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REVUE IM AUSLAND

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„Gibt es im Grunde etwas Wesentlicheres und Wichtigeres als die Seele und darum etwas, das aktueller und schwerwiegender wäre als die Wissenschaft von der Seele?” fragt Siegfried Streicher, der Herausgeber der „Schweizer Rundschau”, in der Einleitung zum Sonderheft (November/Dezember), das dem Thema „Psychologie” gewidmet ist und das dieses zentrale Thema in bemerkenswerter Tiefe und Weite unter den verschiedensten Gesichtspunkten behandelt.

Eine erste Gruppe von Aufsätzen beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Religion und Seelenkunde: Alexander W i 11- woll: „Die Seele des Menschen als Bild und Gleichnis” („Sie ist nicht Gott gleich, aber Gleichnis Gottes”), Hans Urs von Balthasar: „Psychologie der Heiligen?”, Otto Karrer: „Mystik und Psychologie”, Walter J. M. M e c k a u e r: „Zur Psychologisierung religiöser Begriffe”. Die untrennbare Verbindung beider Sphären tritt hier deutlich zutage. So kommt der letzte dieser Aufsätze mit Recht zu dem Ergebnis:

„Die .Heilung’, di? der materialistische Arzt nur dem Leib bringen wollte, ist, nachdem der Seelenarzt seine Rolle zu spielen begonnen hat, wieder ein Suchen nach dem seelischen .Heil’ geworden. Damit ist das Tor für einen neuen religiösen Aufstieg geöffnet. Das Frachtschiff der Wissenschaft, mit Kenntnissen hochbeladen, steuert auf ein Ziel zu, wo die Ladung im gesicherten Hafen gelöscht werden soll, ehe der Sturm das wagemutige Schiff kontern macht.”

Aber auch in den folgenden Aufsätzen, in denen das Verhältnis der Psychologie zur Magie, zur Astrologie und Graphologie untersucht wird, und jene, in denen die einzelnen Schulen, Richtungen und Methoden (Coue, Freud, Adler, Jung, Szondi, Rorschach usw.) zu Wort kommen, ist, jetzt von der Psychologie her, die Notwendigkeit der Krönung und Ergänzung aller Seelenkunde durch die Religion betont. So schreibt Alfred Eggenspieler in seinem Artikel „Psychotherapie im Überblick und Ausblick”:

„Welchen Ausblick bietet heute die Psychotherapie? Besonders seit Jung und sogar als eine wie aus der Ferne vom alternden Freud selbst noch erahnte Folgerung weist sie auf die Religion. Man ist sich heute vielfach einig, daß alle religiösen Elemente Aufbauelemente hohen Ranges darstellen … Am Anfang waren Theologie und Medizin, Arzt und Priester eins. Dann wurde die Welt zweigeteilt, dialektisch zersplittert und neurotisch. Wir müssen wieder zurück, wenigstens wie ein Leib und eine Seele werden.”

Viktor von Weizsäcker untersucht „Wert und Unwert der Psychoanalyse”, wobei er sich weitgehend zu den Ergebnissen von Freud bekennt, zugleich aber für eine weitere Fortführung und „Erbteilung” der Freudschen Psychoanalyse eintritt.

„Es gibt heute nämlich eine Menge von neuen Aufgaben. Da ist zum Beispiel der Einfluß psychoanalytischer Erkenntnisse auf die Kindererziehung, ein Gebiet, auf dem besonders Freuds Tochter, Anna Freud, arbeitet. Da ist die Frage, ob die frühere Ablehnung, auch G e i- steskrankeiten (Schizophrenie, manisch- depressives Irresein) zu behandeln, zu Recht bestand; man wendet die Psychoanalyse jetzt mit Grund und zuweilen zusammen mit Schocktherapien auch hier an. Da ist die weitere Frage, ob die organischen Krankheiten nicht ebenfalls psychoanalytisch untersucht, erforscht und eventuell behandelt werden können; darauf komme ich noch zurück. Auf jedem dieser Gebiete sollte man zur Zeit das Wort denjenigen überlassen, die etwas davon verstehen und etwas darin leisten. Dagegen hat die Welt der Laien und die Gesellschaft der denkenden Kritiker ein volles Recht, sich mit der menschlichen, psychologischen und geistigen Einstellung der Psychoanalyse, auseinanderzusetzen. Hier kann von einer Verschanzung hinter die sachliche Zuständigkeit oder Unzuständigkeit keine Rede sein. Bei der verhältnismäßigen Oberflächlichkeit dieser Ausführungen greife ich nur drei besonders wichtige Konflikte heraus, die konkret genug sind, um auch eine klare Stellungnahme zu erlauben. Der erste Konflikt entsteht mit der Seelsorge im Christentum, der zweite mit der sogenannten Existenzphilosophie, der dritte mit der geistigen Tradition, die man als Humanismus bezeichnen kann.”

Was das Verhältnis zur Seelsorge betrifft, weist auch dieser Verfasser vom ärztlichen Standpunkt auf prinzipielle Überein-Stimmungen in tieferen Bereichen, „in denen die Unterschiede immer kleiner werden”, hin und kommt zu dem Ergebnis:

„Wir müssen es zugeben, daß mit der Einführung der Psychoanalyse in die Medizin die Heilkunde der Seelsorge angenähert, nicht noch mehr entfernt worden ist.”

Weitere Aufsätze beschäftigen sich mit der Psychologie der Frau, wobei Jolan Jacobi im Sinne der Animus-Anima- Lehre von C. G. Jung besonders auf das gegengeschlechtliche, männliche Element in der Frauenseele und auf die sich daraus ergebenden besonderen Gefahren in der Gegenwart hinweist, mit der Massenpsychologie (Adolf Grabowsky), dem Seelenleben der Primitiven (Josef Haekel), der Beherrschung seelischer Kräfte durch den tibetanischen Menschen (Theodore Illion) sowie mit der Psychologie des Spielfilms, wobei Th. Wagner-Simon zeigt, ‘„daß der Spielfilm im allgemeinen den Menschen in einer verantwortungslosen Weise von sich selber fort und zu Scheinidealen führe”.

Unter dem Titel „Eine Million Flüchtlinge…” behandelt Jean Valais im Dezemberheft der „Revue de Paris” das Problem der von der Internationalen Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen, der IRO, betreuten „Displaced Persons” und stellt zunächst fest, daß diese fast eine Million zählenden, vor allem in Deutschland und Österreich in Lagern untergebrachten Menschen, die ihre Repatriierung ablehnen, jetzt nicht mehr als „Verschleppte Personen”, sondern als asylheischende politische Flüchtlinge bezeichnet werden müssen.

„Weil die Flüchtlinge Opfer des Schicksals sind, die am Rande des Normalen leben und von der Wohltätigkeit der anderen Nationen erhalten werden, neigt man dazu, sie sich als mehr oder minder unbrauchbare Wracks vor- zustelllen. Nun, das Gegenteil ist wahr. Die Flüchtlinge sind jung und brauchbar. In der .Nation’ der Flüchtlinge, wie man im 17. Jahrhundert gesagt hätte, sind nur 13 Prozent älter als 45 Jahre, 65 Prozent sind über 18 und unter 45. Der Gesundheitszustand ist im allgemeinen gut, wenn auch die Ernährung in manchen Gegenden zu wünschen übrigläßt. Die arbeitsfähige Bevölkerung besteht zu einem Viertel aus Landwirten, einem Achtel aus Angehörigen der freien Berufe, Künstlern und Beamten, ein Drittel sind gelernte Arbeiter, der Rest macht halbgelernte Arbeiter, Hilfsarbeiter und Lehrlinge aus. Unter den gelernten Männern und Frauen ist die wichtigste Gruppe di des Bekleidungsgewerbes, die mehr als 25.000 Personen umfaßt. Der Lehrberuf ist mit 5900 Personen der unter den Intellektuellen em weitesten verbreitete Beruf. Zusammenfassend erscheint diese Flüchtlingsbevölkerung ils ein großer wirtschaftlicher Wert.”

Was aber soll nun mit den Flüchtlingen geschehen? Eine gewaltsame Repatriierung widerspricht den Grundsätzen der IRO und der Vereinten Nationen, ihr Verbleiben in den Ländern, in denen sie sich zur Zeit befinden, also vor allem in Deutschland und Österreich, erscheint unmöglich. So bleibt nur die Auswanderung, die, im bisherigen Ausmaß durchgeführt, erst in vier Jahren da Problem lösen könnte, während das Mandat der IRO schon Ende 1950 erlischt. Die Hauptschwierigkeit aber verursacht die bürokratische Praxis der Aufnah m s 1 ä n d e r, die nur körperlich kräftige, unverheiratete oder von ihren Familien getrennte Handarbeiter aufnehmen wollen und den Menschen nur nach seinem Bizeps, nicht aber nach seinen moralischen und geistigen Fähigkeiten beurteilen.

„Wenn diese Praktiken nicht zugunsten eines Systems der Aufnahme zu gleichen Teilen aufgegeben werden, wird das Flüchtlingsproblem niemals zu lösen sein. Dann bleibt das übrig, was die Statistik eine ,Restgruppe’ nennt, von etwa 200.000 Seelen, bestehend aus Frauen, Kindern, alten Leuten, Intellektuellen und Nicht-Handarbeitern. Die Vereinten Nationen hätten dann durch die nationalen Verwaltungskörper eine Niederlage erlitten.” Deshalb hat der Generalrat der IRO jüngst beschlossen, einen „dringenden Appell an das Gewissen der Menschen und Nationen” zu richten. Die Zukunft muß zeigen, ob dieser Appell gehört werden wird. Doch jetzt schon lassen sich aus der Geschichte des Flüchtlingsproblems seit Kriegsende bestimmte Lehren ableiten.

„Gewisse Probleme der modernen Welt können nur auf internationaler Basis gelöst werden. Alle verstehen das und zeigen großen Eifer, diese Probleme den Vereinten Nationen zu übertragen. Man vergißt aber dabei, daß die Vereinten Nationen nur die Vereinigung der zusammengefaßten Willen und Kräfte der Mitgliedstaaten sind. Wenn diese als solche zwar den Körperschaften der Vereinten Nationen angeboren, durch ihr individuelles Verhalten aber diametral entgegengesetzte Ziele verfolgen, wird die internationale Arbeit undurchführbar. Die Flüchtlingsfrage ist ein typisches Beispiel für diesen Vorgang. Doch kann man noch hoffen, daß hier eine Wandlung eintritt in dem Maß, in dem in der öffentlichen Meinung der einzelnen Nationen sich die notwendigen Erkenntnisse durchsetzen.”

„In der französischen Jugend von heute, deren Bild ich Ihnen skizzeren möchte, werden Sie Züge wiederfinden, die Ihnen vertraut sind. Dieses ernste, eigenwillige, gespannte und harte Gesicht, diese von der Sorge um die Zukunft beschatteten jungen Stirnen kennen Sie ja auch hier in Deutschland; Sie treffen sie an jeder Straßenecke an, sofern man in ihren von dem grausamen Dämon des Krieges zerstörten Städten noch von Straßen sprechen kann.”

Mit diesen Worten beginnt ein ursprünglich am Mainzer Katholikentag 1948 gehaltener Vortrag des jüngst in die Academie Franęaise aufgenommenen Schriftstellers Robert d’H a r c o u r t über „D i e studentische Jugend in Frankreic h”, den die Münchner Zeitschrift „H och- 1 a n d” in ihrer Dezembernummer enthält.

„Der französische Student unserer Tage wohnt schlecht, ist unterernährt und friert. Er ißt schlecht und schnell in irgendeiner Milchbar an einer Straßenecke seines Stadtviertels; für das Restaurant reicht seine Geldbörse nicht mehr. Die Ärzte, die ihn gründlich untersucht haben, werden Ihnen erklären, daß er sich in einem Zustand physiologischer Erschöpfung befindet und daß die andauernden, vorweggenommenen Anleihen auf das schöne Kapital der biologischen Widerstandskraft der Jugend eine Gefahr bedeuten für seine Zukunft und die seiner Familie, die er morgen gründen soll. Die Zahl der Tuberkulosefälle hat in erschreckendem Maß zugenommen.”

Die Härte des Lebenskampfes bestimmt auch die geistigen Interessen des französischen Studenten.

„Was liest er denn, wenn er noch liest? Er Kost nämlich nicht mehr viel. Die Lektüre ist auch ein Luxus geworden, und die Bücher sind sehr teuer. Auf seinem Tisch hat er nur die für sein Studium dienlichen Werke, technische und wissenschaftliche Handbücher, deren Anschaffung ihm häufig das für sein Alter hero-f ische Opfer mehrerer Mittagessen gekostet hat. Aber abgesehen von dieser Berufslektüre — wenn er noch Zeit und Geldmittel hat für seine persönliche, private Lektüre, was wird er sich da aussuchen? Bücher, in denen Taten ausgeführt werden.”

Das Ideal männlicher Härte, wie’es die Werke eines Antoine de Saint-Exupery enthalten, zieht den jungen Franzosen an.

„Er verabscheut leere Schwärmerei, lyrische Überspanntheit, Wortschwall, überhaupt jegliche ,Literatur’; wenn er noch zu träumen fähig ist, so entfaltet sich seine Phantasie und Träumerei nur an Vorbildern der Energie und Tatkraft. Eben diese Neigung, diese Vorliebe für die Werke der Aktion wird ihn veranlassen, auf literarischem Gebiet die Künstler des Wortes, die nur Künstler sind, ebenso wie die Ironiker und Skeptiker zu opfern. Die Zeit der Goldschmiede ist vorbei und ebenso die der Dilettanten. Das Leben ist kein Gegenstand mehr, mit dem man spielen kann. Voltaire und Anatole France haben an Terrain verloren, Corneille und Pascal an Boden gewonnen.”

Auffallend ist das geringe Interesse für Politik.

„Die gründliche Absage an die Politik birgt eine Gefahr in sich. Wenn die Jugend instinktmäßig altes wegwirft, was nicht sofort in das Konkrete eingreift, nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Leben steht, läuft sie nämlich Gefahr, mit dem U n nützlich e n auch die Kultur oder, richtiger gesagt, auch die Bildung zu verlieren. Gezwungen, sich auf das Notwendigste zu konzentrieren, verwirft sie allen Luxus, den des Geistes wie jeden anderen.” Die Bewunderung für den Lebensmut der studentischen Jugend — sagt d’Harcourt — dürfe über das tiefe Sinken ihrer Bildung nicht hinwegtäuschen. Beunruhigend sei auch die Leichtigkeit, mit der der Individualismus geopfert wurde. „Das Gemeinschaftsideal hat mit jedem Tag mehr Anhänger.” Eine Umfrage bei den Philosophiestudenten der Sorbonne habe eine überraschende Vorliebe für die französischen Klassiker und Ablehnung,, ja teilweise Unkenntnis der zeitgenössischen Literatur, vor allem der extremistischen Richtungen ergeben.

„AU die Kritik, die wie hinsichtlich der reinen Bildung an der Jugend üben mußten, erscheint mir reichlich aufgewogen durch das Lob, das uns nicht nur ihr Mut im Kampf ums Dasein abnötigt, sondern vor allem die Höhe und Reinheit ihres sittlichen Wandels. Diese Jugend gewinnt auf dem Gebiet des Charakters alles zurück, was sie auf dem der geistigen Bildung verliert. In ihr tritt uns ein ernsthaftes Wesen, eine Geradheit entgegen, welche die früheren Generationen nicht kannten. Dieses harte Metall ist in den Prüfungen des Krieges geschmiedet worden.”

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