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das silberboot

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An die Tat und den Einsatz Ernst Schönwieses soll erinnert werden, der, umgeben vom Nationalsozialismus Deutschlands, im Oktober 1935 eine Literaturzeitschrift herauszugeben begann mit Autoren, von denen jeder einzelne damals Verfolgungsverdächtig war. Denen er aber gerade deshalb, weil sie in Deutschland ihre Verlage verloren hatten, eine neue Möglichkeit schaffen wollte, publiziert und gehört zu werden: Sinn und Zweck der Zeitschrift für Literatur „das silberboot“, die einer Sendung gleichkommen.

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An die Tat und den Einsatz Ernst Schönwieses soll erinnert werden, der, umgeben vom Nationalsozialismus Deutschlands, im Oktober 1935 eine Literaturzeitschrift herauszugeben begann mit Autoren, von denen jeder einzelne damals Verfolgungsverdächtig war. Denen er aber gerade deshalb, weil sie in Deutschland ihre Verlage verloren hatten, eine neue Möglichkeit schaffen wollte, publiziert und gehört zu werden: Sinn und Zweck der Zeitschrift für Literatur „das silberboot“, die einer Sendung gleichkommen.

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Noch etwas unsicher und quasi als Motto für das ganze Unternehmen, war dem ersten Heft das Jean-Paul-Wort vorangestellt: „Wohl habe ich Früchte und Blumen zusammengebunden, wie im Blütenstrauße...“ Aber schon nach dem zweiten Heft, Mitte April 1936 erschienen, setzte Schönwiese bewußter das Hölderlin-Wort voraus: „Es warten aber / Der scheuen Augen viele — durstig / Zu schauen das Licht.“

Die Zeitsituation weist also dem erkannten Auftrag das Ziel. Vergessen wir nicht, in einer Zeit, in der Wort und Geist der besten Deutschen gefährdet waren und auf dem Scheiterhaufen öffentlich verbrannt wurden: Da also — man verzeihe das aus dem damaligen Vokabular entlehnte Wort — trat Schön wiese an: versuchend, den gefährdeten Geist zu retten, indem er ihn vermittelte. Welches persönliche Wagnis das war, wissen wir, wenn wir uns erinnern, daß die meisten Autoren dieser Zeitschrift nach 1938 verfolgt, eingekerkert, umgebracht, oder als Emigranten das harte Los der Wirkungslosigkeit, ja des Vergessenwerdens, zu erdulden hatten.

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Sicher liebt die Masse, was für sie geschaffen wurde: den Fußballplatz, die Rennpiste, die PS, die km/h, die Hundertstel Sekunden, die heute Siege ausmachen. Der letzte Einsatz, die Rekordmarke zählt, aber kein Name und keine Person und kein Leben, die nur mehr funktionell gewertet werden, in bezug auf die Leistung. Die Sensation zählt und was die Menge in Atem hält. Die Menge liebt nun einmal das Spiel, das Schauspiel als Exzeß.

Aber nicht nur der „Menge“, der „gefällt, was auf dem Marktplatz taugt“, ist die Beziehung zum Wort, zum Geist einer Sache, die eine bestimmte Aufgabe oder Ansicht und einen uneingeschränkten Einsatz fordert, verlorengegangen, sondern in dieser derart veränderten Welt gibt es auch schon Vokabulare Schwierigkeiten, die den Text verunsichern und die einfache Lesbarkeit beeinträchtigen. Denn die heutige Problematik erfordert eine andere, themenbezogene Sprache wie auch Leseart als etwa eine, die von der Bedrohung der menschlichen Freiheit und des menschlichen Geistes zu sprechen hat. Das Vokabular von heute ist nicht mehr wertident, der Aussagewert ist kein einheitlicher, kein einhelliger mehr. Die Wertmaße sind derart verlagert, daß Verfolger wie Verfolgte gleichermaßen suspekt geworden sind. Das Wort aber, das nicht mehr vermittelt, was es besagt, stellt eher in Frage, als daß es fixiert.

Denn was besagt heute beispielsweise „der leidenschaftliche Wille, mitzuhelfen an der Wiedererwek-kung echten Menschentums und seiner sich immer wieder erneuernden, wahrhaft humanen Religiosität“? Besagt es dem Menschen von heute noch dasselbe, was es 1937 oder 1946 zu sagen vermochte? Es ist demnach fraglich geworden, heute vom „echten Menschentum“ oder „wahrhaft humaner Religiosität“ zu sprechen, wenn sie nicht mehr als solche verstanden werden. Das beeinträchtigt nicht den Wert der Sache, einer Tat oder Haltung, aber das Verständnis dafür. Und dies läßt eine Haltung aufkommen, die alles in Frage zu stellen vermag; auch ob es eine besondere Tat war, den Geist und das Werk Musils und Brochs, Faulkners und Kafkas aus der Verschüttung des Dritten Reiches zu retten. *

„Entsprechend ihrem rein literarisch-künstlerischem Charakter“ ist wohl dieser eher romantisch-poeti-

sehe Titel gewählt worden, I wobei dann sicher die leicht mattierende Eigenschaft des angesprochenen Metalls als willkommenes Tarnmittel erkannt wurde, das Gold dieser Fracht unbehelligt und sicherer in die Verborgenheit und die Verstecke dieser Nacht zu bringen. Denn diese Hefte sollten ja in Deutschland als „Devisenbringer“ vertrieben werden, damit sie auch hinter der „Stacheldrahtabsperrung“ von jenen gelesen werden konnten, denen sie der einzige Kontakt mit der Literatur der noch freien Welt waren.

„das silberboot“, in solcher Zeit erschienen, wollte ein überparteiliches Forum antinationalsozialistischer Dichter sein. Es wollte mithelfen, daß ihre Stimme gehört, und zwar gerade von denen weiter vernommen würde, denen man sie vor allen Dingen vorenthalten wollte, von denen, die hinter der Stacheldrahtabsperrung leben mußten. Mit Hilfe gleich-gesinnter Freunde war es — trotz größter Schwierigkeiten und Schikanen — gelungen, bis in das Jahr 1937 hinein, diese Aufgabe zu erfüllen.

„Heute, neun Jahre nach dem Versand seines letzten Heftes, kann ,das silberboot' seinen zweiten Jahrgang beginnen. Wie damals, will es auch heute der echten Dichtung und der wahren humanen Geistigkeit dienen ...“, berichtete dann Schönwiese selbst,im März 1946. Bis 1937 konnten immerhin fünf Hefte des ersten Jahrganges erscheinen.

*

Wer heute die Umschlagseite gleich des ersten Heftes des ersten Jahrganges vor Augen bekommt, wird erstaunt sein von der Fülle der bedeutendsten Namen der Weltliteratur, die hier so problemlos vereint sind als kostbare Erstdrucke und literarhistorisch bedeutsam gewordene Frühfassungen, literarische Raris-

sima, Vorabdrucke, die für kritische Ausgaben unbestreitbare Authentizität haben.

Wir finden die Namen Robert Mu-sil, Sinclair Lewis, Ricarda Huch, Josef Ponten, Albrecht Schaeffer, Otto Stoessl, James Joyce, William Faulkner, Rainer Maria Rilke, Paris Gütersloh, Hermann Broch. Dazu noch Beiträge von Felix Braun, Georg v. d. Vring, Heinz Politzer, Ernst Waldinger, Franz Blei. Lesen wir die Titel und ein wenig in den Beiträgen selbst, sind wir gefesselt und mitten im Aufbruch, am Anfang unserer heutigen Zeit. Jener Zeit, in der sich der große Wandel vollzog. Wo der große Roman neu geschrieben wurde. Da wird, wie kaum anderswo, ersichtlich, daß Kafka, Broch und Musil für Europa vollzogen, was William Faulkner, Virginia Woolf und James Joyce für Amerika beziehungsweise die anglikanische Welt vollbrachten, dadurch, daß geradezu sensationell einmalig erste und frühe Texte von diesen Dichtern zum Vergleich nebeneinander stehen.

Es wird ersichtlich, wie entscheidend Österreich Anteil an der Entwicklung der Literatur der Welt unvermutet nahm, und wie unvermittelt, .gewissermaßen im verborgenen, sich dieser unvergleichliche Sprung, den die Literatur Österreichs mit den Werken Kafkas, Brochs und Mu-sils aus einer gewissen Anonymität heraus, an die Spitze des halben Dutzends der bedeutendsten Romanwerke unserer Zeit, eines Jahrhunderts und der Weltliteratur vollzog. Von welchem strukturverändernden Ausmaß, von welcher Gravität diese Revolution des deutschen Romans österreichischer Provenienz durch

diese Dichter tatsächlich war. Wie richtungweisend sie für die Entwicklung der Kunst überhaupt in unserer Zeit wurde. Deutlich kann hier diese Wandlung, die diese Veränderung der Denk- und Schreibweise auf dem Wege zu neuen Erkenntnissen zur Folge hatte, verfolgt werden. Wie auch, um diesen Einbruch in die verbliebene Ist-Welt ansprechen und gestalten zu können, eine neue Sprache gefunden werden mußte, weil es „die Ausdrucksweise der Dinge, die Diktion des Objekts“ noch gar nicht gab. Diese Revolution der Denkweise und der Gestaltungsmittel, dieser Aufbruch in unsere Zeit und in unsere Wirklichkeit liegt in diesen Heften so einmalig geschlossen überschaubar und faßbar nebeneinander wie kaum in einem anderen ähnlichen Unternehmen. Und das schließlich ist die kühne und verdienstvolle Tat dieser Zeitschrift und ihres Herausgebers.

Schon allein sie alle vereint und zur' Wirksamkeit gebracht zu haben, ist Verdienst genug und machen das Unvergleichliche, Unvergängliche dieser Zeitschrift aus. Denn Schönwiese hatte damals wie jeder andere •auch die ungeschmälerte Freiheit, sich seine Mitarbeiter und Autoren nach Belieben1 und unabhängig wählen zu körinen. Und Schönwiese entschloß sich für diese. Sie aber weisen dieses Jahrhundert aus. Dies macht die Einmaligkeit und die Besonderheit dieser Zeitschrift wie das Verdienst des Herausgebers aus. Da bedarf es schon eines echten österreichischen Schicksals, daß dieses Rarissimum Austriacum zeitenweise so vergessen werden konnte.

Dieser bewunderungswürdige geistige Einklang und dichterische Zusammenklang, der diese Hefte ebenso auszeichnet, konnte sicher nur erreicht werden, weil Schönwiese es verstand, die Beiträge sorgfältigst aufeinander abzustimmen, ja ihre Reihung zu „komponieren“. Ein weiterer Vorzug dieser feinsinnigen, durchaus nicht auf marktschreierische oder auf unbedingte Breitenwirkung hin angelegten, sondern eher überaus subtilen und sehr anspruchsvollen Zeitschrift.

„das silberboot“ liegt mit einem Gesamtumfang von 28 Heften vor. Fünf Jahrgänge und das 28. als Einzelheit. Dazu gehören ein „silberboot Almanach“ auf das Jahr 1946 und „Die neue Kleinbuchreihe: das silberboot“ mit Editionen von Adalbert Stifter, Thomas Hardy, Goethe, Nathanael Hawthorne, Ralph Waldo Emerson, Charles Sealsfield und Dostojewski dm silberboot-Verlag, Salzburg.

Sollten noch weitere Namen erwähnt werden, vor allem von Autoren, die nach dem Krieg für diese Zeitschrift geschrieben haben, dann müßten Rudolf Borchardt, Max Brod, Martin Buber, Iwan Bunin, Elias Canetti, Paul Claudel, Franz Theodor Csokor, Andre Gide, Hermann Hesse, Aldous Huxley, Rudolf Kassner, David Herbert Lawrence, Hans Leifhelm, Joachim Maass, Thomas und Klaus Mann, Francois Mauriac, Marcel Proust, Romain Rolland, Jules Romains, George Salko, William Saroyan, Johannes Urzidil, Paul Valery, Berthold Viertel, Franz Werfel, Thornton Wilder und Thomas Wolfe, Arthur Zanker, Carl Zuckmayer genannt werden. Von weiterer Bedeutung war wohl auch, daß der Verlag für die Zeitschrift Teile der Nachlässe von Peter Altenberg, Thomas Hardy, Hugo von Hofmannsthal, Franz Kafka, Marcel

Proust und Italo Svevo erworben hatte, um Kostbarkeiten und Rara daraus zu publizieren.

Stark beeindruckt weiters, wie hier diese damals völlig unbekannten Werke besprochen und eingeordnet wurden. Wie unmittelbar und bis ins letzte gültig berührt uns dieses sichere Erkennen und Setzen von Maßstäben. So lesen wir beispielsweise bei Franz Blei in seinen „Marginalien zur Literatur“:

„Nicht zufällig treten die vier großen Romanciers nach dem Kriege auf den Plan mit der Inventur der Epoche: Proust, Joyce, Musil, Broch. Diese vier (und nur sie unter allen sonstigen Romanciers dieser Tage) gehen nicht mehr als deren Bestandteil in die Epoche auf, sie stehen über ihr...“ Oder an einer anderen Stelle: „Musils Tiefe: sein Licht reicht weiter hinunter als irgendeines ...“

In einer Rezension Rudolf Brunn-grabers von William Faulkners Buch „Licht im August“ fällt besonders folgende Stelle auf:

Eine Zeitlang schien es, die große moderne Epik käme aus Rußland. Nun erlebt man die doppelte Überraschung, Amerika, das schon Sinclair Lewis, Dos Passos, Hemingway, Hergesheimer hervorgebracht hat, mit Giganten aufmarschieren zu sehen. Auf den dreiunddreißigjähri-gen Thomas Wolfe, der mit seinem Erstlingswerk „Schau heimwärts, Engel“ in die Weltliteratur eintrat, folgt William Faulkner, dessen Roman ,Licht im August' eine geradezu beispiellose Schöpfung ist.“

Wir finden weiters bei Herbert

Burgmüller die fundamentalen Erwägungen in seinem Text „Zur Ästhetik des modernen Romans James Joyce'“:

„War es die Aufgabe Prousts gewesen, eine formale Möglichkeit zu finden, um das Dasein künstlerisch zu bewältigen, so mußte Joyce bereits auf die entscheidende Frage antworten, ob die gegenwärtige Welt ihrer inneren geistigen und logischen Struktur nach überhaupt noch abbildungsfähig sei...“

Fundgruben, die nur warten, endlich entdeckt zu werden. Das wäre eine Aufgabe: Die große Wandlung der Zeit allein aus dieser Zeitschrift zu entwickeln, um das Epochale ihrer einzigartigen Bedeutung für unsere Geistesgeschichte deutlichzumachen. *

Vieles wäre hier noch erwähnenswert und wert, herausgegriffen zu werden. Aber es sollte doch nur an „das silberboot“ und seinen Herausgeber erinnert und das geistesgeschichtliche Gefälle, dieser Strom einer literarhistorischen Entwicklung, gleichsam in das Blickfeld wieder gerückt werden. Und anstatt langer Aufzählungen sollte vom Geist, der geistesgeschichtlichen und literarhistorischen. Bedeutung dieser Zeitschrift gesprochen werden, und wer, pars pro toto, die Hauptträger dieses Geistes waren. Denn vielleicht ist es heilsam, gerade in unserer Zeit, wieder an einen rechten Weg und an ein wahres Ziel gemahnt zu werden.

• Der österreichische PEN-Club hatte für Anfang Juni eine Delegation der jugoslawischen PEN-Zen-tren zu einem offiziellen Besuch nach Wien eingeladen. Dieser Delegation gehörten Schriftsteller aus Kroatien, Makedonien, Serbien und Slowenien

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