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Ammen der Literatur

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Auch wer noch nie ein Buch in die Hand genommen hat, es sei denn zum Abstauben, weiß, daß es Leute gibt, die Bücher schreiben. Aber selbst unter den Leuten, die Bücher lesen, gibt's viele, die noch nie darüber nachgedacht haben, was eigentlich ein Verleger sei. Dabei — wer könnte all jene Bücher, auch die wirklich bedeutenden, zählen, die niemals geschrieben worden wären, hätte nicht ein Verleger einen Autor dazu angeregt, gebeten, händeringend angefleht, ja mitunter mit Brachialgewalt wie Kasernierung bei Wein und Schmalzbrot gezwungen?

Die Rolle der Verleger beim Zustandekommen der Literatur wäre Stoff für ein faszinierendes Sachbuch (Idee hiermit reserviert), das aber daran scheitern dürfte, daß der Verleger eines solchen Buches damit unweigerlich Werbung für die Konkurrenz betriebe, und so edel sind nicht einmal Verleger. Also müssen wir uns mit Einzeldarstellungen begnügen. Ein echter Verleger aus Berufung, Geburtshelfer und Amme der Literatur, war (neben vielen anderen von Rowohlt bis Heimeran, von S. Fischer bis, bis, bis ..) Peter Suhr-kamp. Nur recht und billig, ihm ein billiges Buch zu widmen, auf daß viele erfahren, wer er war. „Peter Suhrkamp — zur Biographie eines Verlegers vorgelegt von Siegfried Unseld“ erschien als Suhrkamp-Ta-schenbuch ,260. Es ist weder eine Biographie noch eine Autobiographie, sondern eine Zusammenstellung von Material: Briefe, Bilder, spärliche Selbstzeugnisse, vor allem Aussagen von Leuten, die ihn kannten, erst ab 1945 ist sein Leben verläßlich dokumentiert. Was vorher war, ging mit so viel anderem Archivmaterial im zerstörten Berlin unter.

Doch was da ist, reicht bei weitem, um eine überragende Gestalt zu erkennen, und gerade die Bruchstück-haftigkeit dieser Angelegenheit gibt ihr den Reiz des Lebendigen, die Frische, die Unmittelbarkeit, die innere Spannung. Und einmal mehr zeigt sich, daß das Taschenbuch gerade auf Grund seiner Billigkeit und Anspruchslosigkeit einen besonders raffiniert-unmittelbaren Illustrationsstil fördert.

Weitere Titel aus der jüngsten Produktion an Suhrkamp-Taschen-büchern machen Dinge zugänglich, die sonst nur sehr teuer herzustellen und daher zu einem esoterischen Dasein verurteilt wären. Die Rolle des Taschenbuches als Bahnbrecher von Literatur wäre erst einmal in einer Dissertation zu untersuchen. Bei Suhrkamp gibt es von Thomas Bernhard „Die Salzburger Stücke“ (enthaltend „Der Ignorant und die Wahnsinnige“, sowie „Die Macht der Gewohnheit“), und, 500 Seiten dick, aber noch immer ein wenn auch ta schenzerreißendes Taschenbuch, „Gesammelte Stücke“ von Franz Xaver Kroetz. Die „Briefe“ von James Joyce machen aus einem literarischen Denkmal wieder einen Menschen. „Eine Literaturgeschichte in Rezensionen und Aufsätzen“ von Hermann Hesse zeigt mehr einen Fremdenführer durch das Land der Literatur als einen Kritiker, und schon gar nicht war Hesse ein Polemiker — ein größerer Gegensatz ist kaum denkbar als etwa zwischen dem, was er, und dem, was Tucholsky über Lichtenberg (und manchen anderen, moderne Schlagwortverzeichnisse machen's möglich) geschrieben hat. Tucholsky kämpft. Hesse spricht als Kritiker immer, und oft etwas blutleer, ex cathedra.

Wenn allerdings deutsche Autoren gebeten werden, ihre Lieblingsgedichte von Bertolt Brecht auszuwählen und ihre Wahl zu kommentieren (Bertolt Brecht: „Gedichte, ausgewählt von Autoren, mit einem Geleitwort von Ernst Bloch) und dann in einem schmalen Band „An die Nachgeborenen“ sechsmal, „Die Liebenden“ fünfmal und ein paar andere Gedichte zwei- oder dreimal komplett abgedruckt und von variierenden Standpunkten aus gelobt werden, dreht die Literaturmaschine im Leerlauf, und ein Brecht, der den Schülern künftiger Generationen so auf die Nerven fallen könnte wie uns einst der Geheimbderat Goethe als solcher, scheint nicht mehr fern.

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