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Vita Romana

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Es ist hier nicht der Ort, auf den Kampf gegen die humanistische Bildung und seine Ursachen einzugehen. Es sei lediglich fest-1 gestellt, daß eben diese Bildung nicht nur von ihren mehr oder weniger ahnungslosen Feinden mit mehr oder weniger Erfolg untergraben wird, sondern gelegentlich auch von ihren überzeugten Freunden, den Lehrern des Lateinischen und Griechischen, denen es mitunter fast noch besser als den Gegnern gelingen kann, das herrliche Leben, das in den antiken Texten eingefangen ist, zum Tode zu befördern. Wie das möglich ist? Nun, dadurch, daß man den Inhalt über der Form vernachlässigt — etwas, was für junge Menschen nahezu unerträglich ist. Die bunten Bilder und Gestalten der Antike werden nur zu oft (keineswegs aus Bosheit, sondern irgendwie zwangsläufig) in den grauen Nebelschleier einer rein formalistischen Autorenbehandlung eingehüllt. Es ist einzusehen, daß damit nicht nur den Schülern, sondern auch den Dichtern und Schriftstellern Unrecht geschieht.

Natürlich ist gediegene Sprachkenntnis für das Verständnis eines Textes unerläßlich! Dieser Satz gilt ganz allgemein, ist aber vielleicht für nur gelesene, nicht mehr gesprochene Texte von noch größerer Bedeutung. Man hat daher mit Recht seit jeher von den Lehrern der alten Sprache strengste grammatische Schulung verlangt. Es sei hier nun mit ebenso großem Nachdruck betont, daß jeder, der einen antiken Text verstehen und erklären will, über seinen Inhalt genau so gut Bescheid wissen muß wie über seine sprachliche Form. Es muß also jeder, der auf ein wirkliches Verständnis auch des Sachlichen Wert legt, die sogenannten Realien gründlich beherrschen. Zu solchem Wissen führen verschiedene Wege. Neben dem unübertrefflichen Mittel der Studienreisen nach antiken Kulturstätten im In- und Ausland, neben der Teilnahme an geeigneten Vorträgen und Führungen, neben sorgfältiger Lektüre antiker Schriftwerke mit Hilfe guter Sachkommentare (an denen Mangel besteht!), neben diesen und anderen Bildungsmitteln kommen noch Reallexika und zusammenhängende Darstellungen in Betracht.

So sei denn gerne auf ein sehr wertvolles Buch hingewiesen, das sich mit dem Alltagsleben im alten Rom beschäftigt. Das Buch ist mit viel Sachkenntnis, Gründlichkeit und Liebe geschrieben, und zwar von einem italienischen Gelehrten, dem weit mehr als dem nördlicheren Menschen die Zusammenhänge zwischen Einst und Jetzt, die tausend Fäden, die das alte mit dem heutigen Rom verbinden, noch deutlich erkennbar sind. Der nun schon bejahrte, doch jugendlich temperamentvolle Kenner der römischen Antike, Professor Ugo Enrico Paoli, Philologe, Archäologe und Spezialist für römisches Recht, hat sich seit mehr als einem Menschenalter mit dem römischen Alltag befaßt. Er ging, in organischer Methode, vom hlltäglichen Leben aus und stellte dieses dann in den Kreis des städtischen und völkischen. Aus den Büchern „Lar familiaris“ (später „Vita Romana“) und „Urbs“ entstand das zusammenfassende Werk „Vita Romana', dessen fünfte Auflage nun in der deutschen Ubersetzung vorliegt. Das Buch fällt durch sorgfältige Ausstattung und imponierenden Umfang auf. Es sei zugegeben, daß es manchmal vielleicht ein wenig zu redselig ist, aber „wn das Herz voll Ist, des geht der Mund über“. L:.cber zuviel Herzenswärme als zu wenig! (Leider ist das Deutsch der Ubersetzung nicht durchwegs einwandfrei.) Aber wie plastisch wird die etwa 1000jährige bauliche Entwicklung Roms „aus dem kleinen Dorf auf dem Palatin zur größten Metropole des Altertums“ geschildert und dann, im Schlußkapitel der Verfall, von der Zeit Konstantins bis zur Poesie des von Humus überwachsenen, grünenden und blühenden Campo vaccino, der idyllischen, mit „malerischen“ Ruinen gezierten Viehweide, deren systematische Aufgrabung im 19. Jahrhundert vielen Freunden Roms als Sakrileg erschien!

In nicht ganz logischer Anordnung (was sich wohl aus der Entstehungsgeschichte des Buches erklärt), aber stets auf Grund wissenschaftlicher Forschungsergebnisse und mit der ihm eigenen Lebendigkeit läßt der Verfasser die farbige Welt des römischen Alltags an uns vorüberziehen. Wohnung und Nahrung, Kleidung und Schmuck, Körper- und Krankenpflege, Hochzeit und Begräbnis, geistiges und materielles Leben (insbesondere Schul- und Industriebetrieb), Frauen- und Sklavenleben, einzelne Berufe (Rechtsanwalt, Arzt, Jäger, Fischer und andere), Kunst, Literatur, Unterhaltung, Reise, Sport — all diese Gebiete werden eingehend und quellenmäßig behandelt. Sehr wertvoll sind die gelegentlichen Gegenüberstellungen antiker und moderner Lebensformen, so zum Beispiel, wenn die Bedeutung der \Zah\, das heißt der Numerierung im täglichen Leben für die Gegenwart und ihr so häufiges Fehlen in der Vergangenheit (es gab zum Beispiel keine Hausnummern im Altertum) hervorgehoben wird, oder etwa das überreichliche Vorhandensein von Papier in der Gegenwart und die Kostbarkeit des Schreibmaterials im Altertum.

Alles in allem: das Buch bietet in Text und Bild aufschlußreiche Kenntnisse für den Freund der römischen Antike und jeden, der es werden möchte oder sollte. Schade, daß Paolis Buch nicht bloß im ideellen Sinne so — kostbar ist...

Univ.-Prof. Dr. G. Herzog-Hauser

Der Schrei aus der Tiefe. Von Paul C1 au-d e 1. Verlag Ferdinand Sohöningh, Paderborn.

Eine Auswahl aus den frühen Arbeiten Paul Claudels, Prosa und Verse leicht vermischt, liegt vor. Lose Skizzenblätter mit Gedanken, Eindrücken und Gleichnissen versehen, die sich dem jungen Dichter in den ersten Stadien seiner Lebensreise, die ihn durch viele Niederungen, über manche Untiefen hinweg, zu einer seltenen Höhe der Menschen- und Weltbetrachtung führte, aufgedrängt haben. Dunkel ist manchmal die Sprache, dunkel, aber niemals düster. Claudels Gedankengänge sind nie schmal, vielmehr gleichen sie den großen Hallen spätbarocker Kirchen. Viel Ahnung schwingt zwischen den Zeilen mit. Ahnung davon, daß dort, gerade dort, wo viele Menschen unübersteigbare Grenzen für das menschliche Erfassen und Begreifen zu wissen glauben, die Fundamente eines mächtigen Baues gelagert sind, unter dessen Kuppel wir alle unsere Schritte setzen: diesseits und jenseits, Natur und Ubernatur, Zeit und Ewigkeit — Claudel kennt keine Scheidewand. Von der Schilderung und Offenbarung menschlicher Not und Schwäche stößt er direkt und unvermittelt zur Anschauung Gottes vor.

Dr. Kurt Skalnffc

Beide Sizilien. Von Alexander Lernet-H o 1 e n i a. Verlag Bermann-Fischer, Wien. 334 Seiten.

Der Titel des Buches suggeriert Erinnerungen an das historische Königreich dieses Namens oder vielleicht auch an altösterreichische Reminiszenzen aus der Geschichte des ruhmreichen Reiterregiments, dessen Inhaber der Herrscher beider Sizilien gewesen war.

Tatsächlich geht es hier um die Schicksale ehemaliger Angehöriger eines fiktiven altöster-reichischen Regiments, die, nach dem Zusammenbruch von 1918 in alle Winde verstreut, durch phantastisches Geschehen nochmals eng aneinander gebunden wurden. Soldatisches Erleben bildet den Hintergrund einer Kriminalgeschichte, die als solche glänzend dargestellte, spannende Momente und auch unterhaltende Dialoge und Mileusrhilderun-gen enthält, in ihrem weiteren Ablauf aber ermüdet und enttäuscht. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Autor keinen ganz klaren Plan vor Augen hatte, als er daranging, dieses Buch zu schreiben; wenigstens wäre das eine Erklärung für seine häufigen, unmotivierten Abschweifungen vom Thema und für seine Exkursionen in einen verworrenen Mystizismus, auf denen ihm zumindest jene seiner Leser nicht folgen werden, die es ablehnen, im Geschick des einzelnen nichts anderes zu sehen als das Spiel irgendwelcher dunklen Mächte, denen der Mensch hilf- und rettungslos ausgeliefert ist. — Lernet-Holenia hat Besseres geschrieben, und es ist schade, daß dieses Buch seinem großen dichterischen Können nur in Bruchstücken entspricht. Kurt S t r a c h w i t z

Schiller. Von Melitta Gerhard. Verlag A. Francke, Bern. 453 Seiten.

Dieses neue Schiller-Buch hat es sich zur Aufgabe gesetzt, Schiller nicht vom Standpunkt seiner künstlerischen Leistung, sondern von der Idee seiner Persönlichkeit her darzustellen, das heißt, daß sämtliche geistigen Äußerungen Schillers, gleichviel ob künstlerischen, ästhetischen oder philosophischen Charakters, in Verbindung gebracht werden. Tatsächlich bestand bereits seit langem das Bedürfnis nach einer solchen Darstellung, die dem selbständigen Denker Schiller gerecht wird. Nachdem das 19. Jahrhundert stets auf den Dramatiker blickte und, wie noch der Nationalsozialismus, auf den Künder nationaler Gedankengänge, befleißigt sich nun dieses Buch, der Wahrheit die Ehre gebend, die Gesamtidee Schiller, den Humanisten und

Idealisten an seinem Leitziel des .ästhetischen Staates zu entwickeln.

Methodisch begrüßt der Rezensent die Klarheit und Objektivität der Darstellung, die, allem Experimentieren abgeneigt, ihre gerade Straße geht. Nach all den ideologischen Purzelbäumen, die gerade in bezug auf Schiller geschlagen wurden, kehrt damit die Schiller-Darstellung wieder auf den Weg der geschichtlichen Wahrheit zurück. Persönlich vermisse ich die Stellungnahme zur vorangegangenen Schiller-Literatur, die das Buch allerdings mit einem wissenschaftlichen Apparat belastet hätte. Trotzdem halte ich die Stellungnahme jedes neuen Schiller-Monographen zur Schiller-Literatur für unerläßlich. Das vorliegende Buch besitzt alle Eigenschaften, zum Standardwerk über Schiller für unsere Zeit zu werden. Dr. Robert Mühlher

Der tausendjährige Rosenstrauch. Deutsche Gedichte aus tausend Jahren. Paul-Zsolnay-Verlag, Wien. 679 Seiten.

Es schien das Bestreben des Autors, aus dem Bestand deutscher Gedichte vom Wessobrunner Gebet bis zu Hans Leifhelm das im doppelten Sinne „Klassische“ auszuwählen: das Vollendete und das allgemein Anerkannte und Bekannte. Es fehlt in der Tat kaum eines der großen und kleinen berühmten Gedichte, die chronologisch aufgereiht sind. Der Herausgeber Felix Braun nennt zwei Kriterien für das Schöne: Anschaulichkeit und Musik. Allzu Zeitbezogenes wurde ausgeschieden, denn „der Standort des Dichters ist derselbe geblieben, seit der erste Gesang die Seele des Menschen überkommen. Ein Einwand erhebt sich nur gegen die Grenze, welche der Herausgeber der Auswahl bei den Dichtern der letzten Generation gesetzt hat: es wurden nur Gedichte der Toten aufgenommen! So kommt es, daß in einer Anthologie, die einige der „Moabiter Sonette des 1945 hingerichteten Albrecht Haushofer enthält, die Namen Brecht, Carossa und Hermann Hesse (um nur drei vom Beginn des Alphabets zu nennen) fehlen — nur weil ihre Träger noch unter den Lebenden weilen.

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