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Aus einem reichen Leben

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HERMANN HESSE. EINE CHRONIK IN BILDERN. Bearbeitet und mit einer Einführung versehen von Bernhard Zeller. Suhrkatnp-Verlag, Frankfurt am Main. 215 Seiten, 344 Abbildungen, Preis 28 DM.

„Uns, den Altgewordnen, ist das Weilen litt Vergangenen erlaubt und tröstlich, Hinter diesen vielen tausend Zeilen Blüht ein Leben, und es war einst köstlich.”

So hat der Dichter Hermann Hesse im Jahre 1942 einem Freunde mit dem Gedichtbuch die Weisung gegeben. Über seinen Kinderzeiten war, wie in den Versen „An die Schönheit” zu lesen steht, der Flügel eines Reiches ausgespannt, das die Mächtigsten der Welt uns nicht rauben können: der Flügel der Schönheit, Abglanz der Ewigkeit. Als er „ein Prinz” war, hatte er sich „ein Schloß erbauet in verstiegener Höhenruh”, seine Sehnsucht stand und steht immer noch dort und schaut sich müde. Eine selige Müdigkeit, Ernte einer Zeit: „So blickt aus sagenhafter Frühe mein Jugendbild mich an und fragt, ob von dem Licht, das einst getagt, noch etwas leuchte, etwas glühe.” Ja, es leuchtet, ja, es glüht! Wohin man in diesem Bilderbuche eines reichen Lebens blickt, überall Strahlung in die Weite, Erhöhung des Persönlichen ins Allgemeine; von der Schönheit beflügelt, Sieger über Raum und Zeit, Überwinder all dessen, was den Alltag verdüstert, Ermutigung für die Zaghaften, Stärkung für die Gedrückten. Wahrlich, die Generation, zu der Hesse gehört, die Generation eines Thomas Mann, eines Hugo von Hofmannsthal, eines Rainer Maria Rilke, eines Chagall steht in den Stunden, -da wir diese Bildbiographie durchblättern und immer wieder sinnend innehalten müssen, vor uns, weißen Wolken gleich, vom Abendrot umrandet. Man hofft, sie blieben tröstlich am Himmelsrand stehen, während in den Tälern, von der kommenden Nacht blau- verschattet, der Nebel raucht.

Das vorliegende Werk, das wollen wir gleich vorwegnehmen, ist ein unentbehrlicher Bestandteil der Biographie Hesses. Das Bild will „als Dokument, nicht als künstlerisches Erzeugnis, eigener Prägung aufgefaßt werden”, schreibt der Herausgeber. Es ist ihm gelungen, in diesen Bildern Dokumentarisches auszusagen, und zwar nach zwei Richtungen: im Gegenständlichen selbst, in der Art, wie der Mensch allein oder in der Begegnung mit deren Menschen wirkt; im Sinnbild, hen, wie der Dicbfe ijir selb WÄeil Jjjeit verstanden werden will und soll. Mehr als aus den Worten (denn in der Veränderung des Stils etwa das Vorrücken der Zeit oder die Einflüsse der Umwelt zu erkennen, dazu gehören gründliche Studien) erhellt aus dem gewandelten Gesicht, vom Kinderantlitz des vierjährigen „Her- männle”, wie ihn die Mutter genannt hat, bis zum, Gesicht des Einundzwanzigjährigen, als er Sortimentsgehilfe bei Hecken- hauser in Tübingen war. Wenn wir weiterblättern, sehen wir Hesse, ehe er den „Demian” schrieb, wieder ganz anders, und erst etwa vom Jahre 1926 an, als das „Bilderbuch” herauskam, prägen sich jene asketischen Züge aus, die dann in zunehmendem Maße, besonders während der Arbeit am „Glasperlenspiel”, uns das Antlitz so vertraut gemacht haben, daß wir glauben, dieser Hermann Hesse sei länger als eine Generation der gleiche geblieben. Nur wer die Werke des Dichters zur Hand nimmt, weiß Bescheid. Aber diese Bilder rücken die schöpferische Persönlichkeit in einer freundschaftlichen, von jeder billigen Sensation weit entfernten Art so nahe, als dies nur irgend möglich ist. Viel zu dem beglückenden Gesamteindruck des Werkes trägt freilich bei, daß die Bilddokumente verbunden werden durch kurze Texte von Hesse selbst, aus den gedruckten und ungedruckten Schriften mit feinsinnigem Verständnis aus- gewählt. Die Zitate sind wohl eine Stütze des Bildes, weisen aber, wenn man sie durchdenkt, weit über das Bild hinaus, geben die Hand oder deuten die Richtung des Weges an. Eine lückenlose Bildbiographie (die Auswahl mag schwer genug gewesen sein) war weder möglich noch beabsichtigt; ja, man kann sagen, daß gerade die gewählten Stationen dieser Lebenspilgerschaft durch jene Haltpunkte, die wir entweder erraten oder aus den dichterischen Schriften im Geiste ergänzen müssen, in der weisen Beschränkung an Gewicht gewonnen haben. Das ist nicht anders als beim Dichtwerk selbst oder bei einem Gemälde, wo der Phantasie immer noch Raum zu eigenen Schritten bleibt.

Die Einleitung von Bernhard Zeller hält sich erfreulich frei von philologischer Pedanterie. Sie legt die hauptsächlichen Entwicklungslinien fest und vermerkt, wo dies angezeigt erscheint, die Bedeutung jener Persönlichkeiten, mit denen Hesse im Verlauf der Jahrzehnte in Verbindung getreten ist. So gesehen, ist dieses Buch nicht nur eine Lehensgeschichte des Dichters, sondern ebenso eine Kulturgeschichte und — nicht zuletzt — auch eine politische Geschichte.

Das durchweg auf Kunstdruckpapier hergestellte Werk, dessen graphische Anordnung und Bildformate von höchstem Rang sind, darf in keiner Hausbücherei fehlen.

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