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Bartholom Herder und Osterreich

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Als um die Jahreswende 1813/14 die verbündeten Monarchen mit ihrem glänzenden Gefolge in Freiburg einzogen und die kaiserlichösterreichische Staatskanzlei im Graf Kageneckschen Haus ihren Sitz nahm, war der damals im 39. Lebensjahr stehende Buchhändler Bartholomä Herder einer der ersten Besucher, der sich dort einstellte. Er gewann rasch das Vertrauen von Metternichs Privatsekretär Joseph Anton v. Pilat, dem die Redaktion der amtlichen Armeenachrichten oblag, und das des Publizisten Friedrich von Gentz, so daß ihm schon am 27. Dezember 1813 auf Befehl des General-Feldwachtmeisters von Langenau der Auftrag zuteil wurde, die bisher bei Brockhaus in Altenberg und Leipzig erscheinenden „Teutschen Blätter“ fortzusetzen, wozu Herder den nachmals durch seine Weltgeschichte berühmten Freiburger Professor Karl von Rotteck als Herausgeber gewann. Die „Teutschen Blätter“, die vom 6. Jänner bis 30. Juni 1814 bei Herder erschienen, enthielten außer den Kriegs- und politischen Nachrichten einen eigenen Teil patriotischer Aufsätze, die ein würdiges Spiegelbild der letzten großen Epoche dieses denkwürdigen Freiheitskrieges bis zur Rückkehr des Kaisers Franz nach Wien darstellten.

Bartholomä Herder war 1774 in der freien Reichsstadt Rottweil am Neckar geboren und darum von Haus aus schon kaiserlich gesinnt. Die höheren Gymnasialstudien absolvierte er in dem unter Fürstabt Martin Gerbert auf der Höhe seines wissenschaftlichen Ruhmes stehenden, dem Kaiserhaus sehr ergebenen Benediktinerstift St. Blasien im Schwarzwald. (Es verdient festgehalten zu werden, daß Fürstabt Gerbert es war, der die Überreste der neun Habsburger, die im ehemaligen, von der Witwe Albrechts I. am Ort seiner Ermordung gestifteten Frauenklosters Königshofen — nahe der Habsburg — seit der Reformation kirchlich nicht mehr betreut waren, nach St. Blasien überführen ließ und daß die Mönche nach der Aufhebung von St. Blasien _ J806 — die Särpe ihres fürstlichen Hauses auf der Flucht nach Sankt Paul im Lavanttal mitgenommen haben.)

Nach Studien in Dillingen (in der Absicht, ein „gelehrter“ Buchhändler zu werden) und einer Volontärtätigkeit im damaligen Buchhandelszentrum Augsburg, begann Herder erst mit einer Buchhandlung in seiner Vaterstadt Rottweil, um 1801 im Dienste der Reformbestrebungen des Konstanzer Fürstbischofs von Dalberg (des späteren Primas von Deutschland) seinen Verlag als fürstbischöflicher Hofbuchhändler und -buchdrucker in dessen Residenz Meersburg aufzubauen. Das Ende der Fürstbischöfe veranlaßte ihn, 1808 nach Freiburg zu ziehen, wo die Universität einen akademischen Buchhändler suchte.

Pilat scheint den gewandten und vielseitig gebildeten jungen Verleger rasch schätzen gelernt zu haben. Er betraute ihn mit diplomatischen Aufträgen und nahm ihn während der Friedensverhandlungen nach Paris mit.

So wundert es nicht, daß Herder während des Kongresses nach Wien,dem „nun wichtigsten Ort nach Rom auf Erden“, ging, Beziehungen zum Kreis um Klemens Maria Hofbauer und den literarischen Zirkeln bei Pilat und der Dichterin Karoline Pichler aufnahm. Wie er an Rotteck schrieb, plante er, sechs Zeitschriften zu gründen, „um dem Publikum für weitere Unternehmungen den Puls zu fühlen“; für eine Frauenzeitschrift versprachen ihm Madame Pichler und andere gelehrte Frauen viele und gute Aufsätze zu liefern. Ja, Herder ging ernstlich mit dem Gedanken um, sich ganz in Wien niederzulassen und schloß im April 1815 schon einen Gesellschaftsvertrag mit dem „privilegierten“ Buchhändler Rudolf Gräffer ab — da machte die Landung Napoleons in Frankreich alle Friedenspläne zunichte, Europa verwandelt sich von neuem in ein Heerlager, und wieder steht Herder der österreichischen Regierung zu Diensten: Am 30. Mai 1815 unterzeichnet Metternich die Bestallung Herders als Direktor der K.K. Feldbuchdruckerei. Er hat selbst für die Errichtung einer fahrbaren Druckerei mit deutschen und französischen Lettern zu sorgen und das Druckereipersonal zu gewinnen — die Armee stellt ihm erst vier, dann sechs Pferde mit drei Trainknechten.

Aber Herder will nicht nur Drucker sein; sogleich legt er auch den Plan einer „Feldzeitung“ vor und erhält die Genehmigung dafür: es war die einzige deutsche Feldzeitung dieses Feldzuges von 1815. Herder druckt, ständig unterwegs, die Armeeberichte, darunter den Sieg bei Waterloo, amtliche Drucksachen, Proklamationen an die französische Bevölkerung und trifft kurz nach der Übergabe in Paris ein. Der Feldzug ist zu Ende!

Bis Anfang September blieb die Herdersche Felddruckerei noch in Paris, wo Herder auch noch die „Teutsche Feldzeitung aus Paris“ druckte, dann die Rückfahrt nach Wien antrat.

Der Plan einer Niederlassung oder gar Übersiedlung nach Wien wurde nicht ausgeführt. Aber die Tätigkeit in Diensten Österreichs, die zweimaligen Aufenthalte in den Weltstädten Paris und Wien waren reich an Anregungen für den jungen Verleger. Vor allem entstand damals der Plan zu seinem ausgedehnten Kunstinstitut und den großen Kartenunternehmungen, die dem Verlag Herder schon in der ersten Generation europäische Bedeutung verschafften und Bartholomä Herder Auszeichnungen des Kaisers von Österreich und anderer Fürsten eintrugen.

Unter seinem Söhn Benjamin (1818— 1888) erfolgte dann 1886 doch noch die Gründung der Buchhandlung Herder & Co. in der Wollzeile, die mit der Zeit einen eigenen österreichischen Verlagszweig entwickelte.

Und Bartholomä Herders Enkel Hermann Herder (1864 — 1937) war mit einer Österreicherin verheiratet: Charlotte Willmann, Tochter des bekannten Wiener und Prager Philosophen und Pädagogen Hofrat Otto Willmann, die — in Wien geboren — bis in ihr hohes Alter (f 1959) Geist und Charme des österreichischen Menschen in der Familie verkörperte.

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