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Randbemerkungen zur woche

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ES GIBT BEI UNS LEUTE, die sich mit dem Gedanken, daß Oesterreich ein stehendes Heer mit einem Kader von gründlich ausgebildeten Berufsoffizieren und -Unteroffizieren bekommen soll, ganz und gar nicht befreunden kennen. Was ihnen vorschwebt, eis dem republikanisch-demokratischen Charakter unseres Staates allein angepaßt und militärisch völlig atisreichend, wäre eine milizartige Heeresorganisation, etwa nach Schweizer M u s t e r . Da ist es nun interessant zu lesen, was ein Schweizer Fachmann kürzlich in einer angesehenen deutschen Wochenschrift über das Wehrsystem seines Landes veröffentlicht hat. Er schreibt:

„Die soziologischen Voraussetzungen einer Miliz sind: eine gesellschaftliche Oberschicht, die vom Volk als solche anerkannt wird und die man der Einfachheit halber hier Aristokratie nennen kann, und eine breite Masse von Bürgern, Bauern und Hirten — und zwar von freien Bürgern, Bauern und Hirten. Nur bei der Existenz einer solchen Oberschicht ist die Führer- und Kaderfrage einer Miliz zu lösen. In der heutigen, industrialisierten Schweiz, deren wehrfähige männliche Bevölkerung zk 67 v. H. zu der Klasse der Lohnempfänger gehört, wird die Miliz mit Her Kaderfrage nicht mehr fertig ... Die wichtigste Gruppe der schweizerischen militärischen Führer umfaßt heute alle Männer, die den Militärdienst als Beruf ergriffen haben. Die Bewährungsprobe der Miliz der alten schweizerischen Eidgenossenschaft im Jahre 179S (im letzten auswärtigen Krieg, den die Schweiz geführt hat), wurde schlecht bestanden. Dabei hatte diese Miliz in ihren Reihen viele gediente Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten; die Masse war aber ungediente und unausgebildete Miliz, und das entschied Uber die Stärke des militärischen Widerstandes (gegen die französische Invasion).., Die Schöpfer des Heeres des (heutigen) eidgenössischen Bundesstaates, einer Miliz, wußten wohl, warum sie im Dienstreglement für die eidgenössischen Truppen die strengen Grundsätze des Reglements der Schweizer Regimenter in fremden Diensten übernahmen ... Sie wußten, daß die Disziplin in der Miliz von eiserner Strenge sein muß, soll diese im Krieg nicht physisch versagen. Der gefährlich werdende Mangel an Leuten, die in der Miliz Führerposten tinnehmen wollen und können, die Einführung Heuer Waffen und Geräte, vor allem der Panzer, der Ausbau der Luftwaffe, die ganze Veränderung der Kriegführung ... erzwingt, wie auch ein begeisterter Anhänger des Milizsystems, General Guisan, einräumte, die Anpassung der schweizerischen Miliz an das Berufsheer; entsprechende Initiativen sind bereits im Gange.'

Das klingt anders, als manches, was man über die Vorzüge eines Heerwesens nach Schweizer Muster zu hören bekommt. Und dabei wird niemand behaupten Können, daß es den Schweizern an echt republikanisch-demokratischer Gesinnung mangelt, oder an der Entschlossenheit, ihre freiheitlichen Institutionen bis aufs äußerste zu verteidigen.

„RENTENKONKUB1NATE' SCHL1ESST LEIDER auch der nun vorliegende Entwurf des ASVG nicht aus! Laut $ 26 „wird die Witwenrente im Falle der Wiederverehelichung mit dem fünffachen Jahresbezug abgefertigt“'. Verzichtet aber die Witwe auf eine neuerliche Eheschließung und zieht das Konkubinat vor, behält sie ihre Witwenrente. Bisher konnte sich die Witwe entweder (mit dem dreifachen Jahresbezug) abfertigen lassen oder sich die Witwenrente für den Fall der neuen Ehe vorbehalten. Nach dem Entwurf bekommt sie auf alle Fälle die Abfertigung und erhält trotzdem die Witwenrente aus früherer Ehe wieder, wenn die neue Ehe durch Tod des Ehegatten oder durch Aufhebung oder Scheidung ohne Verschulden der Ehegattin geendet hat — aber frühestens nach Ablauf von fünf Jahren seit dem Erhalt der Abfertigung und nur, wenn sie „unversorgt“ zurückbleibt. Diese Regelung setzt also voraus, daß die neuerlich verheiratete Witwe die Abfertigung fünf Jahre lang nicht anrührt, damit sie bei früherem Ableben des Gatten davon leben kann; erst nach Ablauf dieses Lustruins dürfte sie ohne Sorge um ihre Zukunft darüber verfügen. Wird es viele solche Fälle geben? Wenn aber die Abfertigung als „Mitgift“ angesehen und verbraucht wurde und der zweite Gatte vor Ablauf von fünf Jahren stirbt, wovon soll dann die doppelte Witwe ihren Lebensunterhalt bestreiten? Immerhin erleichtert die Neuregelung die Entschließung, wenn der Partner auf die Abfertigung seiner Gattin nicht angewiesen ist, Wenn aber die neue Ehe der Witwe nicht jenen Lebensstandard wie ihre Witwenpension zu bieten vermag, wird sie auch weiterhin die „Lebensgemeinschaft“ vorziehen, in der ja ihre Witwenpension ungeschmälert ausbezahlt wird. Die Rechtslage hat sich aber.nicht geändert. Auch weiterhin wird die Witwenrente im Falle der Wiederverheiratung eingestellt, was sonst nur im Falle der rechtskräftigen Verurteilung wegen eines Verbrechens erfolgt. Wenn die Witwe durch selbständige oder unselbständige Aroeit viel verdient, wenn sie durch einen Haupttreffer oder durch eine Erbschaft zu Wohlstand gelangt, bezieht sie die Witwenrente weiter. Nur ein Verbrechen begehen oder heiraten darf sie nichtl •

IN DEUTLICHEM WIDERSPRUCH ZU ALLEN FRÜHEREN ÄUSSERUNGEN - bis April dieses Jahres —, daß auch der Einzelbauer geachtet und geschätzt, daß seine Tätigkeit für das Wohl des Ganzen gewürdigt werden müsse, steht die kürzliche Resolution der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei: Sie verlangt ein schnelleres Tempo bei der Kollektivisierung der Landwirtschaft. Die Annahme des neuen Plans zeigt, daß sich in den Gruppen-kämpfen am Prager Hradschin die Moskauer Gunst von Zapotocky, dem Staatspräsidenten, und Siroky, dem Ministerpräsidenten, abzuwenden beginnt und in reichem Maße auf Antonin Novotny, den ersten Sekretär der Partei, ausgegossen wird. Siroky und Zapotocky möchten den „neuen Kurs“, wie er seit dem Tode Stalins modern wurde, beibehalten, um ein höheres Maß von Zufriedenheit beim kleinen Manne zu erzielen. Der Kampf, den Novotny gegen diese beiden Hierarchen führt, entspricht irgendwie dem Kampf, den in Moskau Chruschtschow gegen Malen-kow und in Ungarn Rakosi gegen Nagy geführt und gewonnen hat. Die ersten Schwierigkeiten in der Harmonie zwischen Novotny und Siroky wurden deutlich, als Novotny in der Moskauer „Prawda“ vom S. April d. ]. die These „gewisser nach rechts abweichender Genossen“ angriff, nach der eine größere landwirtschaftliche Produktion, wie sie die Tschechoslowakei dringend benötigt, durch fortschreitende Kollektivisierung unmöglich gemacht wurde. Am 24. April setzte Novotny seine Kampagne gegen Siroky, den man als Verteidiger dieser These kennt, auf dem Kongreß der slowakischen Kommunisten fort und bezichtigte „gewisse Genossen“ unrichtiger landwirtschaftlicher Theorien. Tatsächlich wurde Sirokys Name mit einemmal von der Kandidatenliste für das Zentralkomitee der Partei gestrichen. Aber Siroky gab den Kampf nicht auf und attackierte seinerseits in der theoretisch-politischen Zeitschrift der KP, „Nova mysl“ („Die neue Idee“), die „politische Ideologie des extremen linken Flügels“, der eine Zwangskollcktivisierung der Landwirtschaft um jeden Preis verlangt. Ah jedoch Kaganowitsch zu den Zehniahresfeiern der Befreiung in Prag eintraf, gab er bekannt, die UdSSR sehe in der zu langsamen Kollektivisierung der tschechoslowakischen Landwirtschaft eine Fehlleistung. Zu den Beratungen in Bukarest, die Chruschtschow und Bulganin anläßlich ihrer Heimreise von Belgrad im Juni abhielten, war Novotny eingeladen — aber weder Siroky noch Zapotocky. Die Annahme von Novotnys Vorschlag beschleunigter Kollektivisierung nach seiner Rückkehr ist ein Beweis, daß die Gruppe Zapotocky-Siroky eine sichtbare Machteinbuße erlitten hat.

ISRAELS INTELLEKTUELLE sind von tiner schweren Malaise erfüllt. Sie fühlen sich seit Jahren in der Besoldung gegenüber den manuellen Arbeitern zurückgesetzt — in diesen Monaten nähert sich der Unmut einer offenen Revolte. Zuerst streikten die Amtsärzte, dann die hohen Beamten der Verwaltung des Landes und die Juristen, und vor kurzem drohten sogar die Beamten des Staatskontrollamtes mit dem Ausstand. Die Universitätsprofessoren haben energisch das Verlangen gestellt, ihre Gehälter endlich ihren Studien und ihrer geistigen Arbeit angemesse-uer zu gestalten. Es sieht, wie immer auch die Gründe sein mögen, die zu einer solchen Entwicklung geführt haben, im heutigen Israel so aus, daß es nur ganz minimale Gehaltsunterschiede zwischen den niedrigsten und den höchsten Beamten des öffentlichen Dienstes gibt, ja daß ein Mensch, der viele Jahre seines Lebens für seine berufliche und wissenschaftliche Spezialausbildung geopfert hat, kaum besser daran ist als eine Schreibmaschinenkraft, die eben einen dreimonatigen Kurs zur Erlernung ihres Instruments absolviert hat. 36 Intellektuelle von Rang und Namen haben sich in der größten Zeitung Israels, dem „Haarez“, in einem offenen Brief an die leitenden Männer des Staates gewendet und sie um dringende Abhilfe ersucht: unter den Unterzeichnern befinden sich Professoren der Hebräischen Universität Jerusalem und der Technischen Hochschule in Haifa, einige bekannte Acrzte, einige Forscher und Künstler. Es heißt hier u. .: „Die arbeitende Intelligenz im Staate Israel kämpft schwer um ihre materielle Existenz. Die Naturforscher, die Ingenieure und Chemiker, die Mediziner und die Agronomen, die Lehrer und die Juristen arbeiten sehr hart. Die ärmlichen Einkünfte zwingen die arbeitenden Intellektuellen zur Annahme kleiner Nebenarbeiten; dadurch kommen sie in Gefahr eines beruflichen Niederganges. Wenn Israel nicht für angemessene psychische und physische Bedingungen für seine IntelligenzschicUt sorgt, darf es sich nicht darüber wundern, daß kaum neue Fachleute nach Israel einwandern wollen. Man sei nicht überrascht, daß die rein physische Leistung der israelischen Intelligenzschicht unter Depression und Erschütterung der Selbstachtung des Individuums leidet.“

Eine strukturelle Ursache für den gegenwärtigen unhaltbaren Zustand liegt in der Tradition der zionistischen Bewegung, wenigstens soweit sie die Juden Mitteleuropas betrifft. Hier hat diese Bewegung zu Beginn des Jahrhunderts und nach dem ersten Weltkrieg, namentlich aber zur Zeit des Anfangs der Judendiskriminieruug im Dritten Reich, da es „zu viele jüdische Intellektuelle“ gegeben hat, mit dem Ruf nach Berufsumschkhtung operiert — und der jüdische manuelle Arbeiter gelangte als Einwanderer a priori zu höherem Ansehen. Gegenwärtig liegen die Dinge wieder ganz anders. Aber die Politiker der führenden rechtssozialistischen Arbeiterpartei „Mapai“ nehmen natürlich auf ihre Arbeiterwähler Rücksicht, die eine höhere Bewertung der intellektuellen Leistung unfreundlich aufnehmen könnten. Hier muß dringend eine Umerziehung der Massen einsetzen. Eine Sonderkommission der Regierung hat nun verschiedene Fachleute auf dem Gebiete der Gehaltspolitik befragt, um die prekäre Frage der Besoldung der Intellektuellen des Landes einer Revision zu unterziehen.

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