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Bandit im allerhöchsten Schmerz

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Else Lasker Schüler, ,die am 11. Februar 1869 das Licht der Welt erblickte, gehört zu den klassischen Vertretern des Expressionismus, einer Generation von Literaten, die vom Positivismus und Nihilismus des 19. Jahrhunderts herkommend und auf das Chaos des zweiten Weltkrieges zugehend,. noch einmal den Menschen aufzurütteln sucht ohne politisches Engagement, einzig und allein mit den Mitteln einer aus tiefster Angst, Verzweiflung und Sehnsucht geschöpften Sprache, deren fieberhafte Ekstatik schließlich zum Symbol der Auflösung, des politischen Zusammenbruchs wurde. Diese Strömung kann man heute wohl als die letzte betrachten, in der das lyrische Gedicht bevorzugte literarische Ausdrucksform war, will man sie nicht überhaupt, wie Gottfried Benn, pessimistisch als den letzten Ausläufer der deutschen Dichtung bezeichnen, „die Mala-dettagruppe,., die Monts Maudits“ des noch zum 18. Jahrhundert gehörenden Massivs.

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Else Lasker Schüler, ,die am 11. Februar 1869 das Licht der Welt erblickte, gehört zu den klassischen Vertretern des Expressionismus, einer Generation von Literaten, die vom Positivismus und Nihilismus des 19. Jahrhunderts herkommend und auf das Chaos des zweiten Weltkrieges zugehend,. noch einmal den Menschen aufzurütteln sucht ohne politisches Engagement, einzig und allein mit den Mitteln einer aus tiefster Angst, Verzweiflung und Sehnsucht geschöpften Sprache, deren fieberhafte Ekstatik schließlich zum Symbol der Auflösung, des politischen Zusammenbruchs wurde. Diese Strömung kann man heute wohl als die letzte betrachten, in der das lyrische Gedicht bevorzugte literarische Ausdrucksform war, will man sie nicht überhaupt, wie Gottfried Benn, pessimistisch als den letzten Ausläufer der deutschen Dichtung bezeichnen, „die Mala-dettagruppe,., die Monts Maudits“ des noch zum 18. Jahrhundert gehörenden Massivs.

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Sosehr die ewig Heimatlose, Vagantin und Ausreißerin, der das Schicksal der jüdischen Emigrantin schon vor der Flucht aus Deutschland Lebensform war, Getriebensein zu ständig neuem, angstgequälten Aufbruch, als eine für diese Zeit symbolhaft tragische Figur erscheinen mag, so wenig gehört sie dieser Zeit selbst an, so wenig läßt sie sich im letzten einer Gruppierung eingliedern. Die Dichterin, die sich mit kurz geschnittenem Haar, was damals noch auffiel, und Hosen gerne revolutionär gebärdete, stand weit mehr im Bann der Tradition, als sie es selbst wahrhaben wollte. Freilich, sie entdeckt unter dem Einfluß der Franzosen, wie Trakl und Benn, die Magie des Wortes, sie vermag mit ihren Gedichten das Opium der Träume aus dem Innersten zu saugen, sie beschwört bunte Bilder, paradiesische Welten, aber ihre Gesänge und Gebete, ihre frommen Sprüche und Liebeslieder erinnern ebenso an Matthias Claudius, wie die expressive Gewalt ihrer Angstträume an Christian Günther erinnert. In ständiger Wanderschaft zwischen zwei Welten, derWvon Gefthoteri' bedrängten Wirklichkeit und der Welt ihrer dichterischen Imagination, die sie' als Prinz Jussuf von Theben beherrschte, „Bandit im allerhöchsten Schmerz, im tollsten tollkühnsten Sinn“, landete sie schließlich in Jerusalem, wo sie im Jahre 1945 starb und auch begraben ist. Der Kösel-Verlag, der das dichterische Werk der Else Lasker Schüler betreut, gibt nun die Briefe der Dichterin heraus, ein Band erscheint pünktlich zum 100. Geburtstag, der zweite soll, samt Register, das man allerdings schon bei der Lektüre des ersten Bandes sehr vermißt, im Herbst erscheinen. Die' meisten der Briefe sind noch nicht veröffentlicht worden, besonders erschütternd ihre Briefe an Ludwig von Ficker, den sie als Landgraf von Tyrol apostrophiert und wie den Verleger „König“ Wolff mit ihren Sorgenbriefen überschüttet.

Die Tafel Schokolade, die sie in einem Brief an Ficker Trakl verspricht, erreichte den Dichter nicht mehr. Erschütterung und Depression über den Selbstmord Trakls in Krakau spiegeln die folgenden Briefe an Ficker, in welchem sie Ficker ihre Honorare anbietet, um die Uberführung Trakls nach Salzburg zu ermöglichen. (Jussuf läßt keinen Freund im Stich.) Spontan, zutiefst weltfremd, immer erliegend den Launen ihres exaltierten Dichterherzens, erfüllt von überströmender Liebe für die Erwählten ihres prinzlichen Imperiums, vermochte die Dichterin im Brief, deren sie täglich oft einige schrieb, eine ihr gemäße Ausdrucksform zu finden, die, für manche Erzeugnisse, für die Briefe an Buber gilt dies besonders, den Platz neben ihren Gedichten behaupten: Else Lasker Schüler hatte im thebanischen Gefolge viele, im irdischen Troß wenige Freunde. In der Schweiz lebte sie einige Zeit lang nach ihrer Flucht aus Deutschland von Abfällen, schlief auf Parkbänken, bis man sie aufgriff und sozusagen identifizierte. Einer ihrer wenigen echten Freunde war zweifellos Ficker. Er war es auch, der (aus dem im vorigen Jahr erschienenen Band „Denkzettel und Danksagungen“ geht dies hervor) um eine Sinnfälligkeit eines absoluten dichterischen Einsatzes, vielleicht gerade aus dem tragischen Erlebnis seiner persönlichen Begegnung mit Trakl heraus, rang. Er sieht diesen Einsatz nicht viel anders als der Atheist Benn, der im Kunstwerk die letzte Möglichkeit metaphysischer Betätigung zu erfahren meint, als substantielle Rückbesinnung nur eben von stellvertretender Bedeutung, als „Lückenbüßertum von erhabener Repräsentanz“. Eine Formulierung, die eingehend die Vergeblichkeit der Extremsituation, die für beide Autoren typisch ist, demonstriert.

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