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Das Ende einer Affare

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Wenn in alten Zeiten zwei Königskinder, die einander liebten, nicht „konnten zusammenkommen“, weil, wie es im Liede heißt, das Wasser viel zu tief war, stand das einsame Mägdelein weinend am Turmfenster und blickte ratlos in die Ferne, wo ihr Ritter auf immerdar entschwand. Sie zündete wohl auch einmal drei Kerzen an, dem Geliebten heranzuleuchten, ein falsches Nönnchen aber löschte die Lichter aus, der Jüngling ertrank jämmerlichst, und die Königstochter sprang, um die Tragödie abzurunden, ihrem Prinzen ins Wasser nach.

Die Zeit ging indes auch an Königskindern nicht spurlos vorbei, auch sie haben das Mittelalter längst überwunden. Wo heutzutage eine verliebte Prinzessin einen trennenden Schloßgraben vorfindet, springt sie nicht etwa hinein, um sich das liebe Leben zu nehmen, sondern schwimmt vielmehr entschlossen ans andere Ufer und beginnt ein neues Leben.

Kein Wasser war so tief, daß es die niederländische Prinzessin Irene davon abgehalten hätte, dem Prinzen ihrer Wahl die Treue zu halten. Am 29. April wurden in der römischen Basilika Santa Maria Maggiore Prinz Hugo Carlos de Bourbon-Parma und die Prinzessin Irene von Oranien Nassau durch Kardinal Giobbe, den früheren päpstlichen Nuntius im Haag, in die Ehe verbunden.

Daß auch das Leben moderner Königskinder nicht immer auf Rosen geht, hat die Vorgeschichte dieser Ehe zur Genüge bewiesen. Eine Unmenge von Schwierigkeiten und Widerständen mußte vor allem die Prinzessin Irene überwinden, bevor sie ihr Ziel erreichte. Schon die Konversion der Oranierin war eine delikate Angelegenheit, die das zarte Pflänzlein der Ökumene wie ein Reif in erster Frühlingsnacht bedrohte. Mißtrauen bei den Protestanten, zurückhaltende, vorsichtige, fast verschämte und entschuldigende Er-

Von den Protestanten durfte die „abtrünnige“ Königstochter keine Freundschaft erwarten, die Sozialisten standen dem spanischen Thronprätendenten aus begreiflichen Gründen ablehnend gegenüber, die Regierung konnte der Prinzessin ihren „Ungehorsam“ nicht verzeihen, für die Katholiken aber wogen ökumenische und parteipolitische Gründe (mit Rücksicht auf die Koalitionsregierung) im Augenblick schwerer als die Sympathien für die konvertierte Prinzessin. So mußte sich Irene von allen verlassen und in ihrer Verehrung vor dem künftigen Gemahl verletzt fühlen. Sie wandte sich ab, kehrte ihrem Land den Rücken. läuterungen von katholischer Seite. Leidenschaften, die man für unzeitgemäß gehalten hatte, entzündeten sich an dem Ereignis aufs neue. Fragen, wie die, ob eine Katholikin Königin der Niederlande sein könne, wurden rücksichtslos erörtert und trübten die Atmosphäre. Als dann Irenes Verlobung mit einem carlisti-schen Thronprätendenten bekannt wurde, traten Parteipolitiker und streng orthodoxe Protestanten un-verweilt auf den Plan, sekundiert VON Presse, Rundfunk und Fernsehen.

Da der Versuch, die Verlobung in letzter Stunde rückgängig zu machen, an der Standhaftigkeit der Prinzessin scheiterte, wurden nunmehr jedes Wort und jeder Schritt der Verlobten mit negativem Kommentar versehen. Der spanische Prinz mußte einiges über sich ergehen lassen. Das Volk, das bislang von der Existenz der Carlisten in Spanien kaum etwas wußte, erfuhr nun, daß es sich um eine höchst gefährliche extremistische Bewegung handle, ein Summum von Verworfenheit, wie von Spanien nicht anders zu erwarten sei. Don Carlos wurde abwechselnd als ein romantischer Schwärmer don-quichotti-scher Prägung und als raffinierter Intrigant und Schwindler dargestellt. Obgleich Irene, um Mißverständnissen vorzubeugen, die staatsrechtlichen Bande mit dem Fürstenhaus und der Regierung von vornherein und auf eigene Faust gelöst hatte, indem sie bei der Regierung nicht um die Heiratsbewilligung ansuchte und somit auf alle Ansprüche auf den Thron freiwillig verzichtete, versteifte sich die Regierung hartnäckig auf ihre angebliche grundgesetzliche Verantwortung, die sie, hieß es, kaum zu tragen vermöchte, und gebürdete sich, als sei die Monarchie, ja der Staat selbst unmittelbar bedroht. Man trieb es so weit, daß man der Königin und der Kronprinzessin Beatrix das Reisen im gleichen Flugzeug untersagte, um im äußersten Ernstfall nicht doch noch vor greuliche Konsequenzen gestellt zu werden.

Daß sie dabei in verständlicher, wenn auch kaum verzeihlicher Erregung ihren prinzlichen Anstands-pflichten nicht immer gerecht wurde und die schuldige Pietät gegen ihre Eltern einmal vergaß und dabei Fehler machte, ist gewiß bedauerlich. Man glaube aber nicht, daß sie leichten Herzens gehandelt hat. Wer hier gerecht urteilen wollte, müßte den Verlauf der Verhandlungen und Abmachungen sowohl der mit der Regierung als der im intimen Familienkreise, deren Ergebnisse nicht an die Öffentlichkeit traten, genau kennen und müßte außerdem um die geheimsten Beweggründe und Herzensregungen wissen. Eines steht jedenfalls fest: Ernste Kontroversen bestehen lediglich zwischen der niederländischen Regierung und den Jungvermählten, keineswegs zwischen diesen und der königlichen Familie. Das gute Einvernehmen im Hause Oranien wurde von den Ereignissen kaum betroffen. Die Prinzessin verlor in den schwersten Tagen die Verbindung mit ihren königlichen Eltern nicht, wenn die Umstände auch nur den Kontakt mit Ferngesprächen zuließen.

Das niederländische Volk aber, das von Politik nur wenig, von Liebe sehr viel versteht, vermochte nicht zu fassen, wieso aus der anfänglichen Romanze über Nacht eine leidige „Affäre“ wurde. Man verstand übrigens auch diesen Dickschädel von einem Prinzen nicht. Es kam vielen spanisch vor, daß der eigenwillige Carlos das daunenweiche Nest und vieles mehr, das Holland ihm von Herzen gerne bot, wenn er nur „vernünftig“ sein wollte, verschmähte, um als ein anderer Don Quichotte fragwürdigen und unerreichbaren Zielen nachzujagen. Dieser hätte darauf wohl mit den Worten geantwortet, mit denen der Adler die klugen Ansichten aus der Taubenperspektive abtat: „Du redest wie eine Taube“. Ein nüchterner, geschäftstüchtiger Holländer und ein Sproß aus altem spanischem Adelsgeschlecht leben nun einmal in grundverschiedenen Welten. Für die Affäre Irene hat der Mann auf der Straße wenig übrig, und die Wichtigtuerei mit staatsrechtlichen Fragen ist ihm zuwider. Vom Fernsehen befragt, meinte er lakonisch: „Das Mädel ist alt und klug genug, man sollte sie in Ruhe lassen.“

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