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Briefe von Benn, Broch und Hesse

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Ausgewählte Briefe von Gottfried Benn. Mit

einem Nachwort von Max Rychner. Limes-Verlag, Wiesbaden. 400 Seiten. Preis 20 DM.

Dies ist die erste Sammlung von Benn-Briefen, veranstaltet vom Leiter des Limes-Verlages, Dr. Max Niedermayer, dem auch das Verdienst zukommt, Benns dichterisches und essayistisches Gesamtwerk während der letzten zehn Jahre mustergültig betreut SU haben. Mit Ausnahme eines Jugendbriefes stammen alle diese Zeugnisse aus den Jahren 1913 bis 1956, der größere und interessanteste Teil aus Benns letzten Lebensjahren. — Benn war kein „BriefSchreiber“ im traditionellen Sinn, kein Plauderer und Bekenner. An Veröffentlichung hat er wohl nie gedacht. Um so eindrucksvoller ist es für den Leser, zu beobachten, wie er die Wirklichkeit: Umwelt und Personen, mit dem gleichen sicheren Griff packt wie in seiner Prosa. Benn war ein Einsamer und ein Einzelgänger, nicht erst in den späteren Jahren, da er (am 12. August 1949) an Thea Sternheim schreibt: „ . . . mich kann nichts mehr tief treffen, auch kein Ruhm und dergleichen mich mehr erfreuen, die wenigen Jahre, die ich vielleicht noch lebe, wird mich niemand mehr gesprächig machen, was das Private und Oeffentliche betrifft.“ Er ist menschenscheu, leicht ermüdbar, nirgends „dabei“, proklamiert und unterschreibt nicht. „Bitte, kommen Sie pünktlich und bleiben Sie nicht lang“, ist die Devise im Verkehr mit den Zeitgenossen. Benns Kulturpessimismus, seine ahistorische Einstellung, die Ablehnung des Fortschritts und die Glorifizierung der Kunst als des einzig Dauernden im Wechsel — alle diese Motive findet man, zuweilen mit schockierender Direktheit ausgedrückt (denn das Konventionelle langweilte ihn), auch in seinen Briefen.

„Verbote, Predigten, Kontrollen, Restaurationen — ich glaube nicht, daß das viel nützt. Die geistigen Dinge sind irreversibel, sie gehen ihren Weg weiter, ihren Weg bis ans Ende der Nacht.“ — „Nur wer an jeder Stunde die Klauen, die Hauer, die rostigen Zähne sieht, mit denen sie unser Herz in Stücke reißt, der hat das Leben in sich aufgenommen und steht ihm nahe und darf leben.“ — „Es mag auch sein, daß ich menschliches Leid nicht mag, da es nicht Leid der Kunst ist, sondern nur Leid des Herzens...“ — „Ich weiß, was für gewalttätige Dinge ich denke und schreibe. Aber Belletristik gibt es genug und Keuschheitslegenden auch, meine Idealität ist nicht die einer Mimose.“ — „Ich höre, daß die Wirkung meiner Bücher stark ist im einzelnen, aber im ganzen alle-Welt schockiert und geradezu bösartig macht. Nun„ das ist nicht gegen. meine Wünsche. Mit offenen Armen aufgenommen zu werden, würde mich sehr bedenklich machen.“

Solche Zitate ließen sich beliebig vermehren, und das Bild Benns würde immer schillernder. Max Rychner nennt das einmal „Artistenrhetorik“. Was ist echt, was ist Pose? Wahrscheinlich ist Benn, schon in frühester Jugend, in seinen Gefühlen (auch in den religiösen) tief verletzt worden, und von da kommt seine Empfindlichkeit, von da die als Schnoddrigkeit getarnte Abwehr. Ambivalent ist auch sein Verhältnis zu Berlin, wo er fast sein ganzes Leben verbrachte. Er braucht die Großstadt, aber in ihr lebt er wie ein Einsiedlerkrebs, verbirgt sich in einer winzigen, dunklen Wohnung mit Fenstern auf den Hof und auf Kaninchenställe, sitzt Abend für Abend in einer Berliner Destille, allem nah, allem fern, und genießt das Herandrängen der schwermütigen Bilder, die in einigen seiner Gedichte so zauberhaft und betörend Klang geworden sind.

Unter den Briefpartnern finden sich neben persönlichen Freundinnen und Freunden auch Prominente des deutschen kulturellen Lebens: Max Bense, Bernard von Brentano, E. R. Curtius, Paul Hindemith (für den er 1930 den Text zu dem Oratorium „Das Unaufhörliche“ schrieb), Ernst Jünger (dessen Bekanntschaft Armin Möhler vermittelte), Frank Maraun, die beiden Verleger Erich Reiss und Max Niedermayer, Max Rychner, Ina Seidel, Friedrich Sieburg und andere. — Der Verlag hat den schönen Band mustergültig ediert, mit alphabetischem Personenregister, Verzeichnis der Briefpartner und mehr als 50 Seiten Anmerkungen versehen. — Als nächste Publikation ist wohl die Korrespondenz mit dem Bremer Dr. F. W. Oelze zu erwarten, mit dem Benn seit 1932 in ständigem Briefwechsel stand.

Briefe von 1929 bis 1951. Von Hermann Broch.

Herausgegeben und eingeleitet von Robert Pick. Rhein-Verlag, Zürich. 457 Seiten. Preis 19.60 DM.

Dieser achte und letzte Band der gesammelten Werke von Hermann Broch enthält 270 Briefe sowie einen 20 Seiten langen Briefentwurf. Sie bilden nur einen Bruchteil der im Nachlaß des Dichters gefundenen Korrespondenz, von der Kopien existieren. (An den Verleger Daniel Brody, der für den vorliegenden Band ein Nachwort geschrieben hat, sind allein mehr als 700 Briefe gerichtet.) Hermann Broch, seit 193 8 in der Emigration in Amerika, war ein gewaltiger Brief Schreiber; er verfaßt seitenlange Selbstkommentare und Abhandlungen, mit deren späterer Publikation der Autor wohl gerechnet haben muß. Sein Hauptproblem war: die Frage nach der Berechtigung des Dichters und seiner Existenz, sowie die des Kunstwerks, speziell des Romans, in unserer Zeit.

„Ich plage mich sosehr mit meinen Arbeiten — und der ,Vergil' war noch etwas ganz anderes als Plage. . ., ich weiß, daß i'h nicht bloß Literatur im landläufigen Sinn erzeuge . . Am ,Vergil', habe ich — zu jener Zeit, als er noch kein ,Buch' war und

auch keines hätte werden sollen — etwas erlebt, was mit .Dichten' nichts mehr zu tun hatte, und da habe ich auch gelernt, daß alles Dichten, das nicht über das Dichten hinausgeht, heute keine Geltung mehr haben kann, keine mehr haben darf.“

Ein anderes Lebensproblem Brochs war die ständige Ueberbeanspruchung durch Beruf, Korrespondenz und Schaffen. Er müßte, meint er einmal, um alle begonnenen Arbeiten abzuschließen, 300 Jahre alt werden. Dichtung und Leben sind eins:

„Ich arbeite ausschließlich zu meiner Selbstbestätigung, das heißt, ich fühle einen gewissen Reichtum in mir, bin gegen ihn mißtrauisch, und muß ihn daher zur Gestalt zu bringen versuchen, damit sich das Mißtrauen einigermaßen (nie vollständig) besänftigt. Daher rührt auch die erfolgswidrige Vielfalt meiner Produktion. Jetzt sollen nicht weniger als acht verschiedene Bücher fertiggestellt werden...“

Brochs Engagement überstieg die Kräfte eines einzelnen. Der stets Hilfsbereite hatte einen Posteinlauf von oft 250 Briefen im Monat zu* bewältigen. Er sollte unzählige Manuskripte lesen und beurteilen, nahm an verschiedenen Bemühungen zur Stärkung des Humanitätsgedankens teil, quälte sich mit Aufträgen — und mußte sehen, wie sein eigenes Werk, seine letzten großen Arbeiten, Fragment blieben: eine Massenpsychologie und eine Erkenntnistheorie, die sich' im Nachlaß fanden. — Der Dichter der „Schlafwandler“, der „Schuldlosen“, des „Tod des Vergil“ und des „Versuchers“ kam vom Literarisch-Aesthetischen über die Psychologie immer mehr zur Ethik. Diese Entwicklung bezeugen vor allem die im gleichen Verlag erschienenen Essaybände „Dichten und Erkennen“ sowie „Erkennen und Handeln“.

Unter den Adressaten der Hermann-Broch-Briefe (die leider nicht alphabetisch rubriziert sind) finden wir: Frank Thieß, Hannah Arendt, Günther Anders, Herbert Burgmüller, Hermann Weigand, Hans Sahl, Elisabeth Langässer und andere. — Ein Großteil der Briefe ist an das Ehepaar Brody gerichtet, und wer künftig von Hermann Broch und seinem Werk spricht, wird es nicht versäumen, diesen beiden seinen Respekt zu bezeugen, die einem zu Lebzeiten wenig erfolgreichen Schriftsteller durch Jahrzehnte die Treue gehalten haben und von denen er immer wieder Hilfe und Ermutigung empfing.

*

Betrachtungen und Briefe. Von Hermann Hesse (Gesammelte Schriften. Siebenter Band). Suhrkainp-

Verlag. 944 Seiten. Preis 20 Dfvt'. -

.. -PS .......

Der erste Teil dieses schönen Dünndruckbandes, mit dem die gesammelten Schriften Hesses abgeschlossen werden, umfaßt eine Reihe kürzerer Aufsätze, Essays, Studien oder „Betrachtungen“, wie sie der Dichter nennt, die zum Teil schon in früheren Prosabänden erschienen waren, und die von „Am Ende des Jahres 1904“ bis zu „Kafka-Deutungen“ von 1956 reichen. Hier wird, neben welthistorischen

Themen (Krieg und Frieden, von 1914 bis 1945), Schwäbisch-Lokales, Familiäres und Persönliches abgehandelt, hier stehen Vorworte und Anmerkungen zu eigenen Werken, Notizen über fernöstliche Themen, über Dichtung und Kritik, Lektüre und alltägliche Eindrücke.

Zentrum und Schwerpunkt des Bandes bilden 300 Seiten Briefe Hesses nebst mehr als 100 Seiten „Rundbriefe“, an die sich die Tagebuchblätter aus dem Jahr 195 5 schließen. Da gibt es bekannte und hochberühmte Adressaten, wie Thomas Mann, Andre Gide, C. G. Jung, Karl Kerenyi und Alfred Kubin. Aber' die interessantesten sind die Briefe an Unbekannte, meist Leser Hesses, und unter diesen wieder viele junge Leute, die, aus einer Not heraus, ei mutigt durch die Lektüre Hessescher Bücher, sich von dem Dichter Rat, Trost und Hilfe erwarten. Hesse tat das Menschenmögliche, diesem Ansturm standzuhalten und den vielfachen Anforderungen gerecht zu werden: I

„Ich bin ein alter, kranker Mann, und jeden Tag seit einigen Jahren schwer überbürdet, so kann ich Ihnen nur kurz antworten ...“

„Wer viele Briefe bekommt und von vielen angegangen wird, dem kommt heutzutage ein nicht aussetzender Strom von Elend jeder Art entgegen, von der sanften Klage und schüchternen Bitte bis zum wütend grollenden Auftrumpfen der zynischen Verzweiflung ... Ich habe mich im Laufe dieser letzten Jahre damit abfinden müssen, mein Empfinden und Verstehen für jene großen Fälle von Not zu sparen, denen wenigstens einigermaßen abzuhelfen, denen mit Trost und Rat oder mit materiellen Gaben beizu-kcmmen ist.“

Er muß wirklich Verzweifelten einen Sinn ihres Leidens finden helfen, sich das Gestammel Halbwüchsiger anhören und gelegentlich auch „an eine Dame mit Liebeskummer“ schreiben. Was wunder, daß er manchmal auch bitter und knurrig wird. Einige dieser Briefe gehören zu den erfrischendsten, zum Beispiel der, welcher beginnt:

„Sie haben das Bedürfnis gehabt, als Dreiund-zwanzigjährige dem Zweiundsiebzigjährigen sein Werk und Leben als unnütz und schädlich um die Ohren zu schlagen . ..“

Der ergreifendste und gehaltvollste Brief ist an einen Achtzehnjährigen gerichtet (S. 716 bis 720), aber gerade diesen kann man nicht exzerpieren; wer irgend kann, soll ihn selbst nachlesen. — Zum Schluß noch einige Motive, die in diesen Briefen häufig wiederkehren: die Verteidigung des Einzelgängertums, die Skepsis gegen alle „patentierten“ Lösungen, die Lossage vom politischen Deutschland, von der Evangelischen Kirche, von allen Akademien. Vereinigungen unrT'Zirk'eln, sein Eintreten für Thomas Mann, Martin Buber und Gertrud von Le Fort, die er mit warmen Worten für den Nobelpreis verschlägt, und anderes. Ein großer Reichtum, ein Stück Alteuropa, deutsche Humanität in ihrer speziellen schwäbischen Ausprägung, ist uns mit diesen Briefen in Erinnerung gerufen.

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