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Der kranke Mensch

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Was der Verfasser unter .medizinischer Anthropologie beziehungsweise anthropologischer Medizin versteht, deckt sich weitgehend mit den modernen Bestrebungen der „m ė d e c i n e de la personne“ (Tournier) und der .psychosomatischen“ Medizin: Berücksichtigung der Gesamtpersönlichkeit und ihres biographischen Schicksals, nicht nur der Wechselbeziehungen zwischen Psycho- g e n i e organischer und Somatogenie psychischer Krankheiten: einen erweiterten psychologischen Aspekt unter Einbeziehung der Biographie. Die Fragestellung lautet: Warum erkrankt dieser Mensch gerade in diesem Zeitpunkt an diesem Leiden? Dieses .hic et nunc et sic hat symptomatische Bedeutung für die geistige Grundlage dieser Richtung.

Wenn demnach Weizsäcker in seinen erweiterten psychologischen Aspekt auch soziale, zum Teil auch ethisch-metaphysische Momente einbezieht, 60 gelangt er trotzdem nicht zu einer echten universalistischen Betrachtungsweise. Wir müssen daher fragen: Was fehlt noch dazu?

Sehr aufschlußreich sind die Krankengeschichten, die kasuistischen Fallbesprechungen im ersten Teil. So lehrreich sie sind, müssen sie vom Standpunkt der bisherigen klassischen, positivistischen Medizin als unbefriedigend bezeichnet werden. Echte universalistische Betrachtungsweise steht nicht im Gegensatz zur positivistischen, sondem schließt sie ein, ergänzt und überhöht sie. Dazu gehört vor allem ein festes philosophisches . Fundament mit klaren, festgefügten Begriffen. Wenn man von den philosophischen Grundlagen dieses Werkes enttäuscht ist, so erhebt sich die Frage: Was hätte ein Geist wie Weizsäcker aus der .psychosomatischen (anthropologischen) Medizin machen können, wenn er über den Begriffsapparat der scholastischen philosophia perennis verfügte? Dies zeigt sich besonders, wenn er wichtige Grundfragen auf dialektische Formulierungen abstellt, die nicht die wesentlichen Gegensatzpaare umschreiben, auf die es ankommt: so zum Beispiel wenn er die Begriffe ,on tisch und .pathisch“ verwendet, wo mit den scholastischen Begriffen „Akt“ und „Potenz“ viel mehr Erkenntnis zu erschließen wäre (cf. p. 275). So bleibt der Verfasser leider in einem Synkretismus von Phänomenalismus, Transzendental- und Existenzialphilosophie stecken, zum Teil auf der Basis des Kantianismus und des nachkantia- nischen „Idealismus“. Der Verfasser hätte aber das Format und die Tiefe, ein wirklicher Philosoph der Medizin, im Sinne des hippokratischen „iatros philosophos“ zu sein —Wenn ihm die richtige Philosophie zur Verfügung stünde. Auf jeden Fall aber zeigt sein Werk, welche bedeutende Strecke Weges auch die klinische Medizin vom Positivismus in der Richtung des Unversalismus bereits zurückgelegt hat.

Tiere — mein Abenteuer. Von Lutz Heck. Ullstein - Verlag, Wien 1952. 288 Seiten. 70 Bilder.

Der Verfasser, von seinem Vater, dem früheren Direktor des Berliner Zoo, sozusagen .erblich belastet“, leitete selbst durch .viele Jahre als Nachfolger den berühmten Tiergarten. Sich selbst wertvolle Tiere aus ihrer Heimat zu holen, ist für den Leiter eine geradezu selbstverständliche Angelegenheit, denn so lernt er die natürlichen Lebensbedingungen seiner Pfleglinge am besten kennen. Fahrten in Afrika zur Erwerbung von jungen Nashörnern, Giraffen, Gorillas und anderen Affenarten begeistern durch die mitreißenden Schilderungen dieser Jagdzüge jung und alt. Ähnlich sind die Jagden in Kanada zu erleben, die ihn umrauscht von altindianischen Erinnerungen mit Graubären, Dickhornschafen, Wapitihirschen und anderen bekannt machen. Für den ernsteren Naturfreund und Forscher sind die Bemühungen um die Wiedererweckung ausgestorbener Tierformen wie des Ur und des Tarpan (Wildpferd), die Schritt für Schritt zum angestrebten Ziel führten, besonders interessant und genußreich. Ebenso wird die Erhaltung des Wisents und des Bisons eingehend dargestellt. Leider fehlt auch die tragische Note nicht, denn die Schilderung jener Unglücksereignisse, die durch Bombenangriffe 1943/44 zur völligen Zerstörung der schönsten Teile des Berliner Zoos führten, greifen auch heute noch ans Herz. Der reiche Bildschmuck läßt neben dem Text die Fahrten doppelt miterleben.

General Dietl. Herausgegeben von Frau Gerda Luise Dietl und Oberst Kurt Hermann. Verlag Dr. Franz Hain, Wien. 276 Seiten.

Dietl gehörte zu den populärsten deutschen Soldaten des zweiten Weltkrieges. Seine Aktion um Narvik vor allem, auch seine außerordentlichen Leistungen in Lappland reihten ihn unter die erfolgreichsten Truppenführer ein. Die unbekümmerte bajuvarische Art, die dem General auch die Herzen der einfachen Soldatep aufschloß, und das Fernsein von jedem militärischen Krampf und Schema waren Dietls beste Eigenschaften. Aus dem reichen Erinnerungsgut, welches an schriftlichen Aufzeichnungen die Gattin des Generals und seine engsten Mitarbeiter noch besitzen, wurde hier ein Buch zusammengestellt, welches leider sehr uneinheitlich und auch unübersichtlich ist. Während einzelne Kapitel, die für die Geschichtsschreibung wertvollstes und völlig unbekanntes Quellenmaterial enthalten (Kampf um Narvik, Dietls Rolle in Finnland usw.), zu knapp gehalten sind, werden verschiedene Abschnitte im Stile einer doch längst überholten Generalsromantik von Soldatenkalendern vor 1914 gebracht. Eine Kürzung und Konzentration auf die wichtigen historischen Abschnitte hätten dem Buch, dessen gute Ausstattung und hochinteressante Bilder hervorzuheben sind, nicht geschadet.

Ich, eine Tochter Maria Theresias. Ein Lebensbild der Königin Marie Karoline von Neapel. Von Egon Cäsar Conte Corti. Bruckmann-Verlag, München. 810 Seiten. 104 Abbildungen.

Kaum 30 Jahre nach dem Untergang der habsburgischen Herrschaft in Neapel gerät dieses Land wieder unter die Botmäßigkeit einer Flabsburgerin. Denn Maria Charlotte, die zehnte Tochter der Kaiserin Maria Theresia, die, noch nicht sechzehnjährig, den fast gleichaltrigen König von Neapel-Sizilien heiratet, einen harmlosen, unerzogenen, faulen Jüngling, wird bald der bestimmende Faktor des Landes. Von ihrer Mutter hat sie die Lust am Regieren, den Drang zur Freiheit und Unabhängigkeit, den Willen, niemals zu kapitulieren, geerbt. Leider fand sie nicht, wie ihre Mutter, eine Ehe, die sie glücklich machte, Berater auf staatspolitischem und militärischem Gebiet, die ihr klug zur Seite gestanden wären. Ihr Lebensbild zeigt deshalb oft quälerische, ja hysterische. Züge. Für s i e spricht, daß Napoleon sie redlich gehaßt hatte und sie ununterbrochen bekämpfte und heruntersetzte. Eine Haltung, die er nur wirklichen Gegnern gegenüber einnahm. — Der bekannte Wiener Historiker für Geschichte und Politik, der in seinem Werk immer wieder den Einfluß der Frauen darstellte, hat auch das Bild dieser hochbegabten Tochter der Kaiserin aus einer unendlichen Fülle von Quellen und Literatur dargestellt. Besonders erwähnenswert wäre die große Anzahl von beigegebenen Blättern.

Lavant und Aguntum. Die frühgeschichtlichen Ruinen bei Lienz in Osttirol. Von Franz Miltner. Herausgegeben vom Verkehrsverein Lienz und Umgebung unter Mitwirkung des österreichischen Archäologischen Instituts. 21 Seiten.

Dieser kurze Führer enthält neben acht Abbildungen und zwei Plänen die Ergebnisse der Ausgrabungen 1948/50. Er ist für das breite Publikum bestimmt, daher treten die Deutungen in viel apodiktischerer Form hervor, als sie der Verfasser in seinen wissenschaftlichen Publikationen selbst zum Ausdruck bringt. Auch die Grabungskampagne 1951 hat Miltners Ansicht über die Lage Aguntums gegenüber der des früheren Ausgräbers E. Swoboda nicht recht gegeben; vielleicht wird die Arbeit 1952 die Entscheidung bringen. Hingegen scheint Miltner durch die Neufunde 1951 in Lavant entscheidende Beweisstücke gewonnen zu haben für seine Ansichten über die Reste eines keltischen Tempels, eine spätantike Fluchtburg und eine Bischofskirche aus dem 6. bis 7. Jahrhundert. Doch sind die Argumente Wiesfleckers (Osttiroler Heimatblätter 1951, 5—7), der auf eine urkundlich 1085 bezeugte Kirche des Klerikers Hunprecht hinweist, zumindest ein Beweis für eine einzigartige lokale Tradition von der vorrömischen Zeit bis ins Mittelalter.

Knaurs Lexikon. A — Z. Droemersche Verlagsanstalt, München 1951/52. 1996 Seiten.

Mit seinen 38.000 Stichwörtern, 2700 Miniaturillustrationen, Übersichten, Kunstdrucktafeln und geographischen Karten wurde hier durch den Verlag und den Herausgeber Doktor Paul Zöckler das Menschenmögliche geleistet. Der „Kleine Knaur“, zum erstenmal 1931 erschienen, erfreute sich mit Recht des besten Rufes, der durch die vorliegende Auflage — die dritte seit 1949! — bestätigt wird. Die Aktualität, die man von einem einbändigen, häufiger zu revidierenden Nachschlagewerk erwarten darf, wurde auf den Stand vom Sommer 1951 gebracht. Wir finden bereits den Leipziger Bürgermeister Dr. Goer- deler, den Freund der Deutschen Victor Gol- lancz, Marschall Montgomery, Bundeskanzler Adenauer und seine Partner Pieck und Grotewohl. Uber die Schlagworte, mit denen einzelne Schriftsteller, Philosophen und Künstler charakterisiert werden, ist man nicht immer glücklich (wenn zum Beispiel Kafka als „surrealistischer Schriftsteller“ bezeichnet wird). Die politischen Karten Europas und Deutschlands wurden wohl absichtlich nicht auf den neuesten Stand gebracht. Die Beispiele auf den Bildtafeln zur modernen Malerei, Plastik und über zeitgenössische Theaterbauten sind sehr geschickt gewählt. Druck, Papier und Einband sind als erstklassig zu bezeichnen. Trotz volkstümlichen Ladenpreises.

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