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Digital In Arbeit

Ein Mond über der Welt

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WO IST UNSER BUNTES THEBEN, Briefe. 2. Teil. Von Else Lasker- Schüler, herausgegeben von Margarethe Küpper. Kösel-Verlag. 397 Seiten, 4 Bildtafeln. DM 22.—.

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WO IST UNSER BUNTES THEBEN, Briefe. 2. Teil. Von Else Lasker- Schüler, herausgegeben von Margarethe Küpper. Kösel-Verlag. 397 Seiten, 4 Bildtafeln. DM 22.—.

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In zwei handlichen Bänden liegen nun die aus aller Welt gesammelten Briefe und Karten der Dichterin Else Lasker-Schüler vor, geordnet, mit einem informativen Register versehen und der Wissenschaft zu weiterem Gebrauch unentbehrlich. Vergleicht man den ungeheuren Aufwand einer solchen Arbeit, deren Verdienst sowohl bei der Herausgeberin Margarethe Küpper als auch bei den verschiedenen Adressaten liegt, mit dem Inhalt so mancher Briefe, beschleicht einen kaum unterdrückbare Melancholie. Ein schöner Kodex, ein anständiges Register breiten sich wie ein Sargdek- kel über Tausende gelebte Nöte und Ängste. Briefe an alle Enden der Welt, deren Tenor eigentlich deutlich und oft unüberhörbar war (ich fresse meine Finger wie Spargelköpfe), Bettelbriefe, um das l.eben des kranken Kindes zu retten, Briefe an alle möglichen Gönner und Freunde, die, wie man weiß, nur selten Echo fanden. Nun, Doderers „Mahne nicht des Gewesenen“ gilt offensichtlich besonders für tote Dichter und die Literaturwissenschaft. Denn gerade diese Briefe sind Kostbarkeiten, wie jedes der Gedichte dieser außergewöhnlichen Jüdin, Kostbarkeiten für deren Bergung man dankbar sein muß. Else Lasker-Schüler schrieb niemals Prosa, selbst dann nicht, wenn es um eigentliche Mitteilungen oder bloße

Informationen ging. Sie fand eine ier Spontanität ihrer Empfindungen angepaßte Sprache, deren Buntheit Melodik und mythischer Bilderpracht im deutschen Sprachraum

wohl kaun Gleichwertiges an die Seite zu steilen ist. In den Briefen rückt das Moment purer Existenzangst, das der Sprache Atem und Fieber verleiht, stärker heraus, das bunte Theben der dichterischen Welt bleibt jedoch unzerstört, selbst dann, als es darum ging, wie in dem Brief an Leppin nach der Emigration, es wieder zu suchen.

Vielleicht ist Else Lasker-Schüler

heute mehr denn je aktuell. Ihre Lesungen in den zwanziger Jahren wären sicher von Blumenkindem bevölkert gewesen, hätte es damals welche gegeben. Die heutigen können nicht mehr lesen. Für die Lasker-Schüler ist die Sprache noch Hülle, adäquates Sein, Formel und Bild des erfühlten, erahnten Lebens: „Ich aber bin Jussuf, der Prinz von Theben, und ein Hirte und ein Jaguar und ein Straßenjunge und wie nun ein Wächter, ein Mond traurig über der Welt.“

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