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Zwischen Mauriac und Hemingway

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Denn du kannst weinen. Von Franęois M a u- r i a c. Drei-Brücken-Verlag, Heidelberg. 141 Seiten. Preis 7.80 DM.

Das Böse umschlingt wie eine Schlange den kleinen Guillou. Das Böse in Gestalt der in ihrem Ehrgeiz und ihrer Eitelkeit tödlich getroffenen Mutter, die ihn verabscheut als „das lebendige Abbild eines abscheulichen Vaters", denn unsühnbar dünkt ihr das Verbrechen, mit ihm, diesem „schwachsinnigen Krüppel" ein Kind gezeugt zu haben. Das Böse in Gestalt der Schloßherrin und Großmutter, die sich ihres Enkels schämt, weil er von seiner Mutter her und ob seiner schwachen Begabung kein würdiger Baron mehr ist. Das Böse in Gestalt eines kommunistischen Lehrers, der die einzige Chance hat, den Kleinen ins wärmende Licht des Vertrauens und der Güte zu holen, und der ihn wieder zurückstößt in seine erstickende Welt der Gemeinheit und der Dummheit, des rücksichtslosen Egoismus und der Dekadenz, und ihn darum noch grausamer betrügt. Was soll da der kleine Guillou, der „Schmutzfink", das „zurückgebliebene, degenerierte Kind", dieses doch so seelenvolle, kleine Geschöpf, das gehaßt und hin und her gestoßen wird, noch in dieser Weft? Und niemand hat sich bemüht, ihm Gott nahe zu bringen. „Wo hauste er, der Gott dieser grausamen Welt? Wo hatte er eine Spur hinter-

lassen?" (S. 87.) Dann weiß er es: Der liebe Gott „ist nirgends sonst als im Himmel. Tote Kinder werden wie Engel und ihr Gesicht ist klar und leuchtend" (S. 126 127). So treibt es „diese kleine, einer Falle entronnene, zerschundene und blutende Spitzmaus" (S. 129) hin zum Wasser, und sein sonst immer so hilfloser, dekadenter, wohl nicht ganz zurechnungsfähiger Vater spürt, er müsse ihm folgen, und nimmt ihn an der Hand hinein in den nassen Tod- Eine einzige ehrliche Träne fließt: die des Lęhrors, der deshalb künftighin Mensch sein wird. — Eine Erzählung, die in ihrer meisterhaften Psychologie und plastischen Sprache voll des beklemmenden Grauens und'gerade darin ein einziger schmerzlicher Schrei um Verständnis und Ließe für die Getretenen ist.

Dr. Georg J, S t r a n g f e 1 d SJ.

Der alte Mann und das Meer. (The Old Man and the Sea). Erzählung. Von Ernest Hemingway. Deutsch von Annemarie Horschitz- Horst. Steinberg-Verlag, Zürich. 1952. 130 Seiten.

Hemingways jüngstes Werk, die schmale Erzählung „Der alte Mann und das Meer" hat sich,

da sie den Altmeister von seiner liebenswürdigsten Seite zeigt, rasch beiderseits des großen Meers viele Freunde erworben und wurde unter anderem in Deutschland von namhaften Autoren das „Buch des Jahres" genannt, während es in Italien mit dem „Premio Bancarella", dem erstmalig verliehenen Preis der Karren-Buchhändler, ausgezeichnet wurde.

„Ein alter Mann, der in einem kleinen Boöt allein im Golfstrom fischte, war vierundachtzig Tage hintereinander ausgefahren, ohne einen Fisch zu fangen. In den ersten vierzig Tagen hatte er einen Jungen bei sich gehabt." Aber nach vierzig fischlosen Tagen hatten die Eltern des Jungen ihm gesagt, daß der alte Mann jetzt bestimmt für immer „salao" sei, was unglücklich im schlimmsten Maße bedeutet, und der Junge fuhr von jetzt an in einem anderen Boot mit. Dem alten Mann aber gelingt es überraschend, einen großen Fisch „anzuhaken", einen größeren Fisch, als er je gefangen hatte. Der Fisch nimmt den alten Mann ins Schlepptau, und er treibt Tage und Nächte hinaus aufs Meer. Dann erliegt ihm der Fisch, er macht ihn an der Seite seines Bootes fest und beginnt die Heimfahrt. Durch das Fischblut angelockt, überfallen ihn Haie, die endlich die Beute zum bloßen Skelett zerfleischen. So kehrt der alte Mann heim: gebeugt, zu Tode erschöpft, aber nicht gebrochen. Geschlagen, aber nicht besiegt.

Die einfache Story, die einfachste, die Hemingway je gefunden hat, in Verbindung mit seinem durchaus romantischen Weltgefühl — Jceine der gezeichneten Gestalten ist psychologisch erfaßt oder realistisch gesehen — und dem schlichten und überaus lesbaren Stil, geben dem Buch seinen eigenartigen Rang. Kaum zwei Jahre nach seinem Erscheinen darf man es bereits zum Bestand der Weltliteratur rechnen.

Dr. Wieland Schmied liebe. Herausgegeben von Käthe Braun- Prager. Paul Zsolnay Verlag. Wien 1953. 558 Seiten. Preis 88 S.

Anthologien haben in unseren Tagen eine besondere Berechtigung, da heute nur wenige Menschen über genügend Zeit verfügen, an die literarischen Quellen direkt heranzugehen. Der vorliegende Band, eine Ergänzung zu den Anthologien „Der tausendjährige Rosenstrauch" und „Die Lyra des Orpheus" von Felix Braun, ist dem unerschöpflichen Thema Liebe gewidmet. „Das Maß der Liebe ist Lieben ohne Maß", dieser Satz des hl. Bernhard von Clairvaux steht als Motto. Die Herausgeberin hat mit viel Fleiß und feinem Verständnis zusammengetragen, was bedeutende Menschen, Dichter, Philosophen, Künstler usw. verschiedener Nationen und Zeiten in Prosa und Vers über das Wesen der Liebe sagten. Berühmte Werke der Dichtung und der Weisheit, aber auch Briefe, Tagebücher und Zeitungsberichte waren die Quellen. Wir lesen viele erlauchte Namen, auch die von Heiligen, Der Begriff Liebe wurde möglichst weit gefaßt, nicht nur um die Liebe der Geschlechter geht es hier, sondern auch um die Gottesliebe, die Nächstenliebe, die Liebe zur Schönheit, zur Natur und zur Kunst. Die Liebe als erhabene, große Lebensmacht erscheint so jn ihrer beglückenden Vielfalt. Die Zitate wurden dementsprechend gruppiert. Ein ausführliches Namen- und Titelregister bringt Lebensdaten der Autoren und Quellennachweise. Diese geglückte Sammlung ist ein schönes, wertvolles Buch der Besinnung, das den Leser reich zu beschenken vermag.

Dr. Theo Trümmer

Anna, das Mädchen aus Dalarne. Von Selma Lagerlöf. Verlag Stiasny, Graz. 385 Seiten.

Dieser Roman, der dritte Teil der bekannten „Löwensköld-Trilogie", ist vor nun 25 Jahren erstmals erschienen. Fehlt ihm auch die mitreißende Kraft des ersten Teiles („Der Ring des Generals") und der milde Zauber des zweiten Teiles („Charlotte Löwensköld"), so ist er doch echteste Lagerlöf und stellt Gestalten auf den Plan, die scharf umrissen im Gedächtnis bleiben. Daß die Hauptpersonen am Schluß verstummen, gleichsam versickern, ist gewollt, wie auch Leo Tolstoi es am Schluß von „Krieg und Frieden" so wollte, weil das Leben selbst es meist so will und fügt. Kulturgeschichtlich und im Hinblick auf das nordische Sektierertum, das Selma Lagerlöf so oft behandelt hat, ist auch dieses Buch inhaltsreich und von hohem Interesse. Die Ausstattung ist vorzüglich.

Dr. Paul Thun-Hohenstein

Der Pilot der Königin. Von Nevil Shute. Steinberg-Verlag, Zürich. 285 Seiten.

Der bekannte englische Autor schrieb seinen neuesten Roman offensichtlich anläßlich der Krönung. Eingebaut in den Rahmen der Erzählung eines australischen Missionspfarrers wird ein utopisches Bild des britischen Commonwealth und der Probleme seiner Königin im Jahre 1983 gegeben. Die Verbindung dieser utopischen Handlung mit der Realität durch eine Art Seelenwanderung — vom Landstreicher zum Kapitän der englischen Privatluftflotte — erscheint gezwungen. Man ist geneigt, den blendend geschriebenen Szenen, die im australischen Hinterland spielen, den Vorzug zu geben. Ein Zukunftsbild mit ausschließlicher Bezugnahme auf England spricht interessiert nicht sehr an — und die Bedeutung Australiens scheint zu sehr betont. Die deutlichen Schwierigkeiten der Uebersetzung (Rudolf Frank) wurden — soweit dies überhaupt möglich ist — überwunden.

Dr. Charlotte Blauensteiner

Meine Schwester oder meine Frau. Roman einer Leidenschaft. Von Juliane Kay. Luckmann-Verlag, Wien 1953. 376 Seiten.

Ein Goethe-Roman — leider — und die Leidenschaft, über die uns da in sehr femininer Weise ein Roman erzählt wird, ist die zwischen dem Dichter und der Frau von Stein. Nicht daß die Verfasserin schlecht schreibt, soll hier behauptet werden: aber daß es überhaupt schlecht ist, derlei zu schreiben. Große Gestalten des Lebens werden herabgewürdigt, wenn man sie zu Romangestalten reduziert. Und Thomas Manns Buch „Lotte in Weimar" ist eine Ausnahme, welche die Regel haarscharf bestätigt: Wer so viel kann, wie der damals sechzigjährige Thomas Mann, der versuche es immerhin. Aber wer könnte auch nur annähernd so viel?

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