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ERZÄHLKUNST IN ÖSTERREICH

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Seit den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts häufen sich Zweifel an der Zuständigkeit von Wort und Sprache, Wesentliches über die dingliche (und das heißt gegenständlichobjektive) Welt aussagen zu können. Der vielzitierte sogenannte „Chandos-Brief“ Hofmannsthals, der in dieser Entwicklung einen wichtigen Einschnitt bedeutet, muß das Zerfallen der Worte vor dem Ansturm der ekstatisch erlebten Gewalt der Dinge eingestehen. Seither sind es gerade die bedeutendsten österreichischen Dichter und Schriftsteller, denen die Sprache als Werkzeug der Dichtung zur vielerörterten Frage wurde. Als 1914 bis 1922 der „Ulysses" des Iren James Joyce entstand, war der Sprache die Aufgabe gestellt, weniger den Ablauf einer sogenannten „Handlung“ zu verdolmetschen als innere Abläufe eines Bewußtseinsstromes deutlich zu machen. Während die äußere, an Dinge gebundene Handlung immer unansehnlicher wurde, schwoll das innere Geschehen als verworren-trüber Gedankenspiegel der unübersehbar gewordenen Dingwelt zu ungeheuerlichem Umfang an.

Die Wirkung des europäischen Romans, wie ihn Joyce oder die Franzosen Marcel Proust und Jules Romains in bisher ungeahnter Form und Wirkung ausformten, war gerade bei den Österreichern Robert Musil und Hermann Broch deshalb zur fruchtbaren Anregung geworden, weil hier nicht nur Sigmund Freuds Psychoanalyse, sondern auch Ludwig Wittgensteins und Ferdinand Ebners sprachkritische Werke ebenso Aufsehen erregt hatten und Schule bildeten, wie etwa die Sprachreflexionen von Karl Kraus, Rudolf Kassner, Fritz Mauthner und anderen.

Musil, und besonders Broch, schufen auf Grund dieser Anregungen eine Erzählkunst, in der das Erzählen einer Begebenheit selbst zum Problem geworden ist. Diese Entwicklung war von lange her vorbereitet, wurde nun aber selbst zum Gegenstand des Erzählens gemacht. Der Höhepunkt des Zweifels, daß ein Roman die Wiedergabe einer Geschichte nicht zu leisten vermöchte, war in den dreißiger Jahren erreicht worden.

Map möchte nun glauben, daß diese Ansätze weiter entwickelt wurden. Die Rückverbindung zu den Romanschriftstellern und Erzählern zwischen den beiden Weltkriegen ist durch den Einfluß der Amerikaner Faulkner und Hemingway, der Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre besonders auffällt, dann auch durch den der heimischen Vorläufer Kafka samt surrealistischem Gefolge und durch die Nachwirkung Güterslohs und Doderers, wie bei Herbert Eisenreich und Peter v. Tramin, durch den Einfluß Herz- manovsky-Orlandos bei Peter Marginter oder durch die Einwirkung Joseph Roths bei Gerhard Fritsch aufzuzeigen. Da erwies es sich, daß der nächste große, auch dem Ausland gegenüber repräsentative Erzähler, Heimito von Doderer, diesen Weg nicht weiter ging. Wie er an die lösbare Aufgabe des Erzählens auch des anekdotischen, nicht in kritischen Betrachtungen und Essays aufgelösten Rpman? glaubte, ąo wie- er I seit ungefähr 1950 auf die jüngere Erzählergeneration eintfrirkte; so zeigV ätfdh dld ute 'ičhžffende Generation von Prosaschriftstellern das ungeschmälerte Weiterleben der Freude am Vorgang des Erzählens selbst, wobei sich aber bei vielen Schriftstellern der jüngeren und mittleren Generation der Wille zeigt, Unterschwelliges, Archaisches, Unbewußtes, Mythisches in einen realen Erzählvorgang hereinzu

nehmen. Es ist bezeichnend, daß Schriftsteller wie Herbert Eisenreich, Ingeborg Bachmann, Herbert Zand, Jeannie Ebner, Christine Lavant, um nur einige Namen stellvertretend zu nennen, gut, ja vorzüglich erzählen können.

Diese Frage ist nicht ohne allgemeines Interesse, weil die Erzählkunst immer ein gesundes, ursprüngliches und ungestörtes Verhältnis zur Umwelt voraussetzt.

Der Gegenstand des Romans ist die Welt. Wird diese Welt in Erzählungen nicht mehr faßbar, wie zum Beispiel einmal Rudolf Brunngraber behauptet hat, dann scheint sie ja auch dem Geiste nicht mehr verstehbar. Diese Gefahr ist in einem Zeitalter der sogenannten „Kontaktarmut“ vorhanden, aber gerade die auf den zweiten Weltkrieg folgende Generation hat sich als widerstandsfähig gegenüber dem Welt- und Wertzerfall erwiesen, wenigstens kann dies für viele österreichische Autoren behauptet werden.

Freilich könnte man als Gegenbeweis die radikalen Sprachspiele innerhalb der neuesten Lyrik anführen. Das scheint aber ein Vorgang zu sein, der sich in erster Linie innerhalb der Problematik des lyrischen Gedichts selbst, erst in zweiter Linie innerhalb der Sprache überhaupt, abspielt. Jedenfalls läßt es sich nicht leugnen, daß gerade die Schriftstellergeneration nach dem zweiten Weltkrieg schon deshalb von der „Krise“ des Romans viel weniger angekränkelt ist als die Romanciers zwischen den beiden Weltkriegen, weil sie sich auch weniger von wissenschaftlich-kritischen Überlegungen imponieren läßt. Die allgemeine Entgiftung von Theoremen vieler Art und Herkunft hat diesen neueren Erzählern eine Frische, verbunden mit einem Blick in Geheimnisse des Seelischen verliehen, der, mag man auch über die einzelnen Werke oft sehr geteilter Meinung sein, dennoch dem Prozeß einer völligen Auflösung des Erzählvorganges Widerstand zu leisten vermochte.

Die Frage, die in erster Linie von Interesse ist, ist eben die von Theorie und Praxis. Noch bis in die dreißiger Jahre war der Einfluß der verschiedensten Zweige der Wissenschaft, wie etwa der Psychoanalyse, der Soziologie und endlich der Gattungsproblematik des Romans selbst von großer Bedeutung. Die jüngeren Schriftsteller sehen die Gefahr, die das Vordringen einer wissenschaftlichen Weltauffassung für die Dichtung und die Kunst überhaupt bedeuten muß. Kompromisse zwischen Wissenschaft und Dichtung sind zwar schon seit 200 Jahren in der Dichtungsgeschichte nachzuweisen, haben aber im 20. Jahrhundert deshalb an Schärfe, ja an tödlicher Gefahr für die Dichtung zugenommen, weil es nunmehr nicht mehr möglich wird, den für die Wissenschaft kennzeichnenden Geist der Auflösung der Dingwelt in abstrakte Modelle in den an Bild und Gestalt gebundenen Geist der Dichtung hereinzunehmen. Die gegenwärtig so harte Auseinandersetzung zwischen diesen beiden verschiedenen Verhaltensweisen der Welt gegenüber wird auch in nicht allzu ferner Zukunft über die Möglichkeit des Erzäh- entscheiden. Schon Musil wollte den „Essayisten“ an : Stelle des.; Dichters wenigstens in der Hauptgestalt seines Romans „Der Mann ohrfe"'Eigenschhffėn" gesetzt wissen. Mannigfache Versuche, eine Brücke zwischen Dichtung im traditionellen Sinne und einer neuen Form zu schlagen, sind wiederholt zu beobachten. Die Erzählfreude der neuen Schriftsteller ist aber eine Gewähr dafür, daß die sogenannte „Krise“ des Romans noch keine Entscheidung bedeutet hat.

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