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Die Dynastie Bemadotte

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Es gehört tu den Rätseln der Weltgeschichte, wie die Familie Bemadotte das Herrscherhaus Schwedens geworden ist. Rätselvoll vor allem, wenn man die Macht der eifersüchtigen damaligen schwedischen Aristokraten und die Empfindlichkeit bedenkt, die der Norden gegen eine fremde und bürgerliche Dynastie haben mußte. Carl Johann, der erste Bemadotte, hieß Jean Baptist, kam aus der kleinen Stadt Pau in Südfrankreich und war, obzwar sich seine Familie dort schon 1615 nachweisen läßt, kein Adeliger. Seine Frau D siree war die Tochter eines Seidenfab.rikanten namens Clary aus Marseille. Beide sind also Südfranzosen bürgerlicher Abstammung und außerdem — nach ihrer Ankunft in Schweden nicht zu bewegen, die Sprache ihrer neuen Heimat ordentlich zu erlernen. Nach kleinen Versuchen gibt es Carl Johann bald auf und gerät später nur in Aufregung, wenn ein dänischer Offizier sein Französisch nicht versteht. Wie war es also möglich, den Thron dieses Landes mit Erfolg zu behaupten, da es sich ja nicht um einen Usurpator, sondern um einen frei und legitim vom Volk Gewählten handelte?

Das Mysterium fängt damit an, daß noch im Mai 1810 weder die politisch entsheidenden Kreise Schwedens noch Carl Johann selbst auch nur eine Ahnung davon hatten, daß er drei Monate später „Kronprinz” dieses Landes sein sollte: eine Würde, die die künftige Erbfolge bedingte, wenn der alternde König Karl XIII. sterben sollte. Den unmittelbaren Anlaß dazu gab der neunundzwanzig jährige Leutnant von Upplands Regiment, Karl Otto Mörner, der auf eigene Faust dem Marshall Bemadotte den schwedischen Thron anbot. Er hatte die unerschütterliche Gewißheit, daß nur eine „starke Hand” die zerrütteten Verhältnisse seines Vaterlandes retten könnte: nah der Ver- jagung Gustaf Adolfs IV. und dem Tod des Kronprinzen Karl August glaubte er, allein in einem der französishen Marshälle den Mann zu finden, der das Land steuern und eine drohende Revolution abwenden könnte. Man befand sich nicht allzuweit von der Jahreszahl 1789. Auch wollte man mit Hilfe eines tüchtigen Generals Revanhe an Rußland nehmen, dem man Finnland hatte abtreten müssen.

Mörner läßt sich durh seine guten Beziehungen, die er zum Hofe hat, einen Posten als Kurier der Regierung geben und reiste am 20. Juni 1810 in dieser Eigenschaft nah Paris. Durh den schwedischen Generalkonsul erhält er don am 25. Juni Zutritt zum Marshall Bemadotte, der von Napoleon nah dem Siege bei Austerlitz zum Fürsten von Pontecorvo erhoben worden war. Bemadotte verhält sich anfangs reserviert. Aber bald erklärt er sih bereit für den shwedisdien Thron und auch willig, seine katholische Religion mit der des Landes zu vertauschen: er pflegt Religionsfragen mit der Erklärung „C’est egal” zu erledigen. Moęner gilt als „Abgesandter” der „Französishen Partei”, und es glückt ihm auch, bei dem damals in Paris anwesenden General Wrede Unterstützung zu finden. Das Ganze ist eine Köpenikiade, ohne daß von der Sähe der eigentlihe Bevollmächtigte in Paris, Graf Gustaf Lagerbjelke, eine Ahnung hat.

Als Leutnant Mörner am 10. Juli in Schweden ankommt — mit dem Namen des neuen Thronkandidaten, den er als durhaus von Napoleon gewünscht darstellt —, schlägt seine Nachricht „wie eine Bombe” ein. „Junge, du solltest sitzen, wo weder Sonne noch Mond auf dih sheinen”, briht der Staatsrat von Essen aus, als er davon erfährt. Aber der Same ist gelegt und sein Aufshießen durh keine Mäht der Welt mehr zu verhindern. Es herrshen freilich noch größte Verwirrung und Unshlüssigkeit; da verschiedene andere Prätendenten auf der Liste stehen: unter anderem der Herzog von Augustenburg, der auh die Gunst Napoleons besitzen soll.

Der Reihstag, auf dem die so wichtige Frage zur Entscheidung gelangt, ist das andere Mysterium. Er findet diesmal nicht in Stockholm, sondern in örebro statt, und dies deshalb, damit man sicher sei, im Umkreis von hundert Kilometern keinen — Ausländer anzutreffen: man will ganz unabhängig sein, die Seele des Landes allein soll sprehen. Der Reihstag schwankt aber von einem Vorschlag zum andern, unzählige Interessen kreuzen einander. Obzwar der Vorschlag Bemadotte anfangs viel Zustimmung findet, will man plötzlich nichts mehr von dem französishen Marshall wissen, der in einer dem Lande verpönten Religion auf- gewachsen ist und dessen Sprache nicht spriht: das Ganze droht im Sand zu verlaufen. Da erscheint als deus ex mahina plötzlich ein Kurier aus Paris, der die näheren Vorshläge und Bedingungen Berna- dottes bekanntgibt: in der Hauptsache ökonomische Verlockungen mit dem besonderen Versprechen, den Handel zu fördern. Das Merkwürdigste ist der Paß dieses Kuriers: er ist niht von der gewöhnlihen Polizeibehörde, sondern vom Ministerium des Äußeren ausgestellt und läßt also erkennen, daß Napoleon selbst dahintersteht. Dies gibt den Ausschlag für den verzweifelt schwankenden Reidistag: am 21. August 1810 wird Marshall Bemadotte zum „Kronprinzen” Shwedens gewählt. „Zufälliger ist wohll niemals über eine Krone verfügt worden”, meldet eine repräsentative schwedische Geschichte.

Immerhin ist man damals so begeistert über die endliche Entscheidung, daß man sih in den verschiedenen Klubs der vier Stände stürmischen Trinkgelagen hingibt. An einer Stelle, wo man sih im Umkreis von hundert Kilometer siher vor jedem fremdländishen Einfluß glaubte, hatte man einen Fremden zum künftigen König gewählt.

„Reise also! Mögen unsere Schicksale in Erfüllung gehen!” Das waren die Worte, mit denen Napoleon von seinem einstigen Marshall Abschied nahm. Man weiß, daß sih der Kaiser zuerst dem Plan entschieden widersetzt und erst nah bestimmten Überlegungen eingewilligt hatte. Er liebte Berna- dotte niht. Seit den ersten gemeinsamen Kriegsjahren in Italien und erst recht nah dem Staatsstreich des „Fructidor”, da Bonaparte in Bemadotte seinen heimlichen Rivalen erkannte, war Napoleon bestrebt, ihn zu entfernen. Seit der Kaiserkrönung war das Mißtrauen nur gewahsen. So wurde Bemadotte mehrere Male mit „Aufträgen” für die Kolonien betraut: man entledigte sih auf diese Weise unliebsamer Gegner, die durh das gelbe Fidber oder andere Gefahren dort umkamen. Wenn es niemals zu diesen Deportierungen kam, so hatte es Bemadotte ausschließlich der Fürsprahe seiner Gattin zu danken. Desirde war niht nur die Schwägerin Napoleons, sondern auh dessen frühere Braut, die vor Josephine Beauhamais hatte weihen müssen. Um Desirfes willen, die der Kaiser seine „kleine Eugenie” nannte, entging Bemadotte der Verschickung nah Luisiana, ein anderesmal nah St. Domingo. D£sir£e stellte sih so verzweifelt, Paris verlassen zu müssen, daß Napoleon, der seine Entscheidung niht mehr zurückziehen wollte, auf den Gedanken kam, Luisiana — an die Vereinigten Staaten zu verkaufen. So wenigstens hatte er der erstaunten D£siree die Änderung seines Entschlusses erklärt. Aber „er log so oft”, sagte die spätere Königin,’ wenn sie auf diese Geshihte zu sprehen kam, „daß man eigentlich nie wagte, ihm zu glauben. Und es ist sehr gut möglih, daß er all dies nur erfand, um sich in ein vorteilhaftes Liht zu stellen und mih zu weiterer Dankbarkeit zu verpflichten”.

Wenn Napoleon endlich seine Zustimmung zum schwedischen Thron Bemadottes gab, so war es weniger aus Freundshaft als deshalb, weil er Shweden auh als eine Art — Deportation ansah: Gustav III. war 1792 ermordet worden, seinen Nahfolger, Gustaf Adolf IV., hatte man 1809 verjagt, von dem Kronprinzen Karl August, dem künftigen Thronerben, hieß es, daß die „Gustavi- aner” ibn vergiftet hätten. Was konnte Bemadotte also in diesem wilden „Land der Wölfe” anderes erwarten als Verderben?

Als Bemadotte unter dem Namen Carl XIV. Johann am 1. Jänner 1818 zum König von Shweden gekrönt wurde, war die Dynastie durh seine Persönlichkeit und den Erfolg der glücklichen Erwerbung Norwegens gesichert. Man verehrte damals allgemein den fremden Soldatenkönig, und das feierliche Auftreten des ehemaligen Revolutionsgenerals mit dem blauen Band und der breiten Kette des Seraphinerordens verlieh allen Staatsakten Gewicht.

Aber es gab vieles, was den neuen Thron zu unterhöhlen drohte. Dfsirfe lebte niht in Schweden. Sie war wohl als „Kronprinzessin” 1811 ins Land gekommen, hatte es aber shon sechs Monate später verlassen, da sie es hier niht aushielt, und war nah Paris zurückgekehrt. In der Rue d’Anjou führte sie ein zurückgezogenes, immerhin eigenes Leben. Aber durh diese Fahnenflucht hatte die Beliebtheit des Hauses gelitten.

Es kam hinzu, daß der Prinz von Vasa, Gustav Adolfs IV. Sohn, der im Ausland lebte, niemals auf den schwedischen Thron verzichtet hatte. Seine Anhänger, die Gustavi- aner, waren am Werke. Vor allem warf man der neuen Dynastie vor, daß sie „schlechtes Blut” habe und drohte in anonymen Briefen, als 1823 die Prinzessin Josephine von Leuhtenbgrg nah Stockholm kam, um Carl Johanns Sohn Oskar zu heiraten, sie und die nun mitfolgende Königin Desirfe zu ermorden.

In Wirklichkeit wurde der bürgerlihen Dynastie Bemadotte durh Josephine das erste „blaue Blut” zugeführt: sie entstammte mütterlicherseits dem Hause Wictelsbah, und da dieses durh einen sehr entfernten Ahn einen gemeinsamen Stammvater mit den vertriebenen Vasas hatte, war dadurch eine neue Legitimität der Bemadotte erwiesen. Carl Johann ließ auh unmittelbar nah der Ankunft der sechzehnjährigen Schwiegertochter einen ausführlichen Stammbaum drohen, um das Volk davon zu überzeugen. Daß Josephine freilich eine Restauration des schwedischen Katholizismus nah 300jähriger Verbannung ins Leben rief, kam der Dynastie niht überall zugute.

Die Prinzessin, die Großmutter des heute regierenden Herrschers, ist die bis jetzt bedeutendste weibliche Gestalt der Familie. Mit ihrer katholischen Treue und unerschütterlichen Haltung bewirkte sie gewisse Feindshaften, die die kleine Gemeinde ihrer Glaubensbrüder oft bedenklich erschütterten. Im Verlauf der Jahre hatte sih aber Shweden an eben diese Haltung gewöhnt und brachte seiner Königin schließlich eine Verehrung entgegen wie keiner anderen vorher. Sie konnte beim 50jährigen Jubiläum ihrer Ankunft an eine Freundin schreiben: „Enfin her amie, j’ai vu avec fmotion comment k protestante sužde a- si unaniment fetf la reine catholique, j’eu rends grace et gloire a Dieu…” Von ihr stammen die ersten Kirhen und überhaupt der neue Gnfad des katholischen Lebens in Shweden und Norwegen.

Die Wahl dieser Schwiegertochter — König Carl Johann XIV. hatte besonderen Anteil daran genommen — war einer der glücklichen Entschlüsse dieses Herrschers. In der liebenswürdigen Prinzessin, die bei ihrer Ankunft alle durh ihr gutes Schwedisch überraschte, vereinigte sih plötzlich das ganze Volk, und alle Shwierigkeiten schienen überwunden. Der König freilih verlor mehr und mehr an Beliebtheit und fand sih isoliert. Seine diktatorische, etwas theatrali-sehe Art war dem schwedischen National- charakter fremd, und die durch die Opposition des Bernadottefeindes Cmsenstolpe ausbrechenden „Krawalle” des Jahres 1838 drohten die Dynastie zu erschüttern. Als Carl Johann 1844 starb, schien mit dem Nachfolger Oskar I. eine Überwindung der Spannungen gegeben: er war der liberale König, den die Zeit forderte. Seine Gattin Josephine hatte dem Haus Bernadotte nicht bloß Legitimität (im napoleonischen Sinn), sondern auch in fünf Kindern den Bestand für die Zukunft gesichert. Ihr ältester Sohn bestieg als Karl XV. den Thron, und nach seinem frühen Tod folgte ihm der jüngere Bruder Oskar II., der Vater des jetzt regierenden Königs Gnstif V, dessen 90. Geburtstag das schwedische Volk am 16. Juni 1948 mit großen Festlichkeiten begeht. Es ist merkwürdig, wie sich in diesem letzten, sehr volkstümlichen Herrscher die Tradition des Hauses ungebrochen bewahrte: die Königin Ddsirde, Napoleons Braut, hat ihn noch übet das silberne Taufbecken von Stockholms Storkyrka gehalten.

Stark ist der künstlerische Einschlag der Dynastie: er beginnt freilich mit der zweiten Generation. Oskar I. betätigte sich als Musiker und Komponist; man hat gerade in jüngster Zeit versucht, seine Produktionen wieder ans Licht zu bringen. Am stärksten brach die musikalische Begabung bei dem jungen und schönen Prinzen Gustav hervor, der romantischen Gestalt des Königshauses. Er starb, 25 Jahre alt, 1852, aber seine Gesänge leben als Volkslieder weiter, besonders bei den Studenten. Auch die Malerei fand ihre ansehnlichen Vertreter in der Dynastie. Oskar I. und besonders Karl XV. überragen als Landschaftsmaier den Durchschnitt: der im August vorigen Jahres verstorbene Prinz Eugen ist ein Maler von bedeutendem Format, der aus der schwedischen Kunstgeschichte nicht mehr wegzudenken ist. Oskar II. schrieb Lyrik, doch die stärkste literarische Begabung ist wohl Prinz Wilhelm, der zu den geschätzten Autoren und Filmmännern des heutigen Schweden gehört.

Es sind gewichtige Beiträge zur Kultur, von einer Dynastie durch ihre persönlichen Begabungen und Verdienste erstellt. Heute ist sie sosehr mit tausend Fäden mit der geistigen Welt Schwedens verknüpft, daß sie davon überhaupt nicht mehr zu trennen ist. 130 Jahre nadi ihrem Eintritt in die Historie des Landes stellen die Bernadotte das einzige Herrscherhaus dar, das aus dem Kreise Napoleons kam und ihn überlebt hat.

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