6563572-1949_23_05.jpg
Digital In Arbeit

Randbemerkungen ZUR WOCHE

Werbung
Werbung
Werbung

500 österreichische Kinder sind in Barcelona eingetroffen. Eine Einladung der spanischen Caritas macht es ihnen und noch weiteren 1500 jungen Österreichern möglich, in Spanien einige Monate zu verbringen. Kleine Geschehnisse — weit entfernt von jeder Politik. Nicht genug abseits aber, um nicht zum Anlaß eines kommunistischen Alarmrufes zu werden: „Rettet die österreichischen Kinder vor der Ansteckung durch den spanischen Faschismus!“ Die so redlich Besorgten können beruhigt werden. Die österreichische und spanische Caritas wissen Bescheid um ihre Aufgabe. Eine einzelne spanische politische Zeitung glaubte die Einladung österreichischer Kinder politisch behandeln zu dürfen. Sie traf auf den schärfsten Widerspruch des Kardinalprimas von Toledo, der das Blatt nötigte, sein Mißverständnis zu korrigieren. Ernster zu nehmen als dieser Irrtum ist jener der anderen, die es nicht fassen können, daß irgend etwas aus helfender Nächstenliebe und nicht politischer Interessen willen geschieht.

' Das „Gesetz, betreffend die Änderung einiger Bestimmungen der Bauordnung für Wien", das dem Wiener Landtag vorgelegt werden soll, sieht auf den ersten Blick harmlos aus. Niemand würde auf den Gedanken kommen, daß sich dahinter die gesetzlichen Möglichkeiten zur Enteignung von mindestens zwei Drittel der Wiener Häuser verbergen. Der Gesetzentwurf bestimmt in Art. I, Absatz 1, 2, in Ergänzung der Bauordnung, „daß unbebaute oder nicht entsprechend bebaute Liegenschaften zugunsten der Gemeinde — oder mit Zustimmung der Gemeinde zugunsten eines Dritten — gegen Entschädigung enteignet werden können, wenn dadurch die bauordnungsgemäße Bebauung dieser Liegenschaften erreicht wird und dies aus städtebaulichen Rücksichten erforderlich ist. Als nicht entsprechend bebaut gelten Liegenschaften, wenn die darauf befindlichen Baulichkeiten dem Flächenwidmungsplan oder der Bauweise nicht entsprechen oder hinsichtlich der Bauhöhe gegenüber der bauklassenmäßigen Gebäudehöhe wesentlich Zurückbleiben“. Jedes Haus, das niedriger ist als die Bauklasse es vorschreibt oder etwa über die Baulinie vorsteht, soll also enteignet werden können. Werden die Bauklassen geändert, hat die Gemeinde es dann praktisch in der Hand, überhaupt ein jedes Haus zu belangen. Als „nicht entsprechend bebaut“ gilt eine Liegenschaft ferner auch dann, wenn die darauf errichteten Baulichkeiten „durch Elementar- oder Kriegsschäden so schwer beschädigt sind, daß die Behebung des Schadens den Hauptzins für zwei Jahre übersteigt“. Unter den heutigen Umständen ist diese Anwendungsmöglichkeit des Enteignungsgesetzes bei fast jedem kr i e g s z e r s t ö rt e n oder kriegsbeschädigten Haus gegeben, zumal der Mietzins zum Zeitpunkt des Schadenseintrittes die Bemessungsgrundlage darstellt.

Es ist kaum anzunehmen, daß ein derartig weitgehender Eingriff in die Rechte des einzelnen Staatsbürgers, der nicht einmal nur die Haus- und Grundeigentümer betreffen würde, allein durch eine Bauordnung geschehen darf. Die Niederhaltung des privaten Wohnbauwesens hat bereits dazu geführt, daß in Wien heute weniger gebaut wird, als an Häusern zusammenfällt.

Der Berliner Eisenbahnerstreik hat einen neuen politischen Begriff geschaffen, den man noch vor wenigen Jahrzehnten für eine „contradictio in adjecto", einen inneren Widerspruch, gehalten hätte: den Begriff „kommunistische Streikbrecher“. Daß die klassische Kampf- waffe des Marxismus und der Arbeiterbewegung überhaupt in jedem von Kommunisten beherrschten Staat sofort von der Bildfläche verschwindet, war zwar eine allgemeine, längst festgestellte, den breiten Massen aber doch nicht so sehr in die Augen springende Erscheinung. Nun sind aber in Berlin die Kommunisten zum erstenmal als „Unternehmer“ und „Streikbrecher“ gegenüber den Lohnforderungen der Berliner Eisenbahner aufgetreten. Der kommunistische Unternehmer Staat erwies sich dabei als noch weit rücksichtsloser als die meisten Unternehmer in der Blütezeit des Hochkapitalismus. Was wohl Marx, Engels, Bebel und Liebknecht und die vielen ehrlichen Gewerkschaftsführer aus der Frühzeit der Arbeiterbewegung zu dieser Entwicklung sagen würden?

Eine Unterredung der Prinzessin Ileana von Rumänien mit argentinischen Pressevertretern hatte dieser Tage einen fürInterviews königlicher Prinzessinnen nicht gewöhnlichen Inhalt. Man erfuhr daraus, daß die Prinzessin die rumänische Königskrone um n u r 6 0.0 0 0 D o l- lar versetzt habe, aber noch hoffe, sie vor der öffentlichen Versteigerung zurückerhalten zu können. — Eine europäische Königskrone in einem städtischen Versatzamt Südamerikas … Die Sache ist prosaisch. Es gibt wirklich keine Romantik mehr. Der rumänischen Königskrone war freilich der romantische Schimmer schon seit Jahren verlorengegangen. Seitdem König Carol II. durch seine persönliche Lebensführung, die Mätressenherrschaft der Lupescu und seine Treulosigkeit gegenüber der Nationalen Bauernpartei, die der starke Pfeiler einer dynastischen Staatspolitik hätte sein müssen, das moralische Ansehen der Krone vor allem Volke schamlos vergeudet hatte, war die Krone Rumäniens nur mehr Symbol eines wesenlos gewordenen Begriffes. Die Regentschaft des Knaben Michael konnte das Verlorene nicht gutmachen. Und dann war es zu spät. Wieviel Anteil haben an den großen Tragödien der Weltgeschichte oft die Sünden einzelner Menschen!

Hinter der Bühne, auf der die ideologisch geschminkten Akteure die Haupt- und Staatsaktionen der Gegenwartspolitik zur Aufführung bringen, kann man zuweilen in den Kulissen Dinge gewahren, die mit den dem großen Publikum gezeigten Stük- ken gewissermaßen im Widerspruch stehen. Oder scheint es nur deshalb so, weil dort der Umbau des Bühnenbildes vorbereitet wird? Sollte der serbische Volkswitz recht haben, der behauptet, daß im Zuge der neuen Stadtplanung von Belgrad besonders drei der großen, modernen Hochhäuser in Mitleidenschaft gezogen werden würden, nämlich: „Moskau“ niedergerissen, „Albania"entzweigeteilt, „London“ aber durch Verbreiterung der hinführenden Straße zugänglicher gemacht werden sollte? Die Enge, in die Tito durch das Andauern der Kominformblockade gegen Jugoslawien getrieben ist, zwingt ihn, die wirtschaftlichen Beziehungen zum Westen immer weiter auszubauen. Dem Abschluß von Abkommen mit der Schweiz und Schweden folgt der englisch-jugoslawische Handelsvertrag und diesem nun ein Abkommen mit der Trizone, das für die deutsche Außenwirtschaft die Wiedererschließung eines ihrer ältesten Märkte bedeutet. Gleichzeitig lockert man in Washington, auch an der Verbesserung der eigenen Absatzbedingungen interessiert, in zunehmendem Maße die Beschränkung der Exportlizenzen für Jugoslawien und läßt Kreditverhandlungen größeren Umfangs in Gang kommen. Nun, Tito hat sich über die Notwendigkeit, do't zu kaufen, wo er erhält, was er braucht, unverblümt ausgesprochen, und so bietet sich heute in Belgrad das seltsame Schauspiel, daß man amerikanische Großgeschäftsleute lebhaft beraten sieht, was sie alles für den „Aufbau des Sozialismus“ in Jugoslawien tun könnten.

Der Fall von Schanghai und das weitere Vorrücken der kommunistischen Armeen nach dem Süden Chinas hat der britischen Öffentlichkeit Anlaß zu Befürchtungen um die Zukunft der Kronkolonie Hongkong gegeben. Man entsinnt sich der lähmenden Auswirkungen der Blockade von 1926 durch die chinesischen Kommunisten auf das wirtschaftliche Leben dieses englischen Besitzes. Es kommt in Erinnerung, wie aussichtslos der Versuch einer wirklichen Verteidigung ist, insbeson- ders, weil das für die Wasserversorgung der Stadt wichtige Kowloon, dessen Besetzung durch die Japaner 1942 auch das Schicksal der Insel von Hongkong binnen kurzem entschied, gegen einen ernstlichen Angriff von der Landseite her .nicht beschützt werden kann. Daran können auch die jüngst nach dem Fernen Osten entsandten Truppenverstärkungen nichts ändern; sie werden vielmehr etwaige Unruhebewegungen niederzuhalten haben. Immer mehr rückt so die Frage der künftigen Beziehungen Englands zu den kommunistischen Machthabern in den Vordergrund. Offiziell existieren solche Beziehungen bisher nicht. Die britischen Konsulate erfahren eine mehr oder weniger ausdrückliche Ignorierung, während der Pekinger kommunistische Sender unablässig „Wiedergutmachung für den rechtswidrigen Angriff des britischen Schiffs ,Amethyst“ auf die demokratischen Streitkräfte“, die es bekanntlich zusammengeschossen haben, fordert. Aber in Hongkong spielen bereits Privatpersonen inoffizielle Vermittler zu den Behörden des kommunistischen China. Vielleicht wird Hongkong sogar noch wichtige Dienste bei der Anknüpfung friedlicher Verbindungen zum neuen China leisten. Es wäre ein Treppenwitz der Weltgeschichte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung