirche in Lehrbetrieb, Wissenschaft, Kunst, mit Bischof Elchingers Angriff wider den „dogmatischen Imperialismus“, mit Kardinal Ottavianis Verpflichtung der Völker, kriegslüsterne Regierungen zu stürzen, wenn sie den Frieden vorsätzlich und ernstlich bedrohen, mit dem Hinweis auf die „Psychose der Zöli-batäre“ durch den Patriarchen Maximos. Dieser letztere Hinweis entspricht vielen Bemerkungen Ferdinand Ebners (jetzt im ersten und zweiten Band seiner „Schriften“).

Der „Brenner“ konnte zu diesem, in ganz Europa einzigartigen Operationsraum werden, in dem in ganz neuer Form „die Geister aufeinanderplatzten“ (eine Forderung des jungen Luther, von der er selbst bald abrückte), da der Herausgeber Ludwig von Ficker die zum Streit widereinander antretenden Freunde, und das heißt, die durch sie verkörperten Welten, in seiner eigenen Brust trug, barg, bewahrte.

Es ist hier nicht möglich, den langen Weg nachzuzeichnen, den Ficker auf 1932 zu ging. In diesem Jahr kehrt er in den Schoß der Kirche zurück. Wegbegleiter sind Haecker und Ferdinand Ebner, der 1931 stirbt. Von den Schwierigkeiten, von den Schmerzen dieses Weges können wir uns heute sehr lebendige Eindrücke vermitteln: wenn wir Ferdinand Ebners Ringen um ein glaubwürdiges, lebensechtes Christentum (jetzt in den beiden ersten Bänden seiner Schriften) wahrnehmen. Es gibt, nach Nietzsche, und im Raum des europäischen Christentums selbst, keine radikalere Auseinandersetzung mit der Kirche als diese Aufsätze, Essays, Tagebucheintragungen und Fragmente des Ferdinand Ebner.

Ludwig von Ficker ist nicht Ferdinand Ebner: Ebners innerer Lebenskampf reflektiert jedoch in bedeutenden Zügen das innere Ringen des Schöpfers des „Brenner“.

Im vorletzten „Brenner“ (17. Folge, 1948) befindet sich, übertragen von Eppo Steinacker, das „Flottengleichnis“ des Charles Peguy (aus dem „Mysterium der unschuldigen Kinder“). Das ist vielleicht die kühnste dichterische Vision in der katholischen Dichtung des 20. Jahrhunderts. Wir erinnern uns: Die Jahrzehnte vor 1914 waren von einem „Flottenrausch“ beseelt: Deutschland versuchte, durch Tirpitz, in diesen Rausch einzusteigen: immer größere Schlachtschiffe, schnellere Panzerkreuzer, suchte man da in England, Japan, Amerika zu bauen. Charles Peguy, der 1914 als Freiwilliger in der Marneschlacht fällt, sieht die Menschheit als eine Schlachtflotte aufziehen: Sie fährt aus — ins Herz Gottes. Geführt wird diese Kriegsflotte der um Gott kämpfenden Menschheit von Jesus Christus. Eine Kriegsflotte des „Vaterunser“ ... Dieses Flottengleichnis erinnert vielleicht am bildstärksten an das Brennen des „Brenners“ in einem lautlosen, stillen Brand, der ein verschlacktes Christentum mitaufbrennen wollte: Gräber sprengen, für ein wirkliches Ostern der Menschheit.

Wer den späten Ficker sah, erblickte einen Weisen. Hohe Milde. Die Regenbogenweite eines Verstehens, dem nichts Menschliches fremd war. Diese seine Einsicht bedeutete nicht falsche Nachsicht: Ludwig von Ficker konnte, etwa in Verteidigung Georg Trakls und seines Werkes, glühend, feurig, wie an seinem ersten Schöpfertag, sein Wort wagen. Ungetrübt blieb sein Scharfblick, der die Lügen von 1966 ebenso durchschaute wie die von 1916. Der greise Ficker bezeugte sich in einer Zeit des Geräusches, des Wortlärms, als ein Lebemeister der Diskretion: damit schuf er, ein letztes Mal in diesem seinem Erdenleben, Raum: Raum für andere, die im Heute ihr Wort zu wagen haben. So öffnet sich der Wirkungskreis dieses einzigartigen Mannes, der ein christlicher Edelmann war, wie es ein Lord Acton und ein Friedrich von Hügel gewesen sind (beide nicht zufällig auch bedeutende Kritiker ihrer Kirche): Ludwig von Ficker hatte 1910 den „Brenner“ gegründet, um dem Freunde Dallago einen Raum für sein freies Wort zu schaffen. Ficker bildete, als freie Existenz, in seinem hörenden, teilnehmenden, ratenden, helfendem Dasein., in diesen letzten Jahren seines Lebens einen Freiheitsiiaum für junge Menschen, die er ermutigte, sich selbst zu wagen. Führung in diskretester Form bot er, Führung und Geleit, nie Verführung.

Dieser gute Geist hat uns verlassen.

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