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Der fremde Prinz ‘

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Albert und Victoria. Das Leben des Prinzregenten. Von Francoise de Bernard y. Uebersetzt durch Albert von Sterrbach. Paul-Neff-Verlag. Berlin, Wien und Stuttgart. 289 Seiten

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Albert und Victoria. Das Leben des Prinzregenten. Von Francoise de Bernard y. Uebersetzt durch Albert von Sterrbach. Paul-Neff-Verlag. Berlin, Wien und Stuttgart. 289 Seiten

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Das Leben des Prinzen Albert von Sachsen- Coburg an der Seite der Königin Victoria ist mehrmals von englischer und deutscher Seite, jeweils nicht hinlänglich frei von nationalem Empfinden der Autoren geschildert worden. Franęoise de Bernardy hat sich durch derlei Gefühle nicht beirren lassen und die Verantwortlichen für die Differenzen bloßgestellt, die sich aus dem Gegensätzlichen zwischen den Anschauungen und Vorurteilen der Engländer und dem konzilianten Charakter des deutschen Prinzen ergaben, dem nicht wie seinen niemals provozierten Gegnern Parlament und Presse zur Verfügung standen.

Prinz Albert, den der für Victoria wie ein Vater sorgende Oheim Leopold, König der Belgier und Bruder ihrer Mutter, ihr als Gatten zugedacht hatte, lernte die erst 17jährige, drei Monate ältere Thronfolgerin im Mai 1836 kennen, als er mit seinem Bruder Ernst in London zu Gast war. „Meine Vettern sind reizende Leute“, berichtete Victoria nach Brüssel. „Beide sind sehr liebenswürdig, sehr freundlich und gut und außerordentlich lustig. .. Albert ist außerordentlich hübsch.“ Doch an eine Heirat war vorläufig nicht zu denken, denn der 17jährige Prinz mußte vor allem seine Studien in Bonn beenden, bevor er den sein Schicksal entscheidenden Besuch in England wiederholen konnte. Inzwischen hatte Victoria nach dem Hinscheiden Wilhelms IV. am 20. Juni 1837 den Thron bestiegen. Doch erst am 15. Oktober 1839 verlobte sie sich mit ihrem „heißgeliebten Albert“, da sie „viel zu sehr von den Sorgen und den Freuden ihrer neuen Stellung beansprucht und viel zu empfänglich für die ihr von aller Welt erwiesenen Huldigungen gewesen war, als daß sie sofort zu einer formellen Zusage bereit gewesen wäre“. Als aber ihre hochgradige Nervosität den Ministern wegen einiger Irrsinnsfälle in der königlichen Familie Sorgen zu bereiten begann, empfahl ihr der Ministerpräsident Melbourne, dem Zug ihres Herzens zu folgen.

Der Tradition entsprechend gab die Königin ihre Verlobung dem Parlament in einer Sitzung bekannt. „Ich las meine kurze Botschaft vor. Ich fühlte, wie meine Hände zitterten, aber ich beging kein Versehen. Ich fühlte mich froh und dankbar, als es vorüber war... das Ganze hatte kaum zwei oder drei Minuten gedauert.“ Nun handelte es sich darum, im Einvernehmen mit dem Parlament die Rang- und Titelfrage Alberts von Coburg zu regeln und die Höhe seiner Apanage durch die beiden Häuser festsetzen zu lassen, Ąm 22. Dezember kam ės wegen dieser Fragen zwischen der Königin und Melbourne zu einer erregten Diskussion: „Die Stellung Alberts würde zu schwierig sein", erklärte sie kategorisch, „wenn er nicht den Rang vor den königlichen Prinzen besäße; er müsse König werden!“ — „Nur ein vom Parlament beschlossenes Gesetz kann ihm diesen Titel verleihen. Aber um Gottes willen, Madame, sprechen Sie nicht davon, denn die Leute, welche Könige machen, können sie auch stürzen." Resigniert trug Victoria nach dieser Diskussion in ihr Tagebuch ein: „Ich kann Albert nicht einmal zum Vormund meiner Kinder bestellen, denn falls mein Sohn bei meinem Ableben großjährig ist, würde er als König der Vormund seiner Geschwister sein.“

Am 27. Jänner trat nun Melbourne an das Unterhaus mit dem Antrag heran, die Apanage Alberts mit 50.000 Pfund jährlich festzusetzen. Der Gegenantrag, sie in gleicher Höhe wie die des Herzogs von Sussex und Cambridge (21.000 Pfund) zu bewilligen, wurde abgelehnt, dagegen zwei Tage später der von der Opposition unterstützte Antrag, die Apanage auf 30.000 Pfund zu reduzieren, genehmigt, wobei der Antragsteller, Oberst Sibthorp, sich die recht deplacierte Bemerkung erlaubte, das Gesamteinkommen der Familie Coburg betrage nicht soviel als die Apanage.

Mehr als über die Reduzierung der Apanage und die ungehörigen Unterhausdebatten zeigte sich die Königin wegen des Feilschens der Tories äußerst aufgebracht. Die Regierung hatte wohl in die Einbürgerungsurkunde Alberts eine Klausel aufgenommen, welche sie berechtigte, den Rang ihres Gemahls zu bestimmen. Da aber Victorias weitgehende Wünsche bekannt geworden waren, opponierten anfänglich sogar die zur königlichen Familie gehörenden Herzoge von Sussex und Cambridge. Weit folgenschwerer wurde nunmehr das Eingreifen Wellingtons, der die Tories dazu vermochte, die abermalige Vertagung der Debatte durchzusetzen. Angesichts dieser ausweglosen Lage mußte die Regierung sich entschließen, die Behandlung der Vorlage zu verschieben. Dieser Affront erzürnte die Königin dermaßen, daß sie nun von der Regierung forderte, sich mit ihr zu identifizieren, gegebenenfalls zu demissionieren. Erst als Melbourne ihr vorhielt, die Einbürgerung Alberts müsse vor der Hochzeit vollzogen sein, da die Königin keinen Ausländer ehelichen dürfe, willigte sie darin ein, daß die Rangfrage in Schwebe bleibe. Am 5. März setzte sie dann durch ein Patent fest, daß ihr Gatte, außer im Staatsrat und im Parlament, ihr unmittelbar zu folgen habe. Vierzehn Jahre später ließ sich Albert über die englischen Politiker, diesmal überlegen spöttisch, aus: „Peel hat mir mein Einkommen beschnitten, Wellington hat mir den Rang verweigert, die königliche Familie hat gegen den fremden Ueberläufer gezetert, die Whigs waren nicht einmal geneigt, mir soviel Platz anzuweisen, daß ich darauf stehen konnte, die Verfassung kannte keinen Gatten der Königin.“

Allmählich ließen sich die Engländer herbei, zu konstatieren, daß Albert „ein hochgewachsener, schöner Mann sei; aber sie hatten an ihm eine steife Haltung und eine gewisse Dünkelhaftigkeit auszusetzen", ein Urteil, das von Unvoreingenommenen keineswegs geteilt wurde. Lady William Russel versicherte, der Charakter des Prinzen sei von einer Art, die an deutschen Universitäten hoch geachtet wird, an den unseren etwas lächerlich wirken würde Lady Russel gehörte wohl der gleichen Clique wie Lord Greville an, der mit sichtlicher Befriedigung feststellte: „Man hat den Prinzen für einen schlechten Reiter gehalten . . . daher wird die Tatsache, daß er in Leicestershire gut hinter den Hunden geritten ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit beträchtlich heben."

Für alle Kränkungen, die Albert in England widerfuhren, wurde er durch die abgöttische Liebe, die ihm Victoria bald entgegengebracht hat, reichlichst entschädigt. Kurt Jagow nennt ihn den unentbehrlichen Ratgeber, gleichsam ihren Sekretär. Während der Krisen von 1845 bis 1846 war er bereits der unbestrittene Mittelpunkt der Verhandlungen. In

Volks- und Mittelstandskreisen wurde bekannt, wie einfach der Hof im Alltag lebe, die Ehe eine musterhafte sei. Doch immer wieder wurde sein Tun und Lassen bekrittelt, da man ihm, dem Ausländer, keine prominente Stelle eingeräumt sehen wollte. Adelige Opponenten scheuten sich nicht, das Familienleben ihrer Königin als deutsch-spießbürgerlich lächerlich zu machen. Als Albert am 14. Dezember 1861 im Alter von 42 Jahren einem typhösen Fieber erlag, schrieb Victoria ihrem Oheim Leopold: „Mein Leben als glücklich ist beendet, Ich will nur beten, um in Ewigkeit bei ihm zu sein.“ Vierzig Jahre hindurch hat Königin Victoria, Von aller Welt als pietätvolle Witwe und pflichtgetreue Souveränin verehrt, die ihr auferlegte- Mission pünktlich erfüllt, bis die von ihr ersehnte Stunde schlug. „Mit Prinz Albert haben wir einen Souverän begraben“, klagte Disraeli, „dieser deutsche Prinz hat England 21 Jahre mit einer Klugheit und Energie regiert, wie sie keiner unserer Könige jemals gezeigt hat.“ Lytton Strachey schrieb vorwurfsvoll, nachdem die letzten Zeitgenossen des Prinzen dahingegangen waren: „Die englische Verfassung ließ den abgestorbenen Ast ohne merkliche Erschütterung fallen und setzte ihr geheimnisvolles Leben fort, als hätte er niemals existiert.“ Ist man nicht, versucht, sich zu fragen, ob es so gekommen ist, weil der Prinz ein Ausländer war?

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