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Die Entrechtung der spanischen Frau

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Irh vergangenen Jähre ereignete sich irt Tärrägona ein tragischer Vorfall. Eine Därtie war im Begriffs rirt Taki zü besteigens als Sich ihr ein Herr in Begleitung eines Polizisten datierte. Der Hehr war ihr Gättfe, den sie verlassen hätte; der Polizist begleitete ihrt als Vertreter der öffentlichen Ordnung, die eine Ehefrau, wenn sje das eheliche Heim böswillig verläßt, „mariu militari“ wieder an die Seite ihres Gatten zü „reiHtegrietert“ pflegt.

Der Polizist bfefähl der Därtie, vör dėrii Kbmrnissarlät Zu efScheirieri. Alte drei bė-

stiegen das Auto. Der Polizist setzte sich neben den Chaüffeür, der Herr heben seine Gättift. Hundeft Meter Vor dem Kommissariat stieß et iht eitlen Dolch ihS Herz. Wenige Minuten darauf War sie tot.

In der Verhandlung schilderten die Leumundszeugen deh Mörder als einen Mahtt von untadeliger Ritterlichkeit und makellosem Lebenswandel. Die Verteidigung nannte die Ermordete die „Initiatorin des Angriffs“, den der Angeklagte „zurückwies“. Der Staatsanwalt beantragte 15 Jähre Gefängnis und eine Geldentschädigung än die Erben der Ermordeten. Das Urteil steht noch aus.

Fünfzehn Jahre für Gattenmord sind in. einem Lahde, in dem auf Mord die Todesstrafe steht; recht wenig. Das Urteil wird mit aller Wahrscheinlichkeit und ih Anbetracht des ausgezeichneten Leumundes des Angeklagten . weit unter dem Antrag des Staatsanwaltes bleiben.

„Mehr als ein Gattenmörder lebt urtter uns, der den Tod seines Nächsten mit einer einfachen Verbannurtg an einen von Reisebüros empfohlenen Luftkurort sühnte“, klagt Dr. Mercedes Formica an, eine spanische Rechtsanwältin, die Anfang November mit einem aufsehenerregenden Artikel in „ABC“, der seriösesten uhd angesehensten Tageszeitung Madrids, die Diskussion über die „juristische Ihferiörität der spanischen Ehefrau“ Ins Rollen brachte.

Nicht diese Diskussion, sondern der „Cödigo Civil“, das Bürgerliche Gesetzbuch Spaniens, ist in diesen zwei Monaten Gegenstand der heftigsten nationalen Erregung nach dem Bürgerkrieg geworden; sie droht zum internationalen Skandal zu werden; dehn begreiflicherweise hat die Oeffentlichkeit der Länder westlicher Zivilisation mit wahrer Verblüffung jetzt von den Bestimmungen dieses Gesetzbuches Kenntnis erhalten, das die Fräuen eines europäischen Staates in völlig unzeitgemäßer juridischer Versklavung hält. Die Verblüffung in Spanien war nicht minder, denn es ist erklärlich, daß in einem Land ohne Skändalpresse die Vorgänge in den Gerichtssälen für die breite Oeffentlichkeit so gut wie unbekannt sind.

Dr. Mercedes Formica hatte behauptet, der „Cödigo Civil“ verfahre ungerecht mit den Frauen, besonders mit den verheirateten, und bei diesen wiederum mit jenen; die das Unglück haben, ihre Ehe scheitern zu sehen. Die Scheidung — besser gesagt, die Trennung einer Ehe, denn eine Scheidung in zivilrechtlichem Sinne, Welche die Möglichkeit einer Wiedetvermählung offenließe, ist im katholischen Spanien bekanntlich nicht zulässig. Scheidungen bilden Ausnahmefälle im Leben dieser Nation. 1951 z. B. würden in ganz Spanien nur 155 Scheidungsprozesse angestrengt, davon 89 mit Erfolg (das waren 0,5 pro Mille der Eheschließungen).

Dagegen ist die Zahl der „illegal“ ausėin- afidčrgėgartgehen Ehėn erdrückend hoch.

Allein die Prozeduren vür der Eröffnung eines Ehescheidungsprozesses sind dazu angetan, auch die unschuldige Frau vor diesem Schritt abzuschrecken. Das Gesetzbuch verlangt bei einer Scheidungsklage die vorherige „Constitution en depösito“ der Ehegattin — eine beleidigende Formulierung, welche die Frau einer leblosen Sache gleichsetzt, die etwa wie ein. Koffer „zür Aufbewahrung abgegeben“ wird. Zu diesem Zweck erscheint der Amtsrichter in der Wohnung, um die Ffäü abžUholen, und der Gatte hat ihr „Bettwäsche und Sachen des täglichen Gebrauchs“ auszuhändigen, denn sie muß das gemeinsame Heim in jedem Falle verlassen, auch wenn die Schuld des Gatten am Scheitern der Ehe manifest ist. Man kann sich vorstellen, daß eine solche Prozedur besonders in Kleinstädten und Dörfern zu einer für die Frau unerträglichen Szene äusättet, besonders dann, wenn die zerbrochene Familie nicht die allerbeste gesellschaftliche Konsiderätion genoß. In den Zuschriften der Juristen an „ABC“ kommen geradezu erschütternde Situationen zur Sprache, in denen Ehemänner unmoralischen Lebenswandels, die nur darauf lauerten, die Frau aus dem Haus herauszukriegen, gleichsam hohnlächelnd in der. Tür des Hauses stehen, das der Gattin oder ihren Eltern gehörte, als sie noch unverheiratet war, tihd die „Schande“ der mit einem Koffer mit Bett- und Leibwäsche äbgeführten, unschuldigen Ehefrau genießen!

Aber seltsamerweise hat sich diese Prozedur so eingebürgert, obwohl sie nicht vom Gesetz, sondern nur von den Ausführungsbestimmungen, die zum Teil, je nach der regionalen Tradition, lokal verschieden sind, gefordert wird. Und diese Ausführtingsbestim- mungen verbieten durchaus nicht, daß die Ehefrau in der eigenen Wohnung in. „deposit©“ verbleibe oder daß ihr mehr als „Bett und Wäsche“ ausgehändigt werde . die ganze Wohnung. zum Beispiel. Es handelt sich also in diesen Fällen in der Meinuhg einiger Juristen nicht so sehr unreine Reform der Scheidungsgesetze als um eine klärende Erweiterung der Ausführungsbestimmurtgen.

Die Diskussion ist jedoch nicht bei deni für spanische Begriffe stark anrüchigen Son- derfall eines Scheidungsprozesses stehengeblieben, sondern hat den ganzen Komplex det Ehegesfetzgebung .aufgerollt. In ihr steht, die spanische Ftaü in jedef Hinsicht 11» mälii-; fester Inferiorität. Es beginnt mit ihrer Unfähigkeit, irgendwelche Schritte zu unternehmen, ohne die schriftliche Vollmacht des Gemahls zu besitzen. Ohne Genehmigung des Ehemannes erhält sie keinen Reisepaß, kein Ausreisevisum, keinen Führerschein, keine Arbeit außerhalb des Hauses, ohne sie kann sie aber auch nicht vor Gericht zitiert Wefdeh. Uttd es endet damit, daß šie, verwitwet in dem Moment, da sie sich wieder vermählt, die elterliche Macht über ihre eigenen Kinder verliert. Sie steht, besonders in Verwaltungsangelegenheiten, für das Gesetz „auf der gleichen Stufe wie Personen unmoralischen Lebenswandels, mit Freiheitsstrafen Vorbestrafte oder itn Bankrott befindliche Personen. Im Falle der Vormundschaft über Minderjährige gilt sie weniger als ein geisteskranker oder taubstummer Vatėr oder ein verschwenderischer Sohn“, heißt es in der Zuschrift eines Rechtsanwaltes an „ABC“.

Das alles wirkt gerade deshalb so befremdend, Weil namhafte Schriftsteller und Berichterstatter so oft von der beherrschenden Rolle der Frau im Lebert Spaniens geschrieben haben. Wird doch das spanische Gesellschaftssystem zuweilen ein „matriarchalisches“ genannt, und Biased Ibaflež War es, der in seinem „Eindringling“ Vom Mänher Zerstörenden, Männer erhebenden, Städte und Fabriken bauenden Einfluß der Frauen im spanischen Industriegebiet voh Biskaya schrieb.

Auch dies verliert durchaus nicht an Geltung. Der Einfluß der Frauen in Spanien i s t dominierend, denn all die Beschränkungen, die ihr der „Cödigo Civil“ auferlegt, bedeuten natürlich unter normalen Verhältnissen nichts, tier Gatte wird seiner Frau alle nur erdenklichen Vollmachten rein routinär unterschreiben, ohne Diskussion, ja ohne auch nur zu fragen. Er wird, wenn sie es nicht will, ihre Mitgift, ihre paternalen Gütet nicht anrühren und sie damit Schalten Urtd walten lassen, wie es ihr beliebt, denn im kaufmännischen Recht ist sie nicht Unmündig. Die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches sihd aber nicht für Normalfälle gedacht, sondern Wirken sich irt unglücklichen Streitfällen aus,, und in diesen bedeuten sie nichts anderes als Schutz und Begünstigung für den kleinlichen, dummen, gehässigen, gewissenlosen, rachsüchtigen, ja unmoralischen und verbrecherischen Teil der Ehemänner. Diese Gesetze Und ihre Ausfüh- rungsbestimmungen sind ein moHstruöser Rest afrikanischen Erbes.

Aber wenn sich auch die besten und bekanntesten der in „ABC“ zu Wort gekommenen Juristen im wesentlichen über die Notwendigkeit einer mehr oder minder tiefgreifenden Reform einig sind, wobei sie ledig-' lieh vor einer Erschütterung des katholischen Prinzips der Unauflösbarkeit der Ehe Warnen, sind in anderen Publikationen, besonders in der Provinz, Stimmen laut geworden, die jede Reform der Ehegesetzgebung ablehnen. Von der Art der. Angriffe können wir UHS einen Begriff mächeh,. wenn wir. dėti neUeh Artikel der Rechtsanwältin Dr. Mercedes Fömica in „ABC“ studieren:

„Es gibt eine Reihe erbitterter Kommen- taristen, die das Problem der juridischen Kapazität der 'vefėheli'čhten f rau aus den Angeln heben und bis zu dem Extrem entstellen, daß sie zu dem seltsamen Schluß kommen, die Umfrage über die Stellung der Frau vot dem positiven spanischen Recht sei von arttlchristlichtm ühd fathiliėnfėirid- lichem Geiste inspiriert Und ihr wahres Ziel Sei nicht mehr und flieht Weniger alš die Elftführung der vihkülären Scheidung iii Spanien …“

Frau Formica bekennt sich feierlich zur römisch- k a t h o 1 i S c h e n u n d a p ost d 1 i s c h en Kirche! . und als Katholikin wisse sie .ganz genau, daß die Kirche die TrertnUng von Körpern und Güterh kennt, wenn gewisse Voraussetzungen gegeben sind. Der heutige Zustand aber bedeute :die Verteidigung heidnischer und muselmanischer Anschauungen Und die Zerstörung der Familie uhter dem Votwand, sie zu verteidigen.

Dona Mercedes Förmicä Will eš nicht auf sich nehmen, die schuldige Gattin zu verteidigen, sondern sie will die u n- schuldige Ehegattin verteidigen. S i e brauche Schutz. Schutz für das Aufziehen ihrer Kinder, Schütz, ütti nicht aus der Wohnung auf die Straße gezerrt zu Werden, Schütz, damit sie ausreichende Alimente erhält und der Ehemann an der Veräußerung und dem Verbergen der aus gemeinsamem Kapital gewonnenen Güter gehindert werde. Während des »Depösito“ der Ehefrau, die als unschuldiger Teil in einen Scheidungsprozeß verwickelt ist, müßten die Kinder grundsätzlich unter ihrer Obhut bleiben. — Man stelle sich nur vor: Ein Scheidungsprozeß dauert vor dem Diözesantribunal, vor das die ganze Sache schließlich kommt, drei bis fünf Jahre! Während dieser Zeit können die Kinder, zuweilen nur die Söhne, in der Obhut des Mannes belassen werden, wenn er nicht gerade einen öffentlich skandalösen und unmoralischen Lebenswandel führt. Wird die Ehe geschieden, die Frau für unschuldig erklärt und werden die Kinder ihr endlich zurückgegeben, so hat sie dennoch das unsagbare Martyrium — die grausame Strafe einer langjährigen Trennung von ihnen hinter sich!

„Wer wollte bezweifeln“, so ruft die Rechtsanwältin am Ende ihrer Veröffentlichung aus, „daß es etwas Schöneres gibt als eine harmonische Ehe, mit glücklichen Kindern unter der Obhut des Elternpaares! Aber vergrößern wir nicht noch das Unglück der Ehen, die jenes Glück nicht erreichen können, reichen wir ihnen in Edelmut und wahrem christlichem Geiste die Hand. Viel wurde in diesen Tagen im Namen des Christentums debattiert, aber wenige denken daran, daß es Christus war, der die Würde der Frau erhöhte, und daß das Römische Recht, das uns regiert, zahlreiche vom Heidentum inspirierte Uebergriffe enthält.“

Das letzte Wort ist in der Angelegenheit noch lange nicht gesprochen, und, nach dem wohlerwogenen Wort der Rechtsgelehrten, nach dem Streit der Meinungen, nach den erschütternden neuen Enthüllungen der Rechtsanwältin, steht noch eine sehr gewichtige Stellungnahme aus: „ABC“ ist dabei, d i e Stellungnahmen der Frauen Spaniens zu sammeln und demnächst zu veröffentlichen. Damen des Adels und erster Kreise der Gesellschaft, Schriftstellerinnen, Aerztinnen und in sozialen Werken führende Damen werden zu Wort kommen, und es ist zu erwarten, daß sie ihre in der Intimität glücklicher Heime, in der Anonymität hinter Politik und Wirtschaft einflußreiche Rolle nun auch in aller Form vom Gesetz anerkannt wissen werden wollen.

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