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Eine neue Biographie Oscar Wildes

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Hesketh-Pearson, „The life of Oscar Wilde“ Methuen & Co. L.T. D., London

Wenn man bedenkt, daß fast zwanzig Biographien und Spezialbücher über Wildes Leben und Wirken erschienen sind, wovon drei Biographien (Harborough-Sherard, Alfred Douglas, Frank Harris) ins Deutsdie übersetzt wurden, so erscheint es als ein müßiges Unterfangen, jetzt noch mit einer neuen Biographie über wilde der Welt etwas Neues sagen zu wollen. Aber diese drei zitierten Biographien stammen von Männern, die noch unter dem persönlichen Einfluß Wildes standen und zu seinen nächsten Freunden und Bekannten gehörten und sich in ihren Wilde - Biographien mehr oder weniger gegen Vorwürfe selbst zu verteidigen hatten, die von anderen intimsten Freunden Wildes gegen sie erhoben wurden. Sie sind, objektiv gesehen, alle drei verdächtig in bezug auf gewisse Vorgänge in dem Wildeschen Drama. Hesketh-Pearson gehörte nicht zu dem Freundeskreis Wildes, stand also auch nidit unter seinem Bann. Bernhard Shaw, der einzige noch lebende Alters- und Zeitgenosse Wildes, geistig frisoh trotz seiner beinahe hundert Jahre, von Pearson gefragt, ob er die neue Biographie schreiben solle, gab zur Antwort, „daß das Feld von anderen zu sehr abgegrast sei und er (Pearson) kaum Neues bringen könne“. Aber Pearson wagte es und schuf ein neues Buch, das, aus ungemein reichem Quellenmaterial schöpfend, viel Neues und vor allem Interessantes bringt, das Wilde und sein Wesen, seine Persönlichkeit in anderer Belichtung zeigt. Vor allem: es macht den Eindruck absoluter Wahrheit. Diese neue Biographie hat eine radikal andere Tendenz und einen neuen, durchsichtigen Aufbau im Gegensatz zu den drei oben zitierten Biographien. Während jene als Kernstück Wildes Prozeß und Sturz nach dem Weltskandal-Prozeß mit den Miasmen eins Moralsumpfes enthalten, schaltet Pearson dieses Kernstück des Dramas von Old-Bailey möglichst aus. Ihm liegt daran, Wilde aus seinen Werken, seinen Gesprächen usw. sprechen zu lassen. Er erhebt ihn aus dem „Brodem der Pathologie in die lichte Komödie; nidn den Verurteilten zu zeigen, sondern den Plauderer“. Pearsons Kapitelüberschriften zeigen schon dies Bestreben: Die Eltern, der Knabe, der Oxonian (Oxford-Student). Auf Vortragsreisen. Die Familie. Der Kritiker. Der Künstler. Der Plauderer (d. h. Anekdotenerzähler). Der Dramatiker. Der Sturz. Der Sträfling. Der Verbannte. Das Ende.

Pearson läßt Wilde seine Paradoxe, seine Witze, die Wortgefechte und Aphorismen, seine Unterredungen mit Theaterdirektoren, Künstlern, Schauspielern und Politikern selbst sprechen und gibt so das lebendigste Bild des Künstlers und des Menschen im täglichen Leben. Vor allem: er räumt mit Märchen der Biographie von Frank Harris auf, die, glänzend geschrieben, sogar Bernhard Shaw geblendet hatte. Von Harris Biographie sagt Pearson, daß er nicht ein Wort davon glaube, das nicht einwandfrei erwiesen sei (durch „corroborative evidence“). Nicht weniger als 121 Quellen zu seinem Buch gibt Pearson an, die aus Erinnerungen von Leuten aller Stände fließen; nicht die uninteressantesten von den großen Schauspielerinnen ihrer Zeit (Lily Langtry, Ellen Terry, Sarah Bernhardt) und den Londoner Theaterdirektoren (Alexander und Beerbohm-Trce). Die Kapitel über den „Witzbold“ und Ästheten, vor allem über die „Familie“ mit ihrer Schilderung von Wildes Mutter an ihren Empfangstagen, der Lady Wilde, die Gäste in einem langschleppigen Kleid aus schillerndem, grauem Adas, das graue

Haar lose über den Rücken hängend und einen Kranz von vergoldeten Lorbeerblättern auf dem Haupte wie eine alte Druidenpriesterin empfängt und durch Paradoxe und aparte Bemerkungen verblüfft, sind eine Quelle größten Vergnügens für den Leser. „Epater le citoyen!“ war nicht nur die Devise ihres Sohnes, der sie offenbar mit der Muttermilch eingesogen hatte. Ob Wilde wirklich neben dem besten Lustspieldichter Englands nach Shakespeare, Sheridan, zu setzen ist, muß die Zukunft lehren. Sein engster Landsmann und Zeitgenosse, der als Autor das Rennen mit Wilde zu gewinnen scheint, Bernhard Shaw, nennt das von Pearson als „Meisterstück“ bezeichnete Lustspiel „The im-portance of being Earnest“ ein Stück voll spaßiger Szenen, aber von einer „inneren Gehässigkeit durchströmt“. Wir empfinden dies Lustspiel schon als etwas „verstaubt“, genau wie das ehemalige „klassische Meisterlustspiel“ „Die Journalisten“.

Nicht der geringste Vorzug des Pearsonschen Buches liegt in der Wiedergabe von Wildes besten Witzen und humoristischen Einfällen. Als Philipp III. einen lesenden Mann beobachtete, der von Zeit zu Zeit laut lachte, meinte er: „Entweder ist dieser Mann ein Narr oder er liest im Don Quichote.“ Beim Lesen von Pear-sons Wilde-Biographie geht es jedem Leser so.

Als Qucllenbuch für Wilde I.;cbrnhcr und Forscher ist sein Werk nicht zu übergehen. Seine Werturteile sind die eines Enthusiasten, der, wie meist alle Biographen, noch ehe sie anfangen, von dem Helden ihres Werkes begeistert sind-Unter den vielen neuen Tatsachen ist zum Beispiel interessant, wie Pearson nachweist, daß Wilde nicht erst auf dem Sterbebette, sondern schon als junger Oxford-Student sich ernstlich mit dem Gedanken trug, zum Katholizismus, wie mehrere seiner Freunde, respektive seiner Bekannten (Aubrey-Beardsley, Morc-Adky Douglas und andere), überzutreten, und daß er in jungen Jahren der ..Emotion“ wegen zu den Freimaurern gegangen war.

Es wäre zu begrüßen, wenn sich ein Deutscher fände, der die Einfühlungsgabe hat, das Unübersetzbare dieses Buches an Witzen und Humor sinngemäß deutsch wiederzugeben. Pear-sons Buch ist außerdem wichtig für jeden Kulturhistoriker der Spät-Viktorianischen Regierungszeit, und für mich, trotz seiner Verzauberung durch den witzigsten Iren, die beste mir bekannte Biographie Wildes, weil die zuverlässigste.

Aber man darf bei diesem Buch nicht außer acht lassen, daß es nur in die Hände von Er-wadisenen gehört und keine Lektüre für Halbwüchsige ist.

„Der Wiener Stephansdom und seine Geschichte.“ Von Dr. Richard Kurt D o n i n. Verlag Erwin Müller, Wien 1946.

Die Katastrophe von 1945 hat das Interesse an dem altehrwürdigen Wahrzeichen Wiens und seiner Gesdiidite aufs neue heftig gesteigert. Nun ist es aber heutzutage nicht so einfach, sich darüber verläßliche Kenntnisse zu verschaffen. Die große Monographie von Hans Tietze, die übrigens in mancher Hinsicht überholt ist, sowie die kleineren Führer durch den Dom sind fast restlos vergriffen, letztere schon ihrem Umfang nach für ein genaueres Wissen unzulänglich. So ist denn das Erscheinen obgenannten Buches die willkommene Erfüllung eines vielseits geäußerten dringlichen Wunsches. Der Verfasser, durch jahrzehntelange Forschungen mit dem Bauobjekt innig vertraut, hat für diesen Zweck den Ausgleich gesucht — und gefunden zwischen der Methode streng wissenschaftlicher Arbeit und dem Bemühen, deren Ergebnisse in leichtfaßlicher Form einem weiteren Kreis von Interessenten mitzuteilen.

Die Befunde der neuesten Grabungen sowie der derzeitige neueste Stand der Kunstwissen-schaft hinsichtlich verschiedener Probleme der Baugeschichte sind gewissenhaft vermerkt, begründet und erläutert. Die heimische Bautätigkeit aus näherer und fernerer Umgebung ist zu kritischem Vergleich herangezogen Daneben läuft eine übersichtliche, auf das Wesentliche verdichtete Beschreibung der einzelnen Bauteile von außen und innen und ihrer reichen Ausstattung an Plastiken, Wandgemälden und Altarbildern sowie Glasmalereien von der ältesten Zeit an bis in unsere Gegenwart, wobei auch die nächste Umgebung im ehemaligen Dombezirk, ebenso die Katakombenanlagen miteinbezogen werden. Schließlich werden die traurigen Ereignisse der Krisentage erstmalig in dankenswert objektiver Weise erörtert und somit manchen schon bemerkbaren Ansätzen zur Verfälschung der Tatsachen wirkungsvoll begegnet. Sehr beachtenswert sind einige Weisungen für den Neuaufbau.

Den Abschluß bildet eine überzeugende Zusammenfassung und feinsinnige künstlerische Würdigung des vorher Gegebenen und eine gewissenhaft zusammengestellte Ubersicht über die einschlägige Literatur. 21 planvoll ausgewählte Text- und Tafelbilder ergänzen die Ausführungen und schaffen alle Voraussetzungen für eine weite Verbreitung des Buches in den gebildeten Schichten unseres Volkes.

„Christliche Bildung und Erziehung.“ Vorlesungen und Vorträge der Professoren B e e-king, Lehrl, Meister, Pfliegler. 108 Seiten, broschiert. Heß-Verlag, Basel.

Wie arm sind wir an guter pädagogischer Literatur geworden und wie ist doch praktisch fast iridtts von dem erhältlich, was man den Studierenden der Erziehungswissenschaft, den Lehrern zu ihrer Fortbildung und allen tiefer an der Erziehung Interessierten zur Lektüre empfehlen möchte! Da war es ein ausgezeichneter Gedanke, die pädagogischen Referate der Siebenten Salzburger Hochschulwochen im Druck herauszugeben. Das Büchlein bietet weit mehr, als sein bescheidener Umfang vermuten läßt, denn es ist eben eine Quintessenz christlicher Erziehungswissenschaft. Pfliegler legt das katholische Bildungsideal dar, rechtfertigt es und zeigt die Stufen seiner Integration, Meister durchleuchtet die Beziehungen zwischen Kultur, Weltanschauung und Erziehung, Lehrl gibt in ausgewogener Art die Darstellung der erziehenden Gemeinschaften und ihrer Aufgaben in katholischer Schau, Beeking aber behandelt die Grundfragen der christlichen Jugendführung und damit vielleicht die Fragen, welche vom Standpunkte des heutigen Erziehers aus die drängendsten sind. So ist das kleine Buch eine umfassende Skizze katholischer Pädagogik geworden und in der glücklichsten Weise geeignet, die großen Lücken unseres pädagogisdien Schrifttums zunächst zu überbrücken und Anreger zu sein für künftiges Schaffen auf den hier gewiesenen Bahnen.

„Jakob Wassermann. Briefe an seine Braut und Gattin Julie.“ Eingeleitet, herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Frau Julie Wassermann-Speyer, unter Mitarbeit ihres Sohnes Maximilian. Verlag „Bücherfreunde“, Basel 1940.

Die Auswahl von etwa 200 Briefen aus den Jahren 1900 bis 1929 vermittelt ein eindrucksvolles Bild des Menschen und Künstlers Wassermann. Unablässig von einer Fülle von Gesichten bedrängt, von ungeheuren Stoffmassen fast erdrückt ein Ruheloser, vom eigenen Schaffen ewig Unbefriedigter — weil Höchstes von sich fordernd —, opfert der Schriftsteller seinem Werk das Glück des engsten menschlichen Bezirks: Ehe und Familie, den Frieden und das Behagen des eigenen Heims. Schlaglichter auf Wassermanns Romanwerk, die mit den Augen des Dichters geschauten Landschaftsbilder und die vielfältige Spiegelung der literarischen Welt in den ersten drei Jahrzehnten des neuen Jahrhunderts machen das Buch besonders für den literarisch Interessierten lesenswert.

„Christine.“ Roman von Irmengard von Sazenhofen. Erwin Müller-Verlag, Wien.

Ein harmloser Roman, wie er in Zeitungen früher unter dem Strich üblich war. Allerdings möchte man sich fragen, ob wir nicht heute andere Bücher und Romane nötiger hätten.

Ein Mahn- und Trostbüchlein, geschöpft aus Adalbert Stifter von Moriz Enzinger, österreichische Verlagsanstalt, Innsbruck, 170 Seiten, gebunden S 6.60.

Das Werk Adalbert Stifters, dieses zutiefst österreichischen Dichters, hat nadi einer solchen Auswahl verengt, wie sie ihm hier zuteil geworden ist. Sie bringt seine Gedankenwelt mit großer Einfühlung zum Ausdruck, die sinnvoll gegliedert durch alle wichtigen geistigen und seelischen Bezirke führt. Wer das Bändchen liest, wird so recht des schönen Wortes Stifters gewahr: „Gleichgesinnten Freunden eine vergnügte Stunde zu machen, ihnen allen, bekannten wie unbekannten, einen Gruß zu senden, und ein Körnchen Gutes zu dem Baue des Ewigen beizutragen, das war die Absicht bei meinen Schriften.“

„Die Dampftramway.“ Von Erhard Buschbeck. Erschienen in der Reihe „Stimme aus Österreich“. Verlag Erwin Müller, Wien.

Dieses Salzburger Familienidyll ist fast ein kleines literarisches Juwel zu nennen. Erinnerungen aus der Jugend, mit soviel Liebe, Humor und Beschaulichkeit geschildert, mit einer so ausgewogenen Klarheit und Reife der Sprache, daß man oft an große Vorbilder der selbstbiographischen Darstellung erinnert wird. Dieses kleine Büchlein gehört zu den wenigen wirklich erfreulichen Neuerscheinungen auf dem Gebiete der schöngeistigen Literatur.

„Die Österreicherin“, Monatsschrift für die österreichischen Frauen, Verwaltung Wien, VIII., Strozzigasse 8.

Diese von Dr Maria Maresch geleitete Zeitschrift hat aus Anlaß des Ostarrichijubiläums eine Numme.- herausgegeben, die zu den besten literarischen Erscheinungen gehört, die diesem Anlaß gewidmet wurden. Sie beansprucht über den Tag hinaus bleibenden Wert. Einer Reihe von Autoren, unter denen Dr. Alma Motzko, Ciarisse Hofmann-Baltenau, Dr. Maria Maresch. Dr. Nadine Paunovic, Charlotte Weiß, Gertrud von Feldegg, Doktor Gertrud Schmitz, Walter Wanderer, Otto Schröder, Josef Wenzl-Traunfels, Dr. Alfred Missong, Dr. E. Görlich, Dr. Heinz Schöny u. a. hervorragen, schließt sich mit einem bunten Kranz von Beiträgen die entzückende Hymne a Wien an, mit der — einem wahren Hochgesang der Liebe zu dieser Stadt — Edmund Weber diese schöne Nummer eröffnet. Der Bildschmuck, wie überhaupt die Ausstattung der Nummer, zustandegebracht in einer Zeit großer technischer Schwierigkeiten, paßt sich dem Werk der Feder harmonisdi an.

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