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Dichtung und Glaube

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Der Verfasser definiert, was er unter .Glaube“ versteht, zunächst sehr allgemein als .die in überrationalen Überzeugungen wurzelnde Anschauung vom Ganzen der Welt“, und skizziert ein allgemeines Bild der Gegenwartsdtditung. Sie ist, mehr als in anderen Zeiten, Weltanschauungsdichtung, die bestimmt wird durch die Erschütterungen der Gegenwart, die fast alle Künstler von Rang erfahren haben. Im Zeichen der Krise begegnen einander junge und ältere Autoren, so verschieden die Art ihrer Darstellung sein mag. — Die Wahrhaftigkeit der Gegenwartsdichtung gestattet es kaum mehr einem Autor, das Bild der .Persönlichkeit“, das Ideal vom unversehrten, harmonischen Menschen aufzurichten. An seine Stelle tritt oft ein .Panorama des Bösen.

In dieser Sttuation kommt der christlichen Dichtung im engeren Sinn eine besondere Aufgabe zu: „Indem christliche Dichtung durch das Werk einer Reihe bedeutender Autoren zu Rang und Ansehen erhoben wird, hilft sie entscheidend mit an der Überwindung der Verzweiflungen unseres Zeitalters. Die Rückgewinnung der Ubernatur als eines Teiles der Wirklichkeit, in der wir Menschen zu leben haben, bedeutet die endgültige Bereicherung der Dichtung unserer Zeit, die nun in die Lage gesetzt wird, Diesseits und Jenseits zu einer Einheit zu verbinden und dem Menschen die ihm zugewiesene Stelle im Schnittpunkt zwischen Natur und Ubernatur anzuweisen. Von dieser Stelle kommen heute die helleren Züge in das dunkle Antlitz der Zeit.“ Grenzmann zitiert hiezu ein inhaltsreiches Wort Egon Holthusens, der sagte, „daß christliches Denken die Rolle der Aufklärung übernehmen muß in einer von vielen heidnischen Ideologien, Philosophien und Hirngespinsten verdunkelten Welt.“

Im dritten Kapitel der Einleitung gibt der Autor einen gedrängten Überblick über die Metamorphosen der traditionellen dichterischen Gattungen: zu ihnen tritt, gewichtiger als früher, das Tagebuch (häufig und bezeichnend in der Gestalt des .Nachtbuches“) sowie der Aphorismus. Dann wendet sich Grenzmann der monographischen Darstellung der einzelnen Dichter zu, die in folgenden Gruppen angeordnet sind: Die Literatur der Krisis (Thomas Manns spätes Werk, Gottfried Benn, Hermann Kasack, Ernst Wiechert, Hermann Hesse, Hermann Broch), Durchbruch zur Wirklichkeit (Franz Kafka, Ernst Jünger, F. G. Jünger, Hans Carossa), Die christliche Welt (Werner Bergengruen, Elisabeth Langässer. Stefan Andres, Franz Werfel, R. A. Schröder, Gertrud von Le Fort), Erlebnis und Überwindung des Krieges (die Lyriker M. L. Kaschnitz, Manfred Hausmann, Horst Lange, H. E Holthusen, Rudolf Hagelstange, Reinhoid Schneider, Waltraut Nicolas, Käthe Rheinsdorf und die Dramatiker Bert Brecht, Carl Zuckmayer, Wolfgang Bordiert sowie der Epiker Theodor Plievier). Im Nachtrag stehen Konrad Weiß und Georg Britting.

Bei der großen Anzahl der Dichter und der noch größeren Fülle der besprochenen Werke muß sich der Rezensent darauf beschränken, die Namen zu nennen, und muß es sich auch versagen, Proben der treffenden Charakterisierungen des Autors zu geben. Professor Grenzmanns umfassende Kenntnis des gewaltigen Stoffes, seine Belesenheit und seine Genauigkeit bei der Wiedergabe der oft komplizierten Inhalte der einzelnen Werke ist ebenso bemerkenswert wie sein — bei aller Eindeutigkeit des weltanschaulichen Standpunktes — sachliches Urteil: Qualitäten, die wir bei einem Vorgänger auf dem Gebiet der neuen deutschen Literaturforschung, dem ausgezeichneten Albert Soergel, zu schätzen wußten. Uber Einzelnes mit dem Autor zu rechten, wäre unbillig. Mit der Auswahl und degi den einzelnen Autoren zugemessenen Raum in Grenzmanns Darstellung kann man einverstanden sein. Daher sei, was hier zu sagen wäre, nur als Randbemerkung notiert: daß Reinhold Schneider, den Grenzmann selbst als den Autor charakterisiert, „der unter den christlichen Dichtern unserer Gegenwart die klarsten Züge und die sidierste Stimme“ habe, auf anderthalb Seiten zu flüchtig behandelt ist, und daß die Joseph- Tetralogie von Thomas Mann etwas oberflächlich gesehen ist. Daß die deutsche Dichtung der Gegenwart im Kraftfeld starker ausländischer Einflüsse liegt und in unserer Zeit mehr empfangend als gebend ist, liest man im wesentlichen nur in der Einleitung und vermaßt an vielen Stellen konkrete Hinweise. In dem Werkverzeichnii am Ende des Buches wären bei einer Neuauflage auch die Verlage nachzutragen. Dann mögen auch einige sprachliche Unebenheiten sowie eine Reihe störender Druckfehler beseitigt werden.

Zwiespalt der Seele. Roman. Von Graham Greene. Paul - Zeolnay - Verlag, Wien. 315 Seiten.

Der Roman, der bereits älteren Datums ist, aber eret jetzt ins Deutsche übersetzt wurde, spielt im Schmugglermilieu der englischen Kanalküste. Andrews, Sohn eines tyrannischen Vaters, der ihn zum seelischen Krüppel machte, Mitglied einer Schmugglerbande, dessen Chef ihn nicht ernst nimmt, zeigt seine Kameraden an. Er zeigt sie nur an, um damit sein seelisches Trauma zu beseitigen: er will endlich von sich aus etwas tun und damit die ewige Tyrannis seines Vaters abschütteln. Die einzige Folge seiner Tat ist nur, daß er der Wut seiner ehemaligen , Kameraden ausgesetzt ist und fliehen muß, um ihrer Rache zu entgehen. Seine Rettung ist, daß er einem jungen Mädchen buchstäblich in die Hände läuft, zu dem ihn eine innere Stimme immer wieder zurücktreibt und das den Tod auf sich nimmt, um ihn vor dem Verderben zu retten.

Uriausdenkbar, was aus diesem Stoff für ein Ütuchigar Roman hätte werden können, wenn sich nicht Greene seiner angenommen hätt . So aber wurde auch daraus wieder ein christlich-anonymer Roman, wie die meisten Werke des Autors, der wie wenige die Kraft hat, die christlichen Dinge nicht beim Namen zu nennen, sondern sie nur wirken zu lassen. Die Werke Greenes können nicht genug empfohlen werden; den Christen, damit sie von ihm die Methode lernen, wie heute das Christentum zu predigen ist, den Nichtchristen, weil sie auf diese Weise mehr mit christlichem Gedankengut in Berührung kommen können als auf anderen Wegen.

Ein Kaiser will den Frieden. Der Roman Karls I. von Österreich. Von Hilde Knob- 1 o c fa. Verlag Anton Pustet, Graz-Salzburg- Wieji. 363 Seiten. Preis S 45.

Hilde Knobloch wird zusehends zum Prototyp des liebenswürdigen, fraulichen Interpreten österreichischer Geschichte. Mit Herzenswärme und mit längst bewährten Mitteln dichterischen Ausdrucks wirbt sie für die Gestalten, deren Schicksal sie zu deuten versucht. Löblich und in gewissem Sinne kühn ist der Gedanke, dem letzten habsburqisdien Kaiser ein Denkmal zu setzen, nicht aere pergnnius, dauernder als Erz, nicht panegyrisch, kritiklos lobpreisend, sondern geformt mit dem Werkzeug milder, verstehender Seelenkunde.

Die Darstellung beginnt an dem schicksalhaften 28. Juni 1914, Karl wird Thronfolger und gewinnt ein neues Verhältnis zum alten Kaiser, der Krieg beginnt, Karl erhält ein Kommando, er folgt Franz Joseph auf den Thron, die Kriegserlebnisse machen ihn immer mehr zum fanatischen Kämpfer für den Frieden — damit wird mehr oder weniger konsequent seine Gegnerschaft zum uneingeschränkten U-Boot-Krieg und die ihm so sehr verübelte Fühlungnahme mit seinem Schwager Sixtus begründet. Es folgt das Ende der Monarchie, Karl ist in der Schweiz, zweimalversuchter, inUngarngegerHorthys Willen das Königtum wieder autzui chten, er wird nach Madeira gebracht und stirbt dort.

Der weite Bogen vom jungen Erzherzog, dem „Glückskind“, zu dem durch übermächtige Widerstände Niedergezwungenen ist mit Tragik beladen und gerade auch in dem Zwiespältigen der Erscheinung des letzten Kaisers liegt Stoff die Fülle für den Dichter. Hilde Knobloch selbst bezeichnet das Buch im Untertitel als Roman. Das verringert das Gewicht der historischen Irr- tünjer, Vielleicht wurde hier aber doch noch zu früh eine Dichtung über Karl geschrieben. Immerhin ist der Gesamteindruck absolut gut, glaubhaft vor allem auch in dem Persönlichen des innigen Verhältnisses zu Gattin und Kindern und in manchen prachtvollen Szenen — nicht in den etwas papierenen Schlachtenbildern —, mit denen die Dichterin über ihr bisheriges Schaffen sichtlich hinauswächst.

Tausend Gramm. Sammlung neuer deutscher Geschichten. Herausgegeben von Wolfgang Weyrauch. Rowohlt - Verlag, Hamburg. Stuttgart, Baden-Baden, Berlin.

Einen „Kahlschlag in unserem Dickicht nennt der Herausgeber die dichterische Mission jener jüngeren deutschen Prosaisten, „die vor 1945 nur den Fachleuten bekannt waren oder die erst nach 1945 zu schreiben angefangen haben . Er meint damit, daß man nüchtern, sachlich und schmucklos wieder von vorne anfangen müsse. Aber so primitiv ist das meiste der hier gezeigten Proben gar nicht: Wolfgang Grothes „Totenkongreß“ etwa, der Jesus Christus als den „Ehrenpräsidenten einer Tagung beschwört, ist kein Anfang, eher ein ausdruck-überzüchtetes bles- phemisches Ende. Im allgemeinen schlagen die Themen Krieg, Gefangenschaft und Nachkriegsproblematik vor. Geschlechtliches wird mit großer Freizügigkeit, aber auch mit unverkennbarem ethischem Wollen berührt. Vereinzelt gelingt auch schon das Höchste an Vorwurf und Stil wie etwa in Alfred Reinhold Böttchers „Mütterlicher Passion . Daneben steht viel kühn Verstiegenes, selten Banales. So ist dieses Buch immer interessant und wiegt stellenweise schwerer als die vorgegebenen 1000 Gramm… Einen ästhetischen Genuß bietet die bei aller schlichten Ausstattung künstlerisch hervorragende Schrift- und Satzanordnung.

Das Buch von Axel Munthe. Von Gustaf Munthe, G. Uexküll-Schwerin. Paul-List- Verlag, München.

Die so oft gehörte Frage, wer Axel Munthe, der Verfasser des Buches von San Michele, das in 37 Sprachen übersetzt wurde, eigentlich ist, wird von zwei, ihm nahestehenden Menschen auf feinste psychologische Art beantwortet. Das Bild „dieser widerspruchsvollen, aus Demut und Stolz, Genialität und Einfachheit so seltsam zusammengefügten Persönlichkeit“ zeigt einen überaus gütigen, großen und ringenden Menschen. Aus seinem interessanten Leben voll seltsamer und packender Geschehnisse erfahren wir sehr viel Unbekanntes, das trotz aller persönlichen Darstellung im „Buch von San Michele“ verschwiegen bleibt. So bedeutet dies Werk wohl das schönste Geschenk für die Menge derer, die an dem berühmten schwedischen Arzt und Dichter Interesse nehmen.

Gold nach Kanada. Roman. — Neue Saat. Roman. Von Bertold Bassa. Verlag .Das Berglandbuch“, Salzburg. 391, 416 Seiten.

Der Wiener Bassa, Jahrgang 1885, sah ln seinen Jünglingstagen das Vergehen alter Ordnungen; er erlebte auf Reisen durch Europa die ethische Zersetzung der Alten Welt nach dem ersten Weltkrieg. Das gibt, mit imgemein plastischer Darstellung, den Hintergrund des ersten Romans. Deutschland, Westeuropa um 1929, durchaus nicht billig retrospektiv; aus sozialen Komponenten die Resultierende von 1933 entwickelnd. Der zweite Roman (1951, zwei Jahre später) variiert die Themen des ersten, seelenanalytisch vertieft. Trotz filmartiger Bilderfolge bleibt innere Geschlossenheit, trotz der Form, des Unterhaltungsbuches das Bestreben, breiten Kreisen gesellschaftliche Einsichten — und Aussichten — zu vermitteln. Und dies mit Erfolg. Wer immer fordert, daß Probleme der Gegenwart behandelt werden müssen, und dabei beklagt, daß die deutsche Literatur durch Ideenballast Schlagseite bekommen hat: der wird bei Bassa eine „Neue Saat“ finden.

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