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Sühne und Befreiung

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Das Kinderbild des Fünfjährigen zeigt einen zarten Knaben mit großen, fragenden Augen und einem düster verschlossenen Mund.

Franz Kafka, der am 3. Juli 1883 in Prag geboren wurde, ist schon in jungen Jahren ein einsam Schwermütiger, gehemmt, in Konflikten erstickt. „Erdenschwere“ nennt er es später. Diese Konflikte, vor allem mit dem Vater, währen ein Leben lang und geistern als geheimnisvolle Schuld- oder Strafphantasien durch alle seine Dichtungen.

Nach Absolvierung des deutschen Gymnasiums am Altstädter Ping studierte er Jus und wurde am 18. Juni 1906 an der Karl- Ferdinands-Universität in Prag zum Doktor der Rechte promoviert. Da er den Eltern nicht einen Tag länger als nötig auf der Tasche liegen wollte, suchte er den zum Löben und dichterischen Schaffen so notwendigen Brotberuf. Brotberuf und dichterisches Schaffen sollten scharf getrennt bleiben. Eine Mischung lehnte er ab.

So wird er Beamter in der Arbeiter-Unfall- Versicherungsanstalt in Prag. „Scheinverrichtungen“ nennt Kafka seine Arbeit, „denen der Chef das Salz beigibt und das Ansehen einer wirklichen guten Leistung“.

Schon nach kurzer Zeit muß er erkennen, daß die Theorie seiner Lebensgestaltung praktisch undurchführbar ist. Kunst ist ihm Abglanz religiöser Erkenntnis. „Schreiben als Form des Gebetes" lautet eine aufschlußreiche Notiz in seinem Tagebuch. Wieder ist es die unheilvolle Verstrickung eines reichbegabten Menschen in die Fron eines trockenen, freudlosen Amtes. Absinken in unsägliches Leid. In Krankheit und Tod. „Die ungeheure Welt, die ich im Kopfe habe." Es klingt wie ein Schrei. Eine Fülle von Plänen, Skizzen und Entwürfen. Weniges wird ausgeführt, das meiste wieder vernichtet.

Herbst 1912. Aus dem trüben Qalm schießt das „Urtei 1“ wie eine Stichflamme empor. In dieser ersten, bis zu Ende geführten Erzählung vollzieht sich der Durchbruch des Dichters zu der ihm gemäßen Form. Im kargen Zeitraum von nur zwei Monaten entstehen noch zwei weitere Meisterwerke: das erste Kapitel seines „Amerika“-Romans, das noch zu seinen Lebzeiten unter dem Titel „Der Heizer“ erschienen ist, und die Novelle „V e rwandlun g".

Der äußere Erfolg ist ihm unwesentlich. Daher auch seine, nur selten unterdrückte, fast pathologische Abwehr gegen alle Veröffentlichung. Trotzdem gelingt es den Freunden, ihn zur Herausgabe einer Sammlung kleiner Schriften zu bewegen. 1913 erscheint sein erstes Buch „B et r ach tun g". 1915 gibt Sternheim den ihm verliehenen Fontane-Preis an Kafka weiter.

Die Berufsmisere, verbunden mit finanziellen Schwierigkeiten, geht Hand in Hand mit den fürchterlichen Hemmungen seines komplizierten Gefühlslebens.

Kafka verlobt sich. Die Beziehung wandelt sich in den fünf Jahren ihres Bestandes, trotz gegenseitiger Achtung und Zuneigung, zur Tragödie.

„Teuflisch in aller Unschuld", notiert er über sich ins Tagebuch. Später schreibt er an die Geliebte: „Ich kann nicht glauben, daß in irgendeinem Märchen um irgendeine Frau mehr und verzweifelter gekämpft worden ist äis um dich in mir.“

Dieser reine Mensch hat von der Ehe den höchsten Begriff. „Heiraten“, schreibt er, „eine Familie gründen, alle Kinder, welche kommen, hinnehmen, in dieser unsicheren Welt erhalten und gar noch ein wenig führen, ist meiner Überzeugung nach das Äußerste, was einem Menschen überhaupt gelingen kann." Klingt es nicht wie Kleistens Wunschtraum: „ein Feld zu bebauen, einen Baum zu pflanzen und ein Kind zu zeugen?“

Diese beiden Großen, die einander so ähn lich sind in Werk und Charakter, sie haben es nicht erreicht, ihre Sehnsucht gestillt zu •eben.

Nach schweren inneren Kämpfen entsagt Kafka. Im Verzicht auf die Geliebte weist er gleichzeitig jede Möglichkeit eines Eheglückes von sich. Aus tiefster Qual entringt sich dem tiefgläubigen Dichter das Gebet: „Erbarme dich meiner, ich bin sündig bis in alle Winkel meines Wesens. Hatte aber nicht ganz verächtliche Anlagen, kleine zarte Fähigkeiten, wüstete mit ihnen, unberatenes Wesen, das ich war, bis jetzt nahe am Ende, gerade zu einer Zeit, wo sich äußerlich alles zum Guten für mich wenden könnte. Schiebe mich nicht zu den Verlorenen."

In dieser Zeit beginnt er den „Prozeß“- Roman, schreibt er die Novelle „A u s einer Strafkolonie". Autobiographische Werke, Dokumente dichterischer Selbstbestrafung. Mit grausamer Härte geht er in dieser Vorhölle mit sich selbst ins Gericht. Die Helden sind schuldig-unschuldig. Irgendwie haben sie aber den Gesetzen des richtigen Lebens nicht genügt. Alles Unvollkommene verfällt der gerechten Strafe.

Die furchtbaren Erschütterungen der vergangenen Jahre, die verzweifelten Bemühungen, über alle Hemmungen des Berufes und der Ehepläne hinweg die dichterischen Gaben zur vollen Entfaltung zu bringen, schwächen den Körper, zerstören ihn. Er flüchtet in die erlösende, schwere Krankheit. Nimmt sie auf sich wie eine Strafe, als Sühne und Befreiung.

Er ist gezwungen, seine Stellung aufzugeben. Geht aufs Land. Fühlt sich im Allereinfachsten wohl und geborgen. Hier schreibt er sein Hauptwerk, den faustischen Roman „D as S c h 1 o ß“. Er ist wie die beiden anderen Romane, „Der Prozeß" und „Amerika“, Fragment geblieben.

In den letzten Jahren seines Lebens ist Kafka trotz Not und Krankheit glücklich. Er atmet auf. Die Dämonen haben ihn freigelassen. „Ich bin ihnen entwischt", schreibt er übermütig erlöst, „jetzt suchen sie mich, finden mich aber nicht, wenigstens vorläufig nicht.“

Er hat die Frau gefunden, die Verständnis für ihn im ganzen hat, wie er es nennt, durch die er den Halt auf allen Seiten, durch die er Gott hat. Er ist auf dem rechten Weg. Ein Weg, der ihn menschlich und dichterisch zur Vollendung führt. Dieser seltsam scheue und stille Mensch, hilflos im Treiben des Marktes, ist nun im Kern seines wahren und gerechten Wesens voll von einer süßen Sicherheit. Ein Wissender. Mehr noch: ein Weiser.

Der schreckliche Inflationswinter 1923 fördert die Krankheit und wirft ihn endlich nieder. Kurze Zeit ist er noch im Elternhaus in Prag, dann bringt man ihn Ende April in das Sanatorium Kierling bei Klosterneuburg. Dort stirbt er, 41 jährig, am 3. Juni 1924, also vor 25 Jahren, an Lungentuberkulose.

Kafka gehört mit Rilke und Trakl zu jenen großen österreichischen Dichtern, deren überragende Bedeutung erst im Ablauf der Jahrzehnte klar erkannt wurde.

Seit Goethe und Kleist — Stifter ausgenommen — hat keiner die deutsche Sprache so gemeistert wie er.

Sein von ihm geformtes Kunstwerk ist Vollkommenheit schlechtweg. Ist Vollendung.

In diesen Gebilden reinster Dichtung ist kristallene Klarheit, gepaart mit phantastischen Visionen von unermeßlicher Tiefe. Der einsichtige Leser hat das Gefühl, in einem süßen Traum zu ein, sitzend in einem schwebenden Kahn (um ein Kafkasches Bild zu gebrauchen), hinfliegend durch ein leeres Flußbett. Allerkleinste Details aus dem wirklichen Leben stehen neben allumfassenden Zeichen und Gleichnissen. Das Altagsleid der Kreatur ist überwölkt von der ewigen Weite des unbefleckten Himmels. Mitleid und gute Träume schließen eine zarte Ironie nicht aus. In der Idylle ruht die Ahnung von letzten Dingen. Irdisches Grauen ist angestrahlt von einem lieben Lächeln, das aus Fernen stammt, nahe dem Jenseitigen. (So lächeln Engel.)

Ihm ist in seinem Werk di große Gnade geworden, um die er rang wie wenige vor ihm.

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