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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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AM JAHRESTAG DES SOGENANNTEN , SIEGES“ ÜBER ÖSTERREICH werden die italienischen Bersaglieri-Einheiten einen triumphalen Einzug in das .wiedereroberte' Triest halten: eine Zeitungsmeldung, dazu angetan, einmal ein ernstes Wort von österreichischer Seite an verschiedene i t a- I i e n i s c h e Adressen zu richten. Man wird verstehen, daß man in Oesterreich in solchen rückwärtsgewandten, mit einem deutlichen Stachel versehenen „patriotischen Demonstrationen“ nicht gerade einen Beitrag zur Festigung des freundschaftlichen Verhältnisses der beiden Staaten und Völker erblicken kann. Nichts gegen eine gesunde Tradition: wir ehren das Andenken Radetzkys und überlassen es gerne und ohne Gram unseren südlichen Nachbarn, Garribaldi Kränze zu winden. Aber trotz der offenen Frage Südtirols ist die Zeit schon fern, da man an Schlagbäumen mit finsterer Miene und drohenden Fäusten stand. In Oesterreich singt kein Mensch mehr das Trutzlied „Es starrt von Feindeshorden des Brenners Scheidewand .. . , während der .Piave-Marsch" zum Rang einer Staatshymne erhoben wurde. Es würde in Rom bestimmt keine Freude bereiten, wenn am Jahrestag von Custozza, Lissa oder Caporetto zum Beispiel — es gab nämlich auch eine gar nicht so geringe Anzahl siegreicher österreichischer Waffengänge im Duell mit unseren südlichen Nachbarn — große Feiern und Paraden der österreichischen Exekutive abgehalten würden. Wir dürfen für unseren Teil das gleiche Maß erwarten. Noch dazu, wo in derselben Zeit, als man es in Triest für notwendig Endet, posthum gegen das große Oesterreich zu demonstrieren, man mit dem kleinen Oesterreich Verhandlungen über eine stärkere Beanspruchung des Triester Hafens durch österreichische Firmen anknüpft. Es wird die Aufgabe unserer offiziellen A.ußenpolitik sein, einmal in Rom diesen österreichischen Standpunkt in aller Ruhe und Gelassenheit zu verdolmetschen.

DER KONSUMENT ist ein vielschichtiges Phänomen. Als Arbeitnehmer will er mehr Lohn, als Arbeitgeber ist er bemüht, den Lohn auf einer (für ihn) „erträglichen" Höhe zu halten, als Verkäufer ist er einer Steigerung der Preise seiner Waren (weil für die .freie Wirtschaft") nicht abgeneigt, als eigentlicher Konsument ist er aber an minimalen Preisen und an einem hohen Realwert seines Einkommens interessiert. Dabei ergibt sich nun, daß die Staatsbürger, insoweit sie Konsumenten sind, keine wirksame Vertretung haben. Das, was die Sozialwissenschaft den .dritten Sozialpartner" nennt, ist ohne Stimmrecht, eine Hilfsfigur in der politischen Argumentation. Die politischen Parteien sind bemüht, den von ihnen vertretenen Einkommenbeziehern jeweils em möglichst hohes Einkommen zu verschaffen, bemühen sich aber nicht in gleicher Weise, eben dieses Einkommen durch entsprechende Preispflege zu höchster Wirkung zu bringen. Jede der im österreichischen Parlament vertretenen Parteien ist in einer bestimmten Hinsicht sowohl Arbeitgeber- wie Arbeitnehmerpartei. Der Konsument, der schlechtweg mit „dem Menschen“ identisch, keinen Platz in der Klassengemeinschaft hat, ist also ohne Vertretung. Einmal sind es die Agrarier, welche ihm den Reallohn kürzen (die „Großbauern", wenn sie nichtsozialistisch sind, und die „Arbeitsbauern", wenn sie Rot aufgelegt haben). Dann erhalten die Arbeitnehmer Lohnerhöhungen, die zuweilen so hoch sind, daß sie schließlich vom Konsumenten getragen werden müssen. Schließlich lassen sich auch die Unternehmer nicht lumpen, wenn sie eine Chance sehen, die Preise zu „begradigen", die .Kapitalisten“ als Repräsentanten der freien Wirtschaft und die gemeinwirtschaftlich Gesinnten „Kleingewerbetreibenden", die davon leben, daß jene Wirtschaftsform, von der sie träumen, noch nicht konstituiert wurde. Eine besondere Spezies sind die sozialistischen „Grossisten", welche, wie jüngst beim Reis, die Preise mit Hilfe der ihren Namen nicht immer zu Recht führenden Arbeiterkammer hinauftreiben. Ob dem Konsumenten unter dem Titel „Marktwirtschaft“ oder „Gemeinwirtschaft" das Realeinkommen gekürzt wird, ist ihm aber wahrscheinlich gleichgültig. Es kommt nur auf die Tatsachen an, die auch dann hart empfunden werden, wenn „Arbeiter"• Unternehmungen in das Geschäft einsteigen, die Preise erhöhen und mithe fen, dem Konsumenten im Dunkeln zum Teil das zu nehmen, was man ihm bei Tageslicht als Einkommenerhöhung gegeben hat.

SEIT BALD 30 JAHREN, die Kriegszeit inbegriffen, ist Englands Versorgung mit lebenswichtigen Gütern und die Verschiffung seiner Exporte nicht in einem solchen Maße gehemmt und gefährdet worden wie durch den jüngsten Streik der Hafenarbeiter. Dabei handelte es sich jetzt nicht, wie bei dem großen Ausstand von 1926, um die Durchsetzung erhöhter Löhne oder verbesserter Arbeitsbedingungen; der englische Docker irt längst nicht mehr der Gelegenheitsarbeiter, der er früher mehr oder weniger war, sondern praktisch ein Fixange- stellter, der durch die Stabilität seines Postens und die häufig Möglichkeit zusätzlichen Ver dienstes durch Ueberstunden- oder Nachtarbeit eine in anderen Industriezweigen kaum erreichbare Stellung einnimmt. Der fetzige Disput ist, wie ein Sprecher der großen Transport and General Workers Union selbst zugab, nicht industrieller, sondern politischer, genauer gesagt gewerkschaftspolitischer Natur. Der geringfügige erste Anlaß des Streiks einiger tausend Angehöriger der kleinen NASD, der Güterpackergewerkschaft, ist völlig in den Hintergrund getreten gegenüber der Frage, wie der persönliche Konkurrenzkampf ausgehen wird, den der ehrgeizige Generalsekretär der NASD, Barret, gegen den bisher einflußreichsten Mann im englischen Gewerkschaftsleben, den Generalsekretär der mächtigen Union der Transport- und allgemeinen Arbeiter, Deakin, führt. Daß es ersterem gelungen ist, die Gesamtheit der in dieser Unior) organisierten Hafenarbeiter für einen Sympathiestreik auf Seite der NASD über den Einspruch Deakins hinweg zu gewinnen, zeigt, wie weit das gerade in England früher hochgehaltene Prinzip gewerkschaftlicher Disziplin durch billige Schlagworte verdrängt worden ist: nicht nur zum Schaden der Mitglieder der betreffenden Gewerkschaft, sondern, wie gerade in diesem Fall, zu Lasten des gesamten Volkes, dessen überwiegender Teil ja ebenfalls aus Arbeitnehmern besteht.

WENN IRGENDWO DIE ZAHL DER POLITISCHEN SONNTAGSREDEN im rapiden Wachsen begriffen ist, so ist das ein untrügliches Zeichen für herannahende Wahlen. Die Bevölkerung bald dieser, bald jener Städte und Dörfer in Ungarn läßt in neuerer Zeit allsonntäglich eine wahre Sintflut von Reden prominenter Parteipolitiker über sich ergehen. Diese Verstärkung der Propagandatätigkeit hat aber jetzt neben den im volksdemokratischen Terminkalender stehenden Anlässen — erster Kongreß der „Vaterländischen Volksfront' Ende Oktober, .Rätewahlen“ Ende November, inzwischen auch schon die Zehnjahrfeier der Befreiung im Osten und Süden Ungarns — auch noch einen wichtigen, nicht weniger aktuellen Grund. Die Redner sprechen von ihm mit einer bemerkenswerten Offenheit. Es handelt sich um die offen bekannte Wirtschaftskrise, dann um die zu ihrer Behebung vor bald eineinhalb Jahren eingeleiteten Maßnahmen (innerhalb des .neuen Kurses“ des Ministerpräsidenten Nagy), die eingestandenermaßen nicht oder nur zögernd befolgt werden, und schließlich um eine Vertrauenskrise, die Bevölkerung und Parteikader gleicherweise erfaßte. Für die Regierung einer Volksdemokratie ist allerdings die Stimmung innerhalb der Elitetruppe, und das sind die Aktivisten und Funktionäre der Partei, ungleich wichtiger als die Stimmung in Kreisen der Bevölkerung, denn die Ersteren sind es, und nicht, wie im Osten behauptet wird, das „Volk“, aber auch nicht, wie man es im Westen erzählt, die .politische Polizei", auf die sich das Regime stützt. In der vergangenen Woche hielt der erste Sekretär des Budapester Parteikomitees, Istvan Kovacs, vor den Budapester Parteiaktivisten eine Rede. Er sprach von dem Anwachsen des Realeinkommens der Werktätigen auf der einen, von der verminderten Produktivität des einzelnen Arbeiters, (um 3,3 Prozent, verglichen mit den Zahlen des letzten Jahres) auf der anderen Seite. Er sprach vom Warenmangel im Lebensmittel- und Gebrauchsgütersektor, von der alles überwuchernden Bürokratie in der Verwaltung und in der Industrie — .in den Rakosi-, vormals Manfred- Weiß-Werken von Csepel hat sich die Zahl der Arbeiter zwischen 1938 und 1953 nahezu verdoppelt, die Zahl der Angestellten aber während dieser Zeit verfünffacht“ —, von den dadurch notwendig gewordenen Entlassungen. Das Hauptanliegen seiner Rede war aber, den inneren Widerstand innerhalb der Parteikader beim Namen zu nennen und gewisse Maßnahmen anzumelden. Auf Grund seiner Worte scheint es offensichtlich zu sein, daß das Umreißen des Steuers im vorigen Jahr (.der neue Kurs") im Führungsstab der Partei gerade die für das Regime wertvollsten Elemente, die angesichts der gewaltigen Konturen einer aus dem Boden gestampften Industriewirtschaft gerne noch lange Jahre eine Austerity in Kauf genommen hätten, demoralisierte Istvan Kovacs stellte, gleichsam in einem Atemzug, harte Maßnahmen gegen diese hochgestellten Wirtschaftssaboteure und unter anderem die Wiederaufnahme des Gansleber- und Truthahnexportes in Aussicht … Fürwahr eine unorthodoxe Wirtschaftspolitik.

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