200 Jahre Verlagshaus Herder

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Wie sechs Generationen das Werk eines Hofbuchdruckers ausbauten, ohne seine grundlegenden Ideen zu verwässern.

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Wie sechs Generationen das Werk eines Hofbuchdruckers ausbauten, ohne seine grundlegenden Ideen zu verwässern.

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D er Herder-Verlag ist 200 Jahre alt. Dieses Jubiläum ist etwas Besonderes. Nicht nur, weil es sich um einen der ältesten großen deutschen Verlage handelt. Nicht nur wegen dessen Bedeutung für die religiöse Literatur und die Theologie. In einer Zeit, in der sich große Verlage fast schon routinemäßig kleine einverleiben und ihrerseits von noch größeren Verlagen geschluckt werden, ist ein Verlagshaus, das sich nach zwei Jahrhunderten noch in der Hand der Gründerfamilie befindet, eine erfreuliche Ausnahmserscheinung.

Vor 200 Jahren, anno 1801, wurde Bartholomä Herder, ein Zeitgenosse des Klassikers Johann Gottfried Herder, doch nicht mit ihm verwandt, zum Hofbuchhändler und Hofbuchdrucker des Fürstbischofs von Konstanz ernannt. Sein 1966 geborener Nachkomme Manuel Gregor Herder leitet das Haus nun in sechster Generation. Ein Verlag wie dieser macht es dem Gratulanten nicht leicht. Soll er sich an die ruhmvolle, aber zeitweise politisch umdüsterte Verlagsgeschichte halten? Gerade dieses Unternehmen war ja alles andere als ein Liebkind des NS-Regimes. Es hätte Herder gerne liquidiert. Nun erwies sich die Ausweitungspolitik des Gründer-Enkels Hermann Herder als lebensrettend. Schon er hatte die Niederlassungen in Wien, London, Barcelona, Tokio und Rom gegründet. Das bedeutete internationales Renomme. Herder bekam Nadelstiche zu spüren, aber keinen Dolch zwischen die Rippen.

200 Jahre, 80.000 Bücher Oder wollen wir lieber die erfreulichen aktuellen Zahlen nennen? Oder das Spektrum eines Verlagsprogramms entfalten, das mit über 500 Neuerscheinungen pro Jahr und weiteren 3.000 lieferbaren Titeln von der wissenschaftlichen Literatur, wobei die Theologie eine zentrale Stellung einnimmt, bis zum Jugendbuch und vom Taschenbuch bis zum repräsentativen Bildband reicht? Versuchen wir von jedem etwas.

Ein Rückblick auf die Bücher, die bei Herder erschienen, verbietet sich sowieso. In zwei Jahrhunderten und sechs Verlegergenerationen kam eine ansehnliche Bibliothek zusammen: nicht weniger als 80.000 Bücher! Leider wurde das Verlagsgebäude von einer Fliegerbombe fast völlig zerstört.

Schon der 1774 geborene Gründer, dessen Wunsch es war, "ein gelehrter Buchhändler zu werden", um "der Wissenschaft und dem Leben zu dienen", steuerte sein Unternehmen durch etliche Stromschnellen. Nach der Auflösung des Fürstbistums Konstanz übersiedelte er in die Universitätsstadt Freiburg im Breisgau, wo sich auch seine Nachfolger noch wohl fühlen. Als theologischer Verleger im engen Sinn hatte er sich nie verstanden, eher als Vorkämpfer einer breit gefächerten Bildung mit christlicher Basis. 1815 nahm er mit dem Fürsten Metternich am Feldzug gegen Frankreich teil, und zwar als Direktor der österreichischen Feldbuchdruckerei - was es alles gab! Herders Bilderbibel mit ihren 200 Kupferstichen, seine kartographischen Werke waren anspruchsvolle Projekte. Die Zeichner, Lithographen und Stecher ließ er auf seine Kosten ausbilden.

Was Bartholomä Herder schrittweise verwirklichte, war so tragfähig, dass es kaum einer einschneidenden inhaltlichen Änderung bedurfte. Es gilt im Grunde immer noch. Es scheint also in diesem Haus wirklich kein Problem darzustellen, Tradition und Modernität auf einen Nenner zu bringen. Schauplatz einer nicht unwesentlichen Episode in der Geschichte des Verlagshauses war übrigens Wien. 1945 bestand die Gefahr, die wichtige Wiener Niederlassung zu verlieren, denn bei der Beschlagnahme des "deutschen Eigentums" verstand vor allem die sowjetische Besatzungsmacht keinen Spaß. Herder war deutsches Eigentum. Dass er in Frontstellung zum Regime gestanden hatte, spielte dabei keine Rolle. Der Leiter der Wiener Niederlassung, Albert Beuchert, war Deutscher, besaß aber zum Glück seit Vor-Hitler-Zeiten die österreichische Staatsbürgerschaft. Er konnte die Niederlassung als selbständigen österreichischen Verlag deklarieren, für die Eigentümer erhalten, dabei aber verlegerisch auf beachtliche Weise agieren: Das erste Exemplar von Jungmanns Theologischem Lexikon wurde bereits 1947 Papst Pius XII. überreicht.

Apropos Theologisches Lexikon: Der zehnte Band des von Kardinal Walter Kasper herausgegebenen "Lexikons für Theologie und Kirche" (das Standardwerk auf diesem Gebiet in deutscher Sprache) erschien im März, im Oktober folgt Band Elf mit Nachträgen und Registern. Die 1.000 Autoren der 2.500 Artikel wurden von 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern koordiniert. Die Neuauflage wurde nicht zuletzt dank der Pünktlichkeit, mit der die Bände vorlagen, schnell unverzichtbar. Der Großteil der Beiträge soll nun als "Encyclopedia of Theology and Church" auch in englischer Sprache erscheinen. Die Geschichte des Werks reicht bis 1847 zurück, damals erschien der erste Band des Kirchenlexikons von Wetzer und Welte, das eine neue Ära theologischer Nachschlagewerke einleitete.

Für ein Verlagshaus mit 155 Mitarbeitern, 592 Novitäten im Jubiläumsjahr (davon 142 Taschenbücher) und einem Gesamtumsatz, der im Vorjahr von 81,5 auf 87,5 Millionen D-Mark stieg (ein Plus von über sieben Prozent), sind anspruchsvolle, mehrbändige Projekte dieser Art große Herausforderungen und nicht ohne Risiko. Immerhin hatte der Verlag in den frühen neunziger Jahren eine jener Konsolidierungsphasen zu bestehen, um die kein altes Unternehmen herumkommt.

Longseller Bibel Doch in Freiburg wurde der nächste Brocken bereits in Angriff genommen: Ein neuer theologischer Kommentar zum Alten Testament in 54 Bänden, herausgegeben von Professor Erich Zenger. Ein innovatives Werk nicht nur aufgrund seiner Ausrichtung, sondern auch, was die Herder-notorisch schnelle Aufeinanderfolge der Bände betrifft: Der sechste Band liegt vor, der letzte soll bereits im Jahr 2010 erscheinen. Das ist gerade in diesem Falle auch wichtig, soll dieses konsequent ökumenische Werk, an dem katholische, evangelische und jüdische Autoren gemeinsam arbeiten, doch dem spirituellen Leben neue Impulse geben.

Der Herder Verlag versteht sich - auch darin nicht allzu weit weg von seinem Gründer - als konstruktiv-kritischer Partner der Kirche und somit als etwas, was die Kirche derzeit besonders dringend braucht. Auch wenn sie ihre kritischen Stimmen, wie konstruktiv auch immer, nicht gerade bereitwillig an ihr Herz drückt.

Der größte Bestseller und zugleich Longseller aller Zeiten ist und bleibt die Bibel. Herder verkauft 100.000 Exemplare pro Jahr, was sich mit der Zeit ganz schön summiert. Und trotzdem nur ein Eckerl von einem gigantischen Markt darstellt, wenn das Wort in diesem Zusammenhang gestattet ist. Denn allein 1998 wurden weltweit 585 Millionen biblische Schriften verkauft, religiöse Erbauung aller Art eingeschlossen. Auch hier ist die Tendenz steigend. Der Anteil der Texte des Alten und Neuen Testaments beträgt 20 Millionen, zum Großteil einzelne Evangelien, Psalmenbücher und Auswahlhefte. Was zu denken gibt: In Krisengebieten greifen besonders viele Menschen zur Bibel. Beispiele: Ägypten, Äthiopien, der Kongo, Malawi, Nigeria, aber auch die ideologischen Trümmerstätten Kuba und Russland.

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