6872840-1978_31_11.jpg
Digital In Arbeit

Lyrik und Mythos

Werbung
Werbung
Werbung

Lange Zeit war sie vergessen, verschmäht, abgetan von einer Literaturkritik, die nur das Neueste, nicht jedoch Qualität rezipieren ,wollte. iįse Lasker-Schüler - als Anhängsel prominenter Künstler. Ihre Wiederentdeckung ist zum großen Teil der Frauenbewegung zu verdanken, einem neuen feministischen Selbstbewußtsein, das sich daranmachte, die kulturellen Leistungen der Frau neu zu überdenken.

Und Else Lasker-Schüler wurde zu einer Symbolfigur, zur „liebenden Leitfigur” eines neuen Selbstverständnisses, ihre Kunst zum Ausdruck einer um ihre Autonomie kämpfenden Frau. Einer Frau, die sich durchzusetzen hatte in einer patriarchalischen Gesellschaft.

Rein formal und stilistisch war Else Lasker-Schüler ein Kind des Expressionismus, eine Doppelbegabung, wie sie in dieser Zeit oft anzutreffen sind. Hervorragende Lyrikerin und Graphikerin, die ihre Gedichte selbst illustrierte, wie etwa die Gedichtsammlung „Theben”.

Was sie aber unterschied von den anderen - von den Männern -, war ihre tiefe Religiosität, ihre Zuwendung zu mystischen und biblischen Themen, ihre scheinbare „Ablehnung des Politischen”., Lasker, „die Liebende”,, wie sie immer genannt wurde, die Frau, die sich aufopferte für ihren Sohn, die ur- christliche Demut vorlebte. „Mein Herz ist eine traurige Zeit. Die tonlos tickt.” Die Trauer, die Resignation, dann wieder das Aufbegehren gegen eine Passivität, wirkt bei Lasker-Schüler nie leer, hohl pathetisch, sondern ist stimmig, einfach, gleitet nicht ab in Selbstmitleid. Religiosität als Bewußtsein.

In der von Friedhelm Kemp hervorragend gestalteten Ausgabe der Gedichte von Else Lasker-Schüler läßt sich diese durchgreifende Religiosität auch nachvollziehen, jene Suche nach einer mystischen Welterklärung, die viel aktueller ist, als es scheint. Ausgezeichnet auch der biographische Teil, der „Versuch eines Lebenslaufes” der Lasker-Schüler.

,SÄMTLICHE GEDICHTE. Von Else Lasker-Schüler. Kösel Verlag, München 1977, 368 Seiten, öS 252,-

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung