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Bücher haben ihre Schicksale

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TOLLE, LEGE. TOLLE, LEGE — Nimm und lies, nimm und lies. In seinen „Con-fessiones“ beschreibt Augustinus einen der entscheidendsten Augenblicke seines Lebens: nach jahrelangem Suchen und Irren hatte er endlich jenen Weg gefunden, der zum einzigen Heil führte. Aber noch hielten ihn die Begierden und Sehnsüchte dieser Erde fest und machten ihn unfähig, vom alten Leben Abschied zu nehmen und sich dem neuen zuzuwenden. In dieser Situation hörte er eines Abends plötzlich eine Stimme, die ihm befahl: „Nimm und lies.“ Er ergriff jenes Buch, das ihm zufällig am nächsten lag, und las jene Stelle, auf die seine Augen zuerst fielen. „Und sogleich“, erzählt der Lehrer von Hippo jenes Erlebnis, „da ich den Satz beendet hatte, war mein Herz wie vom Lichte hellster Zuversicht erfüllt und alle Finsternis war geflohen.“ Sein Weg zum großen Heiligen der Kirche begann. Jener Weg, an dessen Beginn ein Buch stand. Dessen sich Gott bediente, um ihn zu führen.

HABENT SUA FATA LIBELLI — Bücher haben ihre Schicksale, sagt ein altes Sprichwort. Man könnte es ergänzen: sie schaffen Schicksale. Der Fall des heiligen Bischofs von Hippo ist ein Beweis dafür, welche Rolle Bücher im Leben eines Menschen spielen können. Die traurigen Kapitel der Kriminalistik der letzten Jahrzehnte sind oft ein Beispiel, welch schlechten Einfluß Bücher haben können. Denn nur zu oft löste den Weg ins Verderben ein Buch aus, das das Böse verherrlichte. „Bücher haben ihre Schicksale.“ Und Menschen durch die Bücher.

Welche ungeheure Verantwortung lastet deshalb auf jenen Menschen, die Bücher erzeugen. Auf jener seltsamen Sorte von

Menschen, die man „Verleger“ nennt. Sie sind Kaufleute, aber ihre Ware ist „Geist“. Sie scheinen nicht mehr ganz dem Kaufmannsstand verhaftet zu sein, sondern einer anderen Sphäre anzugehören. Andererseits sind sie nur zu oft von Menschen der geistigen Sphäre gefürchtet, ja gehaßt, da sie sich zu sehr den Gesetzen des kaufmännischen Lebens zu unterwerfen scheinen. Diese seltsame Sorte von Menschen, die man „Verleger“ nennt, sind in Wirklichkeit eine Art von „Transformatoren“; den „Geist“, der ihnen angeboten wird oder den sie aufgestöbert haben, bringen sie in Form von Büchern unter die Menschen. Zum Heil oder Unheil der Menschen. Je nachdem es sich um gute oder schlechte Bücher handelt. „

BARTHOLOMÄUS HERDER war einer jener Verleger, der durch die Gründung des Verlages Herder größten und tiefsten Einfluß auf das Geistesleben des deutschen Volkes ausüben sollte. 1774 in der freien Reichsstadt Rottweil geboren, hatte er das Gymnasium bei den Benediktinern von St. Blasien im Schwarzwald besucht, war Student der Universität Dillingen geworden, hatte dann einen kleinen Verlag in seiner Heimatstadt aufgemacht, um endlich am 27. November 1801 — also vor 150 Jahren — den Verlag Herder ins Leben zu rufen. Zunächst im kleinen Städtchen Meersburg am Bodensee, damals Sitz des Bischofs von Konstanz. Sein Plan war, katechetische und pädagogische Werks, mit Unterstützung des Bischof« herauszugeben. Die Geschäfte gingen bald schlecht. Das Bistum Konstanz wurde aufgehoben, der Bischof verließ Meersburg, die kirchlichen Stellen waren nicht zufrieden mit den herausgegebenen Werken. Dazu kamen die Napoleonischen Kriege. 1808 muß er sich einen kaufmännisch besseren Platz suchen: er geht nach Freiburg, um Universitätsverleger zu werden. Die Napoleonischen Kriege benützt er, um eine Feldzeitung zu gründen und karthographische Werke herauszugeben. Sein Verlag geht auch weiterhin nicht sehr gut, er hält sich durch Verkauf von Lithographien und Kupferstichen und Kunstgegenständen über Wasser. Als er 1839 stirbt, hat der Verlag eigentlich kein „Gesicht“. Erst mit seinem Sohn begann der Aufstieg des Verlages Herder zu einem Weltunternehmen ersten Ranges.

33.000 Werke sind seither von diesem Verlagshaus herausgegeben worden, in 67 verschiedenen Sprachen. Denn bald errichtet das Unternehmen neue Niederlassungen in Amerika, Spanien, Rom, Österreich. 33.000 Werke, viele davon mehrbändig, das gibt bereits eine Bibliothek, die kaum noch Private besitzen, eine Bibliothek, die in diesem Umfang von nicht vielen wissenschaftlichen Instituten erreicht und nur von den großen Hochschul-, Staats- und Klosterbibliotheken übertroffen wird.

33.000 Werke: unmöglich auch nur die bedeutendsten anzuführen. Die Namen würden Seiten füllen. Nur drei Sparten sollen herausgegriffen werden, um eine Ahnung von der Arbeit dieses Hauses zu vermitteln: da sind vor allem die lexikalischen Werke, ohne deren Vorhandensein heute kein Arbeiten mehr möglich ist. 1846 bis 1856 erscheint erstmalig das „Kirchenlexikon“. Wetzer und Welte waren die ersten Herausgeber, der berühmte Historiker Hefele arbeitete mit. Die nächste Auflage redigierte der spätere Kardinal Hergenröther. 1930 erschien die bisher letzte Auflage davon, in zehn Bänden, als „Lexikon für Theologie und Kirche“, nach dem Herausgeber auch „Buchberger“ genannt. 1854 bis 1857 erschien erstmalig in fünf Bänden das „Konversationslexikon“, das heute als „Der Große Herder“ auf 12 Bände angewachsen ist. 1887 erschien ein „Staatslexikon“ in fünf Bänden. 1913 ein „Lexikon der Pädagogik“. Viele andere lexikalische Werke könnten noch angeführt werden, es soll nur noch auf den „Sozial-katechismüs“, der soeben unter der Leitung von P. Welty erscheint, hingewiesen werden.

Eine zweite Sparte, auf der sich das Haus Herder besondere Verdienste erworben hat, ist die historische Wissenschaft. Auch hier sollen nur einige wenige Titel angeführt werden. Für lange Zeit noch unübertroffen wird die ' 16 bändige „Geschichte der Päpste“ von Pastor sein. Welches Aufsehen erregte die „Conziliengeschichte“ von Hefele oder die „Geschichte des deutschen Volkes seit dem Mittelalter“ von Johannes Janssen. Das große Luther-Werk von Griser Hartmann, Lortz' Forschungen über die deutsche Reformation, Schnabels vierbändiges Werk über die Geschichte des deutschen Volkes im 19. Jahrhundert, Jedins Forschungen über das Konzil von Trient, Eders über die katholische Kirche im 16. Jahrhundert — all dies sind Werke, über die kein Historiker hinweggehen kann.

Unmöglich auch in der dritten Sparte: „Religion“, nur die berühmtesten Titel aufzuzählen. Es sei nur darauf hingewiesen, daß das kühnste, tiefste und geistreichste Werk der neueren deutschen Theologie, die „Mysterien des Christentums“ von Scheeben, im Verlag Herder erschien. Daß der Verlag das Römische Missale in der deutschen Übersetzung von Anselm Schott herausbrachte und bis heute ungefähr fünf Millionen Bände absetzen konnte und damit eine der tiefgreifendsten Umwälzungen im religiösen Leben eines Volkes bewerkstelligte.

CATHOLICA NON LEGUNTUR — Katholische Büdier werden nicht gelesen. Die ganze Verachtung und der ganze Spott des ungläubigen 19. Jahrhunderts sprechen aus diesen Worten. Nach ungeheuren Triumphen der Wissenschaft, die nicht aufgehört hatten, die Vernunft als höchsten Gott und nicht Gott als die höchste Vernunft zu verkünden und alle Bücher zu verdammen, die letzteren Grundsatz priesen, war die Menschheit durch eben diese Wissenschaft in einen Totentanz schauerlicher Art geraten. Sang- und klanglos ist in diesem Totentanz auch der Satz „Catholica non legun-tur“ verschwunden. Katholische Bücher werden in der ganzen Welt gelesen. Allerdings, ohne die zähe und stille Arbeit vieler Jahrzehnte wäre dieser Erfolg nicht erreicht worden. „Habent sua fata libelli.“ Bücher, haben ihre Schicksale. Besonders katholische Bücher. Und durch sie die Menschen. Denen sie zurufen: Tolle, lege. Nimm und lies.

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