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Problem der vielsprachigen Armee

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Armee ohne Politruk! Von Peter Aus dem Winkel. Markus-Verlag, Köln. 34 Seiten.

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Armee ohne Politruk! Von Peter Aus dem Winkel. Markus-Verlag, Köln. 34 Seiten.

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Die Schwierigkeiten, denen die Verwirklichung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft begegnet, sind zu einem nicht geringen Teil auf die Unklarheit der Vorstellungen zurückzuführen, die hinsichtlich des ideellen Charakters der zu schaffenden Wehrmacht sowohl in der breiten Öffentlichkeit wie in den politisch verantwortlichen Kreisen der in Betracht kommenden Länder bestehen. Wäre es, abgesehen von der hier mitspielenden Frage des nationalen Prestiges, wünschenswert oder überhaupt durchführbar, die einzelstaatlichen Kontingente, aus denen dieses Heer bestehen soll, sozusagen zu entnationalisieren und ihre Angehörigen dazu zu bringen, sich nicht mehr als Belgier, Deutsche, Franzosen, Italiener zu fühlen, sondern allein und ausschließlich als Europäer? Wie sonst aber wäre es zu erreichen, daß nationale Ressentiments nicht immer •wieder da oder dort zum Ausbruch kämen, den Zusammenhalt und die Verwendbarkeit der Europäischen Streitkräfte vielleicht gerade in kritischer Stunde aufs schwerste gefährdend?

Zweifeln und Bedenken solcher Art tritt der Verfasser der vorliegenden kleinen Schrift mit aller Entschiedenheit entgegen. Er begnügt sich nicht mit der Aufstellung der These, daß es möglich sei, aus national heterogenen Teilen ein militärisch -wirksames Ganzes zu schaffen, ohne das nationale Selbstgefühl seiner Glieder zu verletzen. Er verweist auf ein großes, historisches Vorbild — auf das Beispiel der österreichisch-ungarischen Armee, die, obzwar zusammengesetzt aus rund einem Dutzend verschiedener Nationalitäten, in allen ihren Teilen erfüllt war von dem gleichen Geist der Kameradschaft und der Pflichterfüllung im Dienst der gemeinsamen Sache, und dies bewiesen hat bis zum bitteren Ende, durch einen Opfermut und durch soldatische Leistungen, die von keinem anderen Heer je übertroffen worden sind. Solches wäre undenkbar gewesen in einer Zeit, da die hochgehenden Wogen des nationalen Chauvinismus, angetrieben durch Einflüsse von jenseits der Grenzen, die Grundfesten des Reiches schon weitgehend unterwühlt hatten, wenn diese Armee nicht eine wahrhaft übernationale Einheit gebildet haben würde, eine große Familie sozusagen, in welcher ein ieder. eleich welcher Sprache oder welchen Stammes, die Gewißheit haben konnte, als vollkommen gleichberechtigtes und gleichwertiges Glied zu gelten.

Freilich, Alt-Oesterreichs bewaffnete Macht, mit ihrer über Jahrhunderte zurückreichenden kaiserlichen Tradition, war etwas Einmaliges; ein Organismus, der sich, wie der Autor richtig bemerkt, nicht nachbauen läßt. Aber es müßte möglich sein, nach der Ueberzeugung des Autors, bei der Lösung des Nationalitätenproblems in der künftigen Europa-Armee dem Beispiel zu folgen, welches das altösterreichische Heer gesetzt hat. Den Weg hiezu sieht Aus dem Winkel in der Einrichtung eines besonderen Informationsdienstes, dessen Aufgabe es wäre, die Angehörigen der EVG-Wehrmacht zu europäischem Denken zu erziehen, ihren politischen Horizont zu erweitern und in jedem einzelnen das Interesse für die nationale Eigenart und die Sprache seiner Kameraden anderer Volkszugehörigkeit zu erwecken und zu pflegen. Die damit bezweckte Bildung eines EVG-Korpsgeistes, und darin hat er sicherlich recht, wäre nicht durch „Politruk“ oder „NS-Führungs-offiziere“ demokratischer Färbung zu erreichen, sondern nur durch wirklich kameradschaftliche Zusammenarbeit aller innerhalb der einzelnen Truppenkörper und zwischen den Kontingenten, unter der Leitung sorgfältig ausgewählter, hochqualifizierter Kräfte.

Wehrpflicht und christliches Gewissen. Von Pierre L o r s o n SJ. Verlag Josef Knecht. Carolus-druckerei Frankfurt am Main. 236 Seiten. Preis 5.80 DM.

In mustergültiger Auseinandersetzung mit der einschlägigen Literatur werden von dem bekannten Domprediger am Straßburger Münster die Hauptforderungen zum Thema erarbeitet: ernsteste Vertiefung des persönlichen Gewissens und damit Heranreifen zu in letzter Freiheit vollzogener Entscheidung gegenüber dem Ruf des Staates zur Kriegsdienstleistung; offizielle Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen — als Möglichkeit gereifter Gewissensentscheidung — durch Kirche und Staat; Ueberwindung der seichten Begründungen so vieler Pazifisten und „Friedensfreunde“. Es überrascht auf das angenehmste, daß nicht im zeitlos stillen Kämmerlein argumentiert wird, sondern im Schatten der Atomwaffe, angesichts akuter Bedrohung der europäischen Zone persönlicher Freiheit von Osten und Westen her. Wenn es dem Verfasser nicht immer gelingt, seinen Thesen letzte Ueberzeu-gungskraft zu geben, so mag dies in dem Umstand begründet sein, daß trotz vieler Stimmen zur Sache bisher zuwenig zur Klärung wichtiger Vorfragen unternommen worden ist. Dies gilt für die Einstellung von Christ und Kirche zum modernen Staatswesen, aber noch mehr für die Verhaltensweisen des einzelnen gegenüber dem Du. Darf Gewaltlosigkeit zum absoluten Prinzip erhoben werden? Ist sie auch bei Bedrohung eines schwächeren Zweiten durch einen stärkeren Dritten am Platze? Erfordert die Bedrohung eines zum bewußten Opfer im Sinne Christi nicht herangereiften Menschen nicht eine andere Beurteilung als die Selbsteinschätzung des gefangenen Christus, die dem zum Schwert greifenden Petrus Einhalt gebietet? — Abschließend sei der klaren und gewandten Sprache des Uebersetzers (Kaspar Mayr) besonders anerkennend gedacht.

Talent und Genie. Grundzüge einer Begabungspsychologie. Von G. Revesz. A.-Francke-Verlag, Bern. 388 Seiten.

Das vorliegende Werk ist ein bedeutsamer Beitrag zum sogenannten „Genie-Problem“. Der Verfasser behandelt in tiefschürfender Weise die gesamte Psychologie der menschlichen Begabung. Er tut dies in so vielseitiger und erschöpfender Weise, daß man eigentlich auf allen Gebieten der Wissenschaft und Kunst zu Hause sein müßte, wenn eine Kritik dem Gesamtinhalt des Werkes gerecht werden soll. Der Verfasser stellt der großen Gruppe der „Befähigten“ eine viel kleinere Schicht der „Begabten“ gegenüber und bezeichnet als solche Menschen, die bereits von Natur aus für größere und wichtigere Aufgaben prädestiniert sind. Die kleinste Zahl bilden die Hochveranlagten, die man gemeinhin als „Genies“ bezeichnet. Eine kleine tabellarische Uebersicht auf Seite 26 erweckt den Eindruck, als handle es sich hiebei nur um graduelle Unterschiede. Der Referent neigt jedoch der Ansicht zu, als sei der Unterschied zwischen dem wirklichen „Genie“ und der „Hochbegabung“ mehr als ein bloß gradueller; vielmehr ein wirklich qualitativer insofern, als der geniale Mensch sich vom hochbegabten durch einen anderen Erkenntnismodus unterscheidet: durch die Fähigkeit zu einer unmittelbaren („intuitiven“) Erkenntnis. Das ist der einzige Einwand, den der Referent gegen dieses ausgezeichnete Buch vorzubringen hat. Aus dem reichen Inhalt seien noch erwähnt: Die Arten der Begabung (reproduktive, applikative, interpretative und produktive Begabung); die schöpferischen Begabungsformen; die komplexen Begabungen (philosophische, naturwissenschaftliche, sprachwissenschaftliche, psychologische, historische, technische Begabung usw.); Analyse der schöpferischen Tätigkeit; die geniale Persönlichkeit; das geniale Werk (Kunst, Wissenschaft, Technik); große Menschen und Heilige. Im IV. Abschnitt (Entwicklungsgeschichtliche und biologische Begabungsprobleme) werden behandelt: Vererbung, Rasse, Geschlecht, Minder-sinnigkeit, Geistesstörung, Alter usw. in ihren Beziehungen zur Begabung; besonders wichtig ist hier das 7. Kapitel (Genialität und Psychose bzw. Neurose).

Das Buch kann bestens empfohlen werden. Univ.-Prof.

Aerzte und Verbrecher. Roman der Anatomie. Von Johan van der W o u d e. Paul-Zsolnay-Ver-lag, Hamburg. 310 Seiten. Ganzleinen.

Das Buch trägt seinen Untertitel nicht ganz zu recht: es ist weniger Roman als Tatsachenbericht, und es gibt nur einen kleinen Ausschnitt aus der Geschichte der Anatomie wieder, wenn auch einen interessanten und wenig bekannten. In der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, als die medizinische Forschung gegen Vorurteile und Widerstände aller Art au kämpfen hatte, waren die Aerzte, besonders die Anatomen, nicht selten gezwungen, sich mit recht fragwürdigen Elementen zu verbinden, um das nötige 'Material zu bekommen. Leichenraub wurde um Gewerbe. Im Jahre 1829 brachte der Prozeß gegen die „Ressu-rektionisten“, wie diese Grabschänder genannt wurden, ganz Schottland in Erregung, denn auch Morde waren verübt worden, um die Leichen teuer verkaufen zu können. Der Pöbel warf Aerzte und Verbrecher in einen Topf, und erst durch das Warbuton-Gesetz konnte das angeschlagene Prestige der Wissenschaft wiederhergestellt werden. Mit erschreckender Realistik und gründlicher Sachkenntnis schildert der holländische Verfasser die grauenhaften Begebenheiten, ihre makabren Schauplätze und Akteure: die Elendsviertel, die Spelunken, das lichtscheue Gesindel. Der Leser wird sich nicht leicht in der Ueberfülle der Personen, in der Unübersichtlichkeit der Ereignisse zurechtfinden. Das Buch krankt daran, daß es auf engem Raum fast zuviel bringen will; manchmal ist man versucht, zu glauben, man habe ein Exzerpt aus einem weit umfangreicheren Original vor sich. Die historische wie die fachliche Sachkenntnis des Autors aber steht außer Zweifel und macht das Buch lesenswert und interessant. „

Die Betrogene. Erzählung. Von Thomas Mann. S.-Fischer-Verlag, 1953. 126 Seiten.

Die Betrogene: das ist die 50jährige Rosalie von Tümmler, die nach dem Tode ihres lebenslustigen Mannes, des Oberstleutnants von T., mit ihren beiden erwachsenen Kindern während der zwan-

ziger Jahre unseres Jahrhunderts in Düsseldorf lebt. Sie betrügt sich selbst, indem sie dem Trug der Natur vertraut, die ihr einen zweiten Lebensfrühling vorspiegelt, hervorgerufen und gesteigert durch ihre Liebe zu einem jungen kriegsentlassenen Amerikaner, der als Sprachlehrer des Sohnes im Tümmlerschen Hause verkehrt. Die Stimme der Vernunft, die freundschaftlichen Ermahnungen Annas, der intellektuellen Tochter, die in ihrer Malkunst Ersatz für unerfülltes Liebesglück gefunden hat. überhört sie ebenso, wie sie das Stirnrunzeln der Freunde übersieht. Frau Rosalies Sehnsucht bleibt unerfüllt, und selbst als sich das Wunder, das die freundliche Natur an ihr zu wirken schien, als schreckliche Krankheit und grausame Täuschung erweist, hält sie an ihrer Illusion fest. Aus der tiefen Bewußtlosigkeit für einige Stunden erwachend, in das sie „das urämische Koma“ versenkte, sind ihre letzten Worte: „Die Natur, ich habe sie immer geliebt, und Liebe — hat sie ihrem Kind erwiesen.“ Diese tragische Geschichte wird mit distanzierender Ironie und in einer Sprache vorgetragen, in der Goethe, Stifter, die Diktion der Joseph-Romane anklingen. Im ganzen: ein psychologischer Sonderfall; ein Nebenwerk, das der Verlag mit bibliophiler Sorgsamkeit ausgestattet hat.

Das Mystische. Von Josef Bernhart. Verlag Josef Knecht. Carolusdruckerei, Frankfurt am Main 1953. 47 Seiten. Preis 3.20 DM.

Obwohl man in dieser leider allzu kurzen Skizze nur wenig Konkretes über das Mystikon erfährt, versteht es der Verfasser, sich dieser Wirklichkeit von verschiedenen Seiten zu nähern, so daß das Blickfeld des Lesers (vor allem, wenn er schon einigermaßen eine Ahnung hat) dadurch erweitert und vertieft wird. Sehr schön und oft ganz neu ist die Sprache, mittels der versucht wird, das Unbenennbare in Worte zu fangen. Wertvoll sind vor allem die Ausführungen über die Hauptvertreter der christlichen Mystik, Johannes, Paulus, Augustinus, im Gegensatz zum Alten Testament, in dem eine richtige Mystik fehlt.

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